Quelle: Jochen Hank
Fahrsicherheitstraining an der Rennstrecke
Nürburgring. Der Termin ist geblockt: Pünktlich um 9.00 Uhr – nicht auf dem – sondern am Nürburgring. Ziel ist das Fahrsicherheitszentrum. Bei der kurzen, gemütlichen Fahrt durch die Vulkaneifel, mit lockerer Sitzposition und einer Hand am Lenker, stellt sich die Frage: „Was willst Du da eigentlich?“ Dein Führerschein, vor 50 Jahren erworben, ist immer noch derselbe „graue Lappen“, den der Fahrprüfer damals dem Neuling in die schweißnassen Prüfungshände drückte und „Gute Fahrt“ wünschte. Mit der guten Fahrt, das klappte meistens, ein paar Blechschäden eingerechnet.
Es wird ernst
Und nun ich, der Fahr-Oldie, auf dem Weg zum ersten Fahrsicherheitstraining meines Lebens. „Safety + Fun 1 Day“ steht auf der Buchungsbestätigung. Da bin ich gespannt, ob der Tag mehr Sicherheit oder mehr Spaß bringen wird. Am Sicherheitszentrum, ein schneller Blick über den Parkplatz, sofort fallen schnelle Sportwagen und teure Limousinen auf. Soll ich etwa mit denen, ihren Fahrern und meinem Allrad-Jeep „ins Rennen gehen“? Tolle Vorstellung.Nun aber schnell die Anmeldung erledigt, noch einen Latte Macchiato zur Beruhigung, da erscheint schon Instruktor Nico Menzel und bittet die Teilnehmer am Tagestraining in den Sitzungsraum. „Verdammt jung, der Nico“, kann ich gerade noch denken, als er bei seiner Vorstellung meine Vermutung bestätigt. Gerade mal 21 Jahre alt ist unser Instruktor. Vertraut man unser Leben und unsere Autos einem Lehrling an? Ähnliches Misstrauen wohl schon häufiger erlebt, beruhigt Nico: Er ist ein ausgewiesener, professioneller Motorsportler. In Adenau als Sohn eines Rennfahrers geboren, hat er wohl das sprichwörtliche Benzin im Blut. Seine junge Karriere ist beeindruckend: 2006 saß er erstmals im Kart. Von dort und über den Formelsport führte sein Weg in den GT-Sport. Seine größten Erfolge konnte er im Porsche Carrera Cup Asia feiern, wo er 2016 den Meistertitel errang. Inzwischen ist er aber auch häufiger wieder auf dem Nürburgring aktiv. Seit 2017 startet er bei den 24-StundenRennen und fährt die VLN Langstreckenmeisterschaft auf dem Ring.
Also absolut kein Lehrling, der uns gegenübersteht. Uns, das sind sieben Fahrer mit ihren eigenen Fahrzeugen: Andreas, der seine neue Corvette näher kennenlernen möchte, André mit Porsche Carrera will wissen, wie das Auto in Extremsituationen reagiert, Martin mit Porsche 911ist gespannt, wie sich sein Sportwagen in Extremsituationen verhält. Zu erfahren, wie sein Auto reagiert, das ist auch Joachims Ziel, der mit neuem BMW 540 i angereist ist. Michael, mit Skoda-Kombi, beruflich viel im Auto unterwegs, will sicherer in gefährlichen Straßenlagen fahren können. Der jüngste in der Runde ist Fahranfänger Leon mit 18 Jahren, er hat das Training geschenkt bekommen und Freund Jan als Beifahrer mitgebracht. Zuletzt: Der Journalist, der gespannt ist, was der Tag für ihn und sein Fahrzeug an Überraschungen parat hat.
Sicher in Extremsituationen
Vor jeder Praxis darf die Theorie nicht fehlen. Vorab verspricht Nico: „Jeder von Euch wird sich drehen, und nicht nur einmal“. Denn Ziel des Trainings ist, Extremsituationen zu simulieren und lernen, mit ihnen umzugehen. Dabei helfen heutzutage natürlich die vielen Assistenz-Systeme. ABS, ESP, ACC, Kameras und vieles mehr dienen dazu, den Fahrer besonders in Extremsituationen zu unterstützen. In der Theorie lernen wir Nico als äußerst intensiven Instruktor kennen, der nicht müde wird, uns einzutrichtern, dass wir Fahrer es sind, die die Fehler machen.Seien es nun unangepasste Geschwindigkeit, falsche Sitzhaltung oder schlechte Bereifung. Ein weiteres Credo: In Notsituationen immer „voll auf die Bremse“. Soweit die Theorie, aber nun geht’s endlich auf die Strecke. Zuvor werden wir mit Funkgeräten ausgestattet, die aber nur eine einseitige Kommunikation ermöglichen: Wir alle hören Nico, laut und deutlich, können aber nicht antworten. Ist aber verständlich, denn die Hände gehören ans Lenkrad und nicht an die Ruftaste. Bei einer Einführungsrunde, immer brav dem Instruktor folgend, lernen wir die erste Aufgabe kennen. Ein leichter Bergab-Slalom. Das Gemeine daran, die linke Straßenhälfte ist trocken, die rechte nass und rutschig. Eine Situation, die man häufig im Winter antrifft. Die Straßenmitte geräumt, aber die Ränder schneebedeckt. Vor dem Start wird noch bei jedem Fahrer die Sitzposition überprüft. Für mich ist es endgültig mit der Bequemlichkeit im Auto vorbei. Mein Sitz fährt weiter nach vorn, die Rückenlehne wird steiler und das Lenkrad exakter justiert. Ungewohnt, aber wichtig. Wenn Bremsen die Devise in Notsituationen ist, sollte man auch kraftvoll zutreten und mit den Armen nah genug am Lenkrad sein, um schnell und sicher reagieren zu können. Jetzt aber der erste Versuch, der überraschend gut gelingt. Das ändert sich, nur ein paar Stundenkilometer Geschwindigkeit mehr, und es wird erstmals etwas ungemütlich, die letzten Leitkegel werden nicht mehr durchfahren. Die Übung wird jedoch konsequent wiederholt. Immer wieder, immer wieder. Es stellt sich bei jeder Fahrt mehr Routine und Sicherheit ein. Das ist auch Ziel dieser und aller folgenden Übungen: Grenzen tatsächlich zu „erfahren“, um für zukünftige, gefährliche Situationen im Straßenverkehr gewappnet zu sein. Vor jeder neuen Aufgabe wird die Gruppe ausführlich gebrieft und anschließend werden die wichtigen Dinge nochmals besprochen. Kurven bis ans Limit durchfahren, auftauchende Hindernisse umfahren oder Bremsen auf schneeglatter Fahrbahn, das Gelände simuliert alle denkbaren Situationen.
Fazit: Empfehlenswert!
Hat man sich inzwischen auch an „Dreher“ um 180 Grad oder sogar um die ganze Achse zwar nicht wirklich gewöhnt, reagiert man aber doch immer gelassener. Dann sorgt Nico mit der letzten Station nochmals für einen abschließenden Adrenalinkick: Es wird ein ausbrechendes Heck simuliert. Da fährt man geradeaus auf die Übungsfläche, da reißt einem eine Dynmaik- oder Schleuderplatte das Heck herum. Nun heißt es, das Fahrzeug wieder einzufangen. Da helfen die gute Sitzposition und das blitzschnelle Drehen des Lenkrads mit übergreifenden Händen nicht immer. Aber immer öfter. Man erlebt – ein wenig Stolz darf sein – dass sich die Stunden im Sicherheits-Parcours gelohnt haben. Fast automatisch reagiert man richtiger, als vor dem Training. Sowohl für Fahranfänger als auch für Oldies: Ein Fahrsicherheitstraining bedeutet gut angelegtes Geld für die eigene Gesundheit und die der Mitmenschen. Mein ganz persönliches Fazit: So unbequem ist meine neue, sichere Sitzposition gar nicht, ich fahre noch vorausschauender und denke häufig an Instruktor Nico: „Werdet Euch Eurer Geschwindigkeit in jedem Fahrmoment bewusst, Ihr habt erlebt, welche Folgen sonst möglich sind.“