Brauchtum und Tradition – über Generationen gepflegt und weitergegeben

Quelle: privat

Neujahrssingen in Oberveischede und Wurstesingen in Benolpe

Manche Bräuche gibt es in ähnlicher Form in verschiedenen Orte im Sauerland, andere sind sehr individuell und ortsspezifisch. Allen gemein ist, dass sie innerhalb einer Gemeinschaft entstanden sind, regelmäßig wiederkehren und dem inneren Zusammenhalt einer Gruppe, in diesem Fall der Dorfgemeinschaft, dienen.

Viele Bräuche sind im Laufe der Jahrzehnte in Vergessenheit geraten und werden von der jüngeren Generation nur noch selten oder gar nicht mehr gepflegt, wie etwa das Kranzwickeln anlässlich einer Goldenen Hochzeit oder das Schnacken mit der anschließenden Ausstellung des sogenannten Jagdscheins für auswärtige Männer, die eine Frau aus dem Ort freien möchten.

In einigen Ortschaften sind hingegen regelrechte Traditionen entstanden, die über Jahre gepflegt werden und nicht mehr wegzudenken sind: so das Neujahrssingen in Oberveischede oder das Wurstesingen in Benolpe.Seit über 80 Jahren gute Wünsche an NeujahrIn Oberveischede trat das Neujahrssingen vor rund 80 Jahren zum ersten Mal in Erscheinung: Während des Zweiten Weltkriegs schlossen sich ein paar junge Männer zusammen und zogen an Silvester um Mitternacht durch den Ort, um den Bewohnern ein gutes neues Jahr zu wünschen.

Im Laufe der Jahre wurde dieser Brauch gefestigt und geformt. Ausschließlich Männer trafen sich am Silvesterabend abwechselnd im damaligen Gasthof Fleißig oder im Haus Sangermann, um dort bei Sauerkraut, Kartoffelpüree und geräucherter Bratwurst gemeinsam zu feiern und den Abend einzuläuten. Nachdem die Kirchenglocken das neue Jahr angekündigt hatten, zogen die Männer los, um mit dem Neujahrslied die guten Wünschen für das neue Jahr zu überbringen. Zunächst wurde bei der Kirche und beim Pfarrhaus gesungen, dann an zentralen Stellen im Ort.

Am Neujahrstag trafen sich die Männer erneut, um jeder Familie einzeln die Neujahrsgrüße zu überbringen und dabei Spenden zu sammeln. Bis in die 1960er Jahre gab es traditionell in jedem Haushalt, in dem geschlachtet wurde, eine Wurst, die an die mitgebrachte Holzgabel gehängt wurde. Natürlich gab es damals auch schon reichlich Schnaps für den Hausherrn und die Sänger.

Das Neujahrssingen wurde bald auf den Neujahrstag verlegt. Die Sänger zogen nun zuerst von Haus zu Haus und kamen anschließend zum Essen zusammen. Die Zeche wurde von den Einnahmen bezahlt, oft aber auch vom Wirt übernommen. In den 1960er Jahren gab es eine leichte Flaute, so dass der Männerchor 1967 das Kommando übernahm, um den Brauch wieder aufleben zu lassen.

Nachwuchssorgen gibt es nichtDie Würste gibt es schon lange nicht mehr, aber noch immer gehen jedes Jahr gut fünfzig Männer und Jugendliche in Oberveischede am Neujahrstag von Haus zu Haus, um den Bewohnern mit einem Schnaps und dem überlieferten und seither unveränderten Neujahrslied ein frohes neues Jahr zu wünschen.

Die Einnahmen kommen jeweils anteilig dem Gemischten Chor Liederkranz Oberveischede e. V. zugute, der 2018 aus dem Männerchor Liederkranz 1892 entstanden ist, sowie unterschiedlichen Projekten im Ort.

Während viele Vereine mit Nachwuchsproblemen zu kämpfen haben, sind die beim traditionellen Neujahrssingen in Oberveischede nicht spürbar. Jedes Jahr kommen neue junge Leute dazu und auch für Zugezogene ist das Neujahrssingen eine gute Gelegenheit, Ort und Menschen kennenzulernen.In all den Jahrzehnten ist das Neujahrssingen nur einmal im letzten Jahr pandemiebedingt ausgefallen. Und auch das nächste Neujahr wird ohne die traditionellen Sänger auskommen müssen, aber niemand zweifelt ernsthaft daran, dass es im übernächsten Jahr wie gewohnt weitergeht.

Das NeujahrsliedEin neues Jahr wünschen wir euch fürwahr.Ein neues Lied bringet euch große Freud‘,in diesem neuen Jahr, wünschen wir euch fürwahr.Singet und klinget die Musik, stimmt an,singet und klinget die Musik, stimmt an,mit Stimm‘ und Instrumentenschall,oh du werter Herr, oh du werte Frau.Wir wünschen euch den reinsten Himmelstau,viel Früchte auf dem Feld, ein Beutel voll mit Geld.Das soll ein Glück und Segen sein in diesem neuen Jahr,das soll das Jahr 2022 sein, das 2022. Jahr.Wir wünschen euch ein glückseliges neues Jahr,ein glückseliges neues Jahr.Prost Neujahr!

Singen am Stephanustag

In Benolpe (Gemeinde Kirchhundem) gibt es eine ähnliche Tradition, die sogar noch älter ist als das Neujahrssingen in Oberveischede: das sogenannte Wurstesingen, das immer am zweiten Weihnachtstag stattfindet. Die Anfänge des Brauchtums sind nicht bekannt, das Wurstesingen gibt es aber mindestens seit Anfang des letzten Jahrhunderts.

Vermutlich ist die Tradition mit dem Stephanustag verknüpft: Am zweiten Weihnachtstag wird damit der heilige Stephanus geehrt, der als erster Märtyrer für seinen christlichen Glauben gesteinigt wurde.

Ursprünglich gingen in Benolpe die jungen, unverheirateten Männer des Dorfes am 26. Dezember von Haus zu Haus. Dabei trugen sie eine Schirrgaffel mit sich, einen kleinen, gegabelten Haselnussstamm. Die Gabel wurde wie in Oberveischede dazu benutzt, die gespendeten Würste daran aufzuhängen.

Im Zweiten Weltkrieg wurde jedem dienenden Soldaten aus dem Ort eine Mettwurst an die Front geschickt. Die restlichen Würste wurden nach dem Singen in einer der drei Dorfwirtschaften mit Sauerkraut oder Grünkohl zubereitet und gemeinschaftlich gegessen. Jeder Sänger bekam einen „Deckel“ mit seinem Lohn, den er bis zum Dreikönigstag in der Wirtschaft „versaufen“ konnte. Mit dem Ende der Ein-Kuh- und Ein-Schwein-Haushalte gab es auch keine Hausschlachtungen mehr und die Wurstentlohnung wich nach und nach auch hier dem Geld.

Bis heute sind es unverheiratete Jugendliche und junge Männer, die die Tradition des Wurstesingens am zweiten Weihnachtstag aufrechterhalten. Den gegabelten Stock führen sie symbolisch immer noch mit sich. Da es keine Wirtschaft mehr gibt, treffen sich die Sänger heute in der Schützenhalle oder im Pfarrheim, um von den Einnahmen gemeinsam zu essen und zu trinken. Die übrigen Einnahmen werden an gemeinnützige Projekte im Dorf gespendet.

Auch wenn es den Jüngeren immer schwerer fällt, das Wurstelied auf Plattdeutsch zu singen, so gibt es auch in Benolpe keine Nachwuchssorgen. In ähnlicher Konstellation ziehen die Männer in Benolpe auch am Neujahrstag von Haus zu Haus, um mit dem dorfeigenen Lied gute Wünsche für das neue Jahr zu überbringen.

Das Wurstelied
Hier kam er geritten vor des Himmels Toren.
Wir singen zu einer Kirche, zu einer Sankt Elisabeth darinnen,
wo die Leute beten in der Stille.
Giät uns enne Mettwurst,
deu stillet Hunger un mäket Durst.
Vi wellt se äouk nit alle vertiären,
vi wellt der Sankt Elisabeth wat giäwen.
Giät uns ennen Schnurrekopp,
diäme deu ällen Hoore sind iutgerofft.
Enne Wurst, enne Wurst, enne Wurst.
(Quelle: Festschrift zum 75-jährigen Jubiläum des Schützenvereins Benolpe e. V.)