BLICK VON INNEN

Quelle: Disput/ Berlin!GmbH

Als Patientin in einer Berliner Klinik

Neulich habe ich eine Erfahrung gemacht, die ich mir so nie erträumt hatte. Krank im Krankenhaus, und das nicht nur für einen Tag. Der Blick aus dem Fenster in Berlin-Wedding ist trostlos, sicher viel trostloser als aus einem Fenster im Fachkrankenhaus Kloster Grafschaft. Nachts geht es noch, da blinken und funkeln die Lichter der Großstadt um die Wette – glamouröser, als sie in Wahrheit sind. Die Flure der Klinik dagegen sind nachts wie ausgestorben, irgendwo hat noch ein Arzt Dienst. Die aber, die immer da sind und auf Knopfdruck zu dir ans Bett kommen, sind die Schwestern und Pfleger. Die wenigsten sind in Deutschland geboren, sondern in Mexiko, Guatemala, auf dem Balkan oder in Afrika. Personalnotstand in deutschen Krankenhäusern: Das verlangt allen viel ab, manche Pflegerinnen arbeiten zwölf Tage ohne Pause, auch Nachtschichten, weil Kollegen krank werden oder gekündigt haben. Dabei sind sie immer freundlich, immer hilfsbereit. Und haben Zeit für ein nettes Wort.

Für die meisten Ärzte, nicht für alle, ist der Patient kaum mehr als die Summe seiner Laborwerte. Jeder Mediziner zeichnet nach streng hierarchischer Ordnung für ein Spezialgebiet verantwortlich. Hochqualifizierte Präzisionsarbeiter sind das, die unter großem Stress stehen. Fehlt deshalb bei manchen der Blick fürs große Ganze, für die empathische Sicht auf den Menschen vor ihnen, der ja so viel mehr ist als das, was die Ziffern und Zahlen seiner Akte offenbaren?

Vielleicht sind daran die Strukturen der Kliniken schuld, auch ihre wirtschaftlichen Vorgaben. Bundesgesundheitsminister Lauterbach will da ran. Im Rahmen einer großen Krankenhausreform soll die Finanzierung und Organisationsstruktur der Hospitäler vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Viele kleine Häuser würden demnach zugunsten einer stärkeren Spezialisierung anderer Kliniken kaum überleben. Ängste, dass die Versorgung nicht mehr so gut ist wie vorher, kursieren auch im Sauerland. Wird dann die persönlichere Ansprache der Patienten, die ja in kleineren, weniger anonymen Häusern eher zu finden ist, größerer Effizienz weichen müssen? Auch wie sich die Reform auf die Pflegeberufe auswirkt, ist unklar.

Beim Thema Wertschätzung für die Pflegekräfte ist deutlich Luft nach oben. Eine Anerkennung darf sich nicht nur in Dankesworten und ein paar Euro für die Kaffeekasse erschöpfen. Zwar verspricht zum Beispiel das Hochsauerland Klinikum auf seiner Website möglichen Bewerbern für Pflegeberufe: „Du wünschst Dir Wertschätzung und Dankbarkeit? Kriegst Du!“ Ach ja?

Vielleicht im Sauerland. Ihre Mutter, erzählt mir die junge Schwester aus Pankow, die mir morgens um drei Uhr den Verband in der Klinik wechselt, arbeite auch im Krankenhaus, sie selbst sei alleinerziehend, mit zwei kleinen Kindern. Sie wisse nicht, wie sie finanziell und zeitlich über die Runden kommen soll. Beim Arbeitsamt hat man ihr gesagt: „Du bist dumm, wenn Du arbeitest, melde Dich arbeitslos. Und dann kriegst Du auch bald Bürgergeld.“ Das Bürgergeld ist für die junge Schwester an meinem Bett ein rotes Tuch. Sie findet, dass die Falschen belohnt werden. Was mit denjenigen sei, die dieses Land zusammenhalten? Sie versteht „die da oben“ nicht mehr. Ich auch nicht, ich bin froh, dass das Krankenhaus wieder in weiter Ferne liegt und – wenn ich im Sauerland nachts aus dem Fenster schaue – eben nicht die Lichter der Großstadt ihr verzweifeltes SOS funken. Dass da nichts ist als dunkle Nacht, tut gut. Mein persönliches Fazit: Für jeden Tag danken, den man gesund verbringt.