„Die Zeiten ändern sich und wir ändern uns mit ihnen.“
Es gibt die Geschichte vom Lotsen, der das Schiff verlässt. Für Bernhard Halbe, der zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses WOLL-Magazins noch Bürgermeister der Stadt Schmallenberg ist, passt dieses symbolische Bild nicht. Am 30. Oktober endet nach der vierten Amtszeit als Bürgermeister der Stadt Schmallenberg vorerst seine politische Tätigkeit, doch der 62-Jährige bleibt auch weiterhin an Bord. Dreißig Jahre lang, von 1990 bis 1999 als Stadtdirektor und danach als Bürgermeister, hat sich Bernhard Halbe für die Interessen und Belange der Bürgerinnen und Bürger der Stadt Schmallenberg eingesetzt. Die WOLL-Redakteure Tiny Brouwers und Hermann-J. Hoffe haben ihn an einem sonnigen Sommertag im Juli an dem Ort getroffen, wo der sportliche Sauerländer aus Olpe in jungen Jahren erstmals Schmallenberger Boden betreten hat: an der Handweiser Hütte am Skihang in Schmallenberg, wo heute das Bergdorf Liebesgrün beliebter Erholungsort für Gäste aus ganz Deutschland und den Nachbarländern ist.
WOLL: Herr Bürgermeister Halbe, Sie sind seit dem 12. September 1999 Bürgermeister der Stadt Schmallenberg. Warum hören Sie jetzt auf?Bernhard Halbe: Es gibt einige Gründe für den Entschluss. Das kann man nicht alles in einem Satz sagen. Was sicherlich sehr wesentlich ist, ist die hohe zeitliche Beanspruchung durch dieses Amt. Ein anderer Grund ist, dass jeder Mensch älter wird. Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass man zu einem bestimmten Zeitpunkt sagt: Ich habe jetzt meine Leistung erbracht und höre jetzt auf.
WOLL: Hat sich das Amt des Bürgermeisters in den 20 Jahren, die Sie im Amt sind, geändert?
Bernhard Halbe: Es gibt dieses schöne alte lateinische Bonmot: Tempora mutantur et homines in illis. Die Zeiten ändern sich und die Menschen sich in ihnen. Das beschreibt sehr viel. Unsere Gesellschaft ändert sich. Wirtschaftliche, soziale und politische Rahmenbedingungen ändern sich ständig. Damit änderten sich natürlich die Aufgaben. Das Thema Klimaschutz spielte beispielsweise vor 30 Jahren keine Rolle. Die Digitalisierung zeigt die Veränderungen sehr schön. 1990 wurde das Internet erstmals freigeschaltet. Heute haben wir fast alle unser Smartphone dabei. Soziale Netzwerke gab es vor 30 oder 20 Jahren noch nicht. Dafür gab es zwei Zeitungen und einen Hunau-Wilzenberger, der auch politisch engagiert war. Das sind einige Beispiele, an denen die Veränderungen erkennbar sind.
Was auch anders geworden ist: Die Akzeptanz der Menschen für Entscheidungen wird immer schwieriger. Ständig ändern sich Rahmenbedingungen und Herausforderungen, auf die Politik und Verwaltung neue Antworten finden. Nehmen wir das Thema Kinderbetreuung. Vor 30 Jahren kamen die Kinder mit vier bis sechs Jahren in den Kindergarten. Heute gehen Kinder im Alter von sechs Monaten bis sechs Jahren in die Kindertagesstätte und den Kindergarten. Das bedeutet unter anderem, dass im Mitarbeiterkreis der Stadt jetzt wesentlich mehr Erzieherinnen beschäftigt sind.
WOLL: Wie haben die Medien – vor 20 Jahren Radio,Fernsehen und Tageszeitung, heute auch Social Media – die Arbeit beeinflusst?
Bernhard Halbe: Man ist schon sehr hellhörig, weil Journalisten Themen aufgreifen, die die Menschen bewegen. Vieles, was medial transportiert wird, l.st Nachdenken darüber aus, wie die Stadt handelt oder handeln muss. Kritik gehört auch dazu. Die Medien sind die berühmte „vierte Gewalt“. Wobei das nicht selten übertrieben wird. Kritik ist wichtig. Doch häufig bekommen wir im Rathaus keine Kritik mehr, sondern nur noch Verbesserungsvorschläge. Medien lösen eine intensivere Auseinandersetzung mit Sachthemen aus.
WOLL: Man möchte keine schlechte Presse haben?
Bernhard Halbe: Ja, natürlich will keiner schlechte Presse haben. Aber auf der anderen Seite müssen wir solche Warnsysteme haben, um Korrekturen zu finden.
WOLL: Und Sie sind nicht jemand, der schnell sagt: „Fake News“?
Bernhard Halbe: Das ist eine ganz interessante Frage. Dieses Thema gab es früher weniger. Die Menschen argumentieren teilweise völlig uninformiert los. Nehmen wir mal die Bewegung „Fridays for future“. Ich gehöre einer Generation an, die seit 30 Jahren mithilft, die Umweltbedingungen, den Umweltschutz zu verbessern. Und dann kommt das 17-jährige oder 16-jährige Mädchen und erklärt uns, wir würden die Welt zum Untergang führen. Das finde ich einfach nicht in Ordnung. Es ist aus meiner Sicht wichtig, dass man sich erst einmal darüber informiert, was in der Vergangenheit passiert ist, wie sich etwas entwickelt hat. Man muss sich damit auseinandersetzen. Auch mit Fake News. Die haben ja ihren Grund. Wodurch und warum sind sie entstanden?
WOLL: Welches Bild von der Stadt Schmallenberg hat der Bürger Bernhard Halbe als Erstes im Kopf?
Bernhard Halbe: Gute Lebensbedingungen. Das hat besonders mit dem zu tun, womit man sich beschäftigt und was gerade angesagt ist. In ein Bild gefasst: der Blick vom Beerenberg auf Schmallenberg – aus der Natur auf die lebendige Stadt. Alles ist gut geraten.
WOLL: 1990 als „Buiterling“ von Olpe nach Schmallenberg: Wie hat sich das damals persönlich angefühlt?
Bernhard Halbe: Meine Frau und ich haben Olpe ja bereits 1981 verlassen und waren zehn Jahre unterwegs. Der Weg nach Schmallenberg war im Grunde ein Zurück ins Sauerland. Es gibt so einen Takt im Sauerländer Jahresablauf, mit Schützenfesten, kirchlichen Hochfesten. Das hatten wir dann wieder. So bin ich aufgewachsen.
WOLL: Hat man nach 30 Jahren politischer Tätigkeit und bürgerlichem Engagement in der Stadt Schmallenberg das Gefühl, angekommen zu sein und als „Einheimischer“ oder „Pohlbürger“ wahrgenommen zu werden?Bernhard Halbe: Ja und nein. Das Gefühl, angekommen zu sein, hat man nach deutlich weniger Jahren. Das ist auch nach zwei oder drei oder vier Jahren schon da. Ich kenne Schmallenberg umfassender als viele Pohlbürger. Aber letzten Endes ist es eben eine Generationentradition. Unsere Kinder sind hier aufgewachsen.
WOLL: Welches Ereignis in den vergangenen 30 Jahren hier in der Stadt hat Sie ganz besonders beeindruckt?
Bernhard Halbe: Persönlich war das sicher die erste Bürgermeisterwahl im Jahr 1999.
WOLL: Warum?
Bernhard Halbe: Nun, die Wahl war durchaus umkämpft. Der Beruf des Stadtdirektors wurde abgeschafft, und mit so etwas muss man ja auch erstmal zurechtkommen. Und das war schon ein Unterschied: die Wahl zum Stadtdirektor auf acht Jahre oder auch länger, wenn es gut geht, und dann ein Stadtrat oder eine Bürgermeisterwahl durch die Gesamtbevölkerung. Dafür muss man richtig kämpfen. Und das ist dann schon ein großes Erlebnis, wenn es funktioniert hat. Da fühlt man sich schon sehr, sehr gut.
WOLL: Ist alles nach Plan verlaufen?
Bernhard Halbe: Privatleben und Beruf muss man hier unterscheiden. Geplant war, hier in Schmallenberg Stadtdirektor zu bleiben, bis sich das System geändert hat. Also, so gesehen, nicht. Es ist ja jedes Mal auch wieder eine Entscheidung gewesen, erneut zu kandidieren. Die Wiederwahl zum Bürgermeister mit einem sehr hohen Prozentsatz hat sehr gutgetan. Also ist, nach dieser Entscheidung, sich als Bürgermeister zur Wahl zu stellen, schon alles nach Plan gelaufen.
WOLL: Sie waren mehr ein diplomatischer als ein charismatischer Bürgermeister. Stimmt das?
Bernhard Halbe: Das ist das Naturell. Und man möchte sich keine unnötigen Probleme schaffen. Unnötige Probleme kosten Zeit, die dann woanders fehlt.
WOLL: Den Sauerländern sagt man eine gewisse Starrköpfigkeit nach. Hin und wieder hört man, dass diese bei den Olpern besonders ausgeprägt sei. Ist das so und hat das bei der Arbeit als Bürgermeister in Schmallenberg geholfen?
Bernhard Halbe: In Olpe meint man, das sei in Schmallenberg so.
WOLL: Bernhard Halbe war in seiner Jugend ein hervorragender Volleyball-Spieler. In Schmallenberg hat dieser Sport aber nicht den richtigen Durchbruch geschafft. Oder?
Bernhard Halbe: Als ich nach Schmallenberg gekommen bin, war ich 32. Da ist das eigene sportliche Engagement altersmäßig schon im Herbst angekommen. Man kann dann zum Spaß weiterspielen. Das ist damit auch ein Stück der vorherigen Antwort. Ich bin durch die berufliche Beanspruchung, die gerade am Wochenende stattgefunden hat, überhaupt nicht in der Lage gewesen, Trainingszeiten oder Spielzeiten einzuhalten.
WOLL: Schmallenberg hat 83 Orte. Ist Bürgermeister Bernhard Halbe wenigstens einmal in jedem Dorf der großen Stadt gewesen?
Bernhard Halbe: Selbstverständlich.
WOLL: Welche drei Schmallenberger Orte haben den prägendsten Eindruck hinterlassen?
Bernhard Halbe: Im Grunde sind es die vielen Landes- und Bundesgolddörfer. Die ausgezeichneten Dörfer sind die, wo ich jedes Mal besonders aufgenommen wurde, wo ich eingetaucht bin, gute Beziehungen aufgebaut habe. Das sind schon sehr positive Beispiele.
WOLL: Im Fußball ist jetzt mit dem FC Arpe/Wormbach ein Dorfverein in die Landesliga aufgestiegen und repräsentiert dort die Stadt Schmallenberg. Wie sieht der Bürgermeister diese, auch in anderen Bereichen immer wieder zu erkennende herausragende Stellung der kleineren Dörfer in der Stadt?
Bernhard Halbe: Ich habe diese Entwicklung immer stark gefördert. Ein Thema waren zum Beispiel die Gewerbeflächen in den Orten. Das ist mir immer ein gro.es Anliegen gewesen. Oder Bauplätze. Der soziale Zusammenhalt in unseren kleinen Dörfern ist so klasse. Was für Ideen sie da haben. Das ist, glaube ich, auch insgesamt das, was die Stadt Schmallenberg auszeichnet.
Ich war vor einem Jahr auf einer Podiumsdiskussion in Düsseldorf zu Gast. Thema war die ländliche Entwicklung der Dörfer. Da sagte ich: Meine Frau kommt aus einem Ort mit vier Häusern. Aus dem Publikum kam dann die Frage: „Was ist denn für diese Menschen die Bezugsgröße?“ Meine Antwort: diese vier H.user. Genau dieses Dorf. Nicht das Nachbardorf und nicht die Stadt. Der soziale Lebensraum ist dieses Dorf. Auch da gibt es gut funktionierende und weniger gut funktionierende. Aber im Grunde, auch wenn es nicht funktioniert, ist es immer das Dorf.
WOLL: Welche Persönlichkeiten aus der Stadt Schmallenberg haben Sie in den vergangenen Jahren besonders beeindruckt?
Bernhard Halbe: Ich nenne hier Dieter Ruddies, Röttger Belke-Grobe und auch Karl Knipschild. Aber es gibt noch einige mehr.
WOLL: Zur Zukunft der Stadt Schmallenberg: Wie sieht Schmallenberg im Jahr 2050 aus, wenn weitere 30 Jahre vergangen sind?
Bernhard Halbe: Darüber wollte ich mal ein Buch schreiben. Alle Familien haben wieder drei Kinder, der Kirchenbesuch hat wieder stark zugenommen. Das Engagement vor Ort ist geblieben und wächst.
WOLL: Das sind „konservative“ Schwerpunkte …
Bernhard Halbe: Ja, ich weiß nicht, ob man nicht mal so einen fiktiven Zukunftsplan formulieren sollte. Wie entwickelt sich Zusammenleben? Ich versuche seit langen Jahren das Gemeinsame zu betonen. Ich sehe ein gro.es Problem in den Diskussionen der Gesellschaft, in denen eigentlich immer nur der Exponent für Wenige in den Vordergrund gestellt wird. Das ist ganz falsch. Wir müssen die Gemeinsamkeiten betonen. Dass man miteinander unterwegs ist. Wenn das in 30 Jahren auch noch so ist, dann ist das gut. Das ist ja immer so ein Stück Politikinhalt gewesen. Politik für alle durch niedrige Kosten, Gebühren und Beiträge und ähnliches. Das war mir auch immer ganz wichtig.
WOLL: Wird in 30 Jahren noch Metall bearbeitet? Wird die Motorsäge noch benutzt?
Bernhard Halbe: Die Motorsäge hat dann einen Akku. Das ist ja alles ein Blick in die Kristallkugel. Ich vertraue jedenfalls fest darauf, dass die Menschen in Schmallenberg die Veränderung bewältigen, egal, wie sich die Welt entwickelt. Das ist auch die Erfahrung der letzten 30 Jahre. Wenn man mal sieht, wie viel sich verändert hat, auch im wirtschaftlichen Bereich. Das Wachstum im Bereich Maschinenbau ist enorm. Der Strukturwandel in der Textilindustrie und in der Landwirtschaft waren schon gewaltig. Man nimmt hier die Probleme in die eigenen Hände und löst sie. Und wenn ein Betrieb dichtmacht, dann entstehen zwei neue. Diese starke Mentalität der Menschen hier wird auch die Probleme in der Zukunft lösen.
WOLL: Was macht der Bürger Bernhard Halbe ab Oktober, wenn der neue Bürgermeister die Amtsgeschäfte übernimmt?
Bernhard Halbe: Wenn die Frage in Richtung politische Tätigkeiten geht, dann gibt es mindestens ein Sabbatjahr. Der Anstand gebietet, dass man sich zurückzieht. Wenn ich gefragt werde, werde ich gerne Antworten geben. Einen Tag in der Woche werde ich in den Wald gehen. Ab Januar werde ich ja nebenamtlicher Vorstand der Wohnungsgenossenschaft in Meschede. Das betrifft zwei Tage in der Woche. Das ist ganz passend. Bauen und Stadtentwicklung, damit habe ich mich immer gerne beschäftigt. Und das Thema sozialverträgliche Mieten war mir auch immer sehr wichtig. Somit bleibe ich zwei Tage in der Woche im Geschehen. Und außerdem: Die Antwort auf die Frage kann man ja erst geben, wenn es so weit ist. Dann muss ich mal gucken, was passiert. Ich will ja mehr Zeit haben. Und weniger Druck.
WOLL: Blicken Sie nach 30 Jahren Arbeit in der Verwaltung der Stadt Schmallenberg zufrieden zurück?
Bernhard Halbe: Sehr zufrieden. Weil die Verwaltung ausgesprochen gute Arbeit leistet. Die Rechnungsprüfer finden nichts. Ich habe eine hohe Meinung von meiner Verwaltung. Kommunalverwaltungen werden, aber das ist jetzt vielleicht auch eine Herzensangelegenheit, im Allgemeinen sehr unterschätzt. Wir haben mindestens 50 Leute, die studiert haben, aus den verschiedensten Disziplinen. Natürlich klassisch Verwaltung, aber auch Jura, Wirtschaftswissenschaften. Dann soziale Arbeit. Die ganzen Ingenieure. Hochbau, Tiefbau und so weiter. Wenn es gelingt, dass so eine Verwaltung in der Stadtentwicklung positive Akzente setzt und das auch noch kostengünstig schafft, dann kann man schon stolz darauf sein. Das bin ich auch.
WOLL: Was wir beobachten – dass Sie immer ein kleines Heftchen dabei haben. Können Sie uns sagen, was Sie damit machen?
Bernhard Halbe: Heute habe ich Urlaub und keins dabei. Sonst schon, das stimmt. Darin schreibe ich auf, was den Menschen in der Stadt wichtig ist. Das gebe ich später im Rathaus an die betreffenden Stellen weiter. Das Heftchen ist dazu da, dass ich nichts vergesse, was ich mir merken muss. So einen Zettel findet man immer wieder.
WOLL: Ein abschließender Satz über die Zeit als Bürgermeister der Stadt Schmallenberg …
Bernhard Halbe: Aus meiner Sicht – ich habe einen guten Platz im Leben gefunden.