Judith Barbara Mendel-Koch aus Rixen beherrscht ein ganz besonderes Handwerk: Sie ist Orgelbaumeisterin. Sie lernte ihren Beruf in den 50ern und 60ern, einer Zeit, in der viele Frauen keine Ausbildung hatten. Und mehr noch: Die 74-Jährige wurde schließlich im Jahr 1968 die zweite Orgelbaumeisterin überhaupt in Deutschland.
Es ist etwas ganz Besonderes, vor seinem eigenen Instrument zu stehen, noch dazu, wenn es so riesig ist. Judith B. Mendel-Koch blickt beim WOLL-Ortstermin in der St.-Agatha-Kapelle in Meschede-Olpe auf ihr Werk im Innenraum der Kirche, vorne links vorm Altar: „366 Pfeifen auf sieben Registern“, sagt sie. Was, so viele? Von außen sieht man vor allem die größten, die riesigen Pfeifen des Prinzipal 8 direkt an der Wand hinter der Orgel. „Schön ist, dass diese Orgel die Gemeinde direkt anspricht“, sagt die Orgelbaumeisterin und klappt die Abdeckung am Spieltisch auf.
Judith B. Mendel-Koch kommt aus einer Orgelbauer-Familie und lernte bei ihrem Vater in Brilon-Rixen. Sie besuchte die Fachschule für Orgelbau in Ludwigsburg und gewann 1965 den Leistungswettbewerb der deutschen Handwerksjugend, wurde 1. Bundessieger. Die weibliche Form „Siegerin“ existierte damals noch nicht. Sie erwarb die Fachhochschulreife in Olsberg und machte mit 22 Jahren, nach drei Gesellenjahren, die Meisterprüfung: „Dafür brauchte ich noch die Unterschrift meines Vaters.“ Ehrgeiz ist neben der Liebe zum Beruf und einem geerbten sehr guten Gehör eines der Erfolgsgeheimnisse von Judith B. Mendel-Koch.
In St. Agatha Olpe schaltet die 74-Jährige nun den Motor der Orgel an. „Als nächstes hole ich immer das Thermometer raus“, sagt sie. Es ist kalt in der Kapelle, rund acht Grad. Luftfeuchte und Temperatur spielen eine entscheidende Rolle beim Stimmen einer Orgel. „Ideal sind 15 Grad bei 60 Prozent Luftfeuchtigkeit“, erklärt die Rixenerin. Sie öffnet eine Tür, die hinter die Orgel in einen eigenen Raum führt, holt eine Leiter heraus, steigt hoch zu den großen metallenen Orgelpfeifen an der Wand, das Prinzipal 8. „Sie sind aus 48 Prozent Blei und 52 Prozent Zinn, sehr hochwertig und empfindlich“, sagt sie und zieht Handschuhe an.
Orgelbau ist ein hochkomplexes Handwerk. Ohne die Tradition, ohne ihren Vater, Orgelbaumeister Rudolf Thaddäus, der von 1911 bis 1998 lebte und wirkte, und auch nicht ohne ihren Großvater Emil Mann wäre sie wohl nie zu diesem Beruf gekommen, sagt Judith B. Mendel-Koch. Bis 1979 arbeitete ihr Vater in Rixen mit, es ist auch das Jahr, in dem sie die letzte eigene Orgel für die St.-Anna-Kapelle in Brilon-Wülfte fertigstellten. Neben vielen Reparaturen und großen Umbauten von Orgeln entstanden insgesamt 75 Neubauten, zum Beispiel auch in Winterberg-Altastenberg. „Mein Vater ließ auch 16 historische Orgeln im Sauerland unter Denkmalschutz stellen, die heute alle restauriert und berühmt sind, z. B. in Oelinghausen, Klosterbrunnen und Reiste.“ Einige Schmuckstücke im Marsberger Raum, zum Beispiel in Helminghausen, sowie eigene Orgeln betreut die rüstige Sauerländerin bis heute.
In Olpe sitzt Judith B. Mendel-Koch nun am Spieltisch aus Sauerländer Eiche. Sie zieht ein erstes Register, öffnet also der Luft in diesen Pfeifen die Pforten, drückt die ersten Tasten. Hmhhh, hört sich aber noch ein bisschen dünn an. Sie nimmt ein weiteres Register hinzu, spielt. „Hören Sie, das passt doch gut zusammen“, sagt sie zufrieden. „Das klingt vielleicht merkwürdig, aber es ist irgendwie so, als ob man ein Kind hat, ein Instrumentenkind. Wenn ich eine Orgel nach langer Zeit spiele, dauert es zwar ein bisschen, bis ich wieder mit ihr verbunden bin, aber es ist jedes Mal neu einfach schön.“
Ihren Sohn Christoph hat Judith B. Mendel-Koch schon ganz klein im Wägelchen mit auf die Empore genommen, „auch die ein oder andere Haushälterin des Pfarrers hat sich um ihn gekümmert“. Eine Orgel zu installieren dauere von 14 Tagen bis zu vier Wochen. Unter anderem vier Orgeln im Raum Frankfurt sowie zwei in Bayreuth baute sie gemeinsam mit ihrem Vater auf. Bis zu sechs Mitarbeiter beschäftigte der Betrieb. „Nach dem Aufbau kommt das Intonieren, das dauert auch Wochen“, so die 74-Jährige. Ein ständiges Hoch- und Runtergehen und Horchen. „Können Sie das denn überhaupt?“, hat sie mal ein studierter Organist gefragt. „Wenn ich es mir nicht zutrauen würde, machte ich es nicht“, hat sie geantwortet. „Zum Stimmen schicken Sie mir bitte Ihre Tochter“, erklärte der Musiker kurz darauf ihrem Vater. Die Rixenerin hat sich immer durchbeißen müssen. Mit Erfolg: Die Handwerkskammer Stuttgart ehrte sie mit dem goldenen Meisterbrief.
In St. Agatha Olpe kamen die großen Orgelpfeifen an der Wand, die jetzt erklingen, das Prinzipal 8, erst später dazu, gesponsert von der örtlichen Firma „Pfiff“ Pfitzner Reitsport. „Bis zum fertigen Instrument ist es immer ein langer Weg“, sagt Judith B. Mendel-Koch. Gemeinsam mit der Kirche und dem Organisten plante sie die Orgeln nach den finanziellen Möglichkeiten. Es folgte das Zeichnen und dann das eigentliche Handwerk, bis auf die Metallpfeifen wurde alles selbst gebaut. Echte körperliche Arbeit: „Hobeln, Zinken, die Verbindungen herstellen.“
Judith B. Mendel-Kochs Meisterstück steht in der Pfarrkirche Maria Himmelfahrt in Waldeck am Edersee. Auf Reisen mit ihrem Mann Herbert Johannes Koch schaut sie sich selbstverständlich immer auch andere Orgeln an: „Zum Beispiel die Silbermann-Orgel in der Schlosskirche in Dresden, die ist schon ein Schmuckstück.“ Was aber, wenn woanders ein Instrument mal so gar nicht klingt? „Das kann an der Orgel, aber vielleicht auch am Organisten liegen. Dann versuche ich, falls irgend möglich, rauszugehen.“ Dezent, aber konsequent, eben eine Meisterin der feinen Töne.