Ausbildung macht mehr aus Menschen

Informationsdefizit bei Jugendlichen und Eltern entgegenwirken

Es ist wohl eines der wichtigsten Themen unserer Zeit: der Fachkräftemangel. Kaum ein Statement eines Politikers kommt ohne einen Hinweis auf dieses Phänomen aus. Und fast jeder Unternehmer sieht im Fachkräftemangel die größte Herausforderung für sein Unternehmen und die gesamte Wirtschaft. Eine übergeordnete Rolle bei der Lösung dieses Problems spielt die Ausbildung junger Menschen. Die Attraktivität der dualen Ausbildung und ihre Bedeutung für die Wirtschaft rückt unter anderem die aktuelle Azubi-Kampagne der IHKs „Jetzt #könnenlernen“ in den Fokus. Wir haben mit Klaus Bourdick von der IHK Arnsberg, der gleichzeitig Fachpolitischer Sprecher für Bildung und Fachkräfte der IHK NRW ist, über das neue Ausbildungsjahr 2023/24 und die Azubi-Kampagne gesprochen.

WOLL: Herr Bourdick, die Industrie- und Handelskammer Nordrhein-Westfalen (IHK NRW) freut sich zu Beginn dieses neuen Ausbildungsjahres, das am 1. August begonnen hat, über einen Anstieg von 5,4 Prozent bei den neu abgeschlossenen Ausbildungsverhältnissen. Warum braucht es dann eine aufwendige Azubi-Kampagne?

Klaus Bourdick: 5,4 Prozent mehr Ausbildungsverträge im Vergleich zum Vorjahr sind ein hervorragendes Ergebnis für die Unternehmen aus Industrie, Handel und Dienstleistungen, insbesondere wenn man weiß, dass die Anzahl an Bewerberinnen und Bewerbern in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen ist. Das bedeutet, die Ausbildung steht bei den jungen Menschen mehr denn je hoch im Kurs. Trotzdem sind viele angebotene Ausbildungsstellen in NRW unbesetzt geblieben und gemeinsam mit unseren Unternehmen tragen wir mit der Kampagne dazu bei, die Lücke möglichst zu schließen. Denn eines ist klar: Der Azubi von heute ist die Fachkraft von morgen und dieser Bedarf wird weiter steigen.

WOLL: Ist die Entwicklung im Kammerbezirk Arnsberg mit den beiden Kreisen Soest und Hochsauerlandkreis ähnlich wie in ganz NRW oder brauchen die Unternehmen hier die Attraktivität der dualen Ausbildung den Jugendlichen und Eltern nicht zu erläutern?

Klaus Bourdick: Wir hatten schon im letzten Jahr einen sehr guten Zuwachs an Ausbildungsverträgen in der Region, sogar mehr als der Durchschnitt in NRW. Trotzdem: Auch in unserer Region sind viele, wenn nicht prozentual sogar mehr Ausbildungsplätze unbesetzt geblieben. Es gilt also das gleiche wie in NRW insgesamt: Es muss uns gelingen, noch mehr junge Menschen für eine Ausbildung zu gewinnen. Das bedeutet auch, Eltern davon zu überzeugen, dass eine Ausbildung eine gute Grundlage für die berufliche Karriere ist. Das machen wir hier in der Region gemeinsam mit vielen Partnern über unser Portal karriere-hier.de. Das ist der zentrale Anlaufpunkt für alle, die sich über Ausbildung in der Region informieren wollen. Hier zeigen wir erfolgreiche berufliche Karrieren und den Weg dahin. Was wenige wissen: Der Weg in ein erfolgreiches Berufsleben ist selten Schule, Abitur, Studium, Karriere. Hier klären wir auf und zeigen Perspektiven.

WOLL: Es ist immer wieder zu hören, dass die Jugendlichen und ihre Eltern die neuen Ausbildungsberufe überhaupt nicht kennen. Wie kann das sein?

Klaus Bourdick: Genau aus diesem Grunde haben wir uns mit den Partnern in der Region verständigt, einen zentralen Informationspunkt mit karriere-hier.de zu schaffen. Es ist teilweise erschlagend, wie viele Informationen beispielsweise im Internet zum Thema Berufswahlorientierung zur Verfügung stehen. Das schreckt manchmal eher ab, denn viel Informationsangebot ist nicht gleich Transparenz. Dann wird vielfach auf Berufe zurückgegriffen, die man aus dem Alltag kennt oder die Bekannte oder Freunde ausüben. Hier gilt es, gemeinsam mit den Unternehmen mehr Transparenz zu schaffen.

WOLL: Bei Gesprächen mit jungen Auszubildenden sagen diese sehr häufig, dass der entscheidende Anstoß für die Berufswahl die Ferienarbeit oder ein Praktikum gewesen sei. Müsste man dann nicht diese Form des Kennenlernens eines Ausbildungsberufes deutlich erweitern?

Klaus Bourdick: Definitiv, das hören wir aus unseren Unternehmen ebenfalls. Praktika oder auch die Ferienarbeit sind sehr wichtig, denn sie ermöglichen direkte Einblicke und Erfahrungen in Unternehmen. Sie bieten dabei die Chance, bisher unbekannte und spannende Berufe kennenzulernen. Zusätzlich können beide Seiten prüfen, ob man auch menschlich gut zusammenpasst. Das ist auch eine wichtige Grundlage für einen erfolgreichen Ausbildungsverlauf.

WOLL: Die IHK bietet ein umfassendes Informationsund Beratungsprogramm für die Ausbildungs- und Karrieremöglichkeiten an. Wird dieses Angebot von Jugendlichen und Erziehern ausreichend genutzt?

Klaus Bourdick: Wir bieten das mit unseren Partnern gemeinsam an. Es geht zunächst darum, junge Menschen und ihre Eltern über die Chancen einer Ausbildung zu informieren und für diesen Berufsweg zu begeistern. Das gelingt uns, wenn wir auf die Entwicklung der Ausbildungsverträge schauen, gut. Das Bessere ist immer der Feind des Guten und daher werden wir weiter versuchen, unsere Angebote noch besser an die Zielgruppe zu bringen, beispielsweise mit unseren Ausbildungsbotschaftern.

WOLL: Was sagen Sie einem Jugendlichen, der Sie fragt, warum er gerade hier im Sauerland eine Ausbildung beginnen sollte?

Klaus Bourdick: Weil wir in einer lebenswerten Region leben, in der es zusätzlich viele interessante und erfolgreiche Unternehmen gibt, die vielfältige Karrierechancen bieten. Die ideale Grundlage, um Leben und Beruf gut miteinander zu verbinden.

WOLL: Das Image eines Berufes und die Verdienstmöglichkeiten, aber auch das Image der Firma und das Betriebsklima sind wichtige Faktoren, die bei der Berufsentscheidung oder einem Stellenwechsel eine Rolle spielen. Was sollten Unternehmen außerdem noch als Vorteile für eine Ausbildung und/oder eine Karriere im Sauerland hervorheben?

Klaus Bourdick: Es ist wichtig, das junge Menschen nicht nur davon hören, welche Chancen die Unternehmen und die Region bieten, sondern dass sie es auch erleben können. Daher empfehlen wir unseren Unternehmen, frühzeitig Bindungen über Praktika aufzubauen, um sich so als zukünftiger, attraktiver Arbeitgeber zu präsentieren. Anders als vielleicht in anderen Regionen zählt im Sauerland immer noch die Tat und dann das Wort. Insofern überzeugt ein gutes Praktikum mehr als Werbeslogans allein.

WOLL: Ein Blick in die nahe Zukunft. Wie sieht der Ausbildungs- und Arbeitsmarkt in fünf Jahren im Sauerland aus?

Klaus Bourdick: Die Demografie ist der Megatrend, der den Arbeits- und Fachkräftenachwuchs in den nächsten fünf Jahren auch im Sauerland bestimmen wird. Dieser ist, im Vergleich mit vielen anderen Herausforderungen für die Unternehmen, zumindest berechenbar. Leider ist er jedoch nicht kurzfristig zu beeinflussen. Tatsache ist: Das Erwerbspersonenpotential wird in den nächsten Jahren weiter deutlich zurückgehen. Daher werden wir auf der einen Seite versuchen müssen, alle Potentiale zu nutzen, um ein ausreichendes Angebot an Arbeitskraft sicherzustellen. Dazu ist natürlich in erster Linie die Ausbildung zu stärken. Auf der anderen Seite sollten wir dafür sorgen, dass mehr Vereinbarkeit von Familie und Beruf möglich wird. Das bedeutet, mehr Angebote für Kinderbetreuung und Unterstützung für pflegende Angehörige in der Region zu schaffen. Was uns zusätzlich helfen kann, sind die Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung und der künstlichen Intelligenz. Das setzt allerdings die Bereitstellung einer entsprechenden, technischen Infrastruktur voraus. Ich bin mir jedoch sicher, dass uns das gemeinsam mit den Unternehmen, der Politik und der Verwaltung gelingen wird. Wir sind schließlich in einer Region, die macht.

WOLL: Vielen Dank, Herr Bourdick, für das Gespräch und die hoffnungsvollen Aussichten für das Sauerland.