Auf dem Sauerland-Camino durch Eslohe

Pilgern auf uralten Wegen

 „Ich bin dann mal weg“, nannte Hape Kerkeling 2006 seinen Erfahrungsbericht einer Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela im Nordwesten Spaniens. 100 Wochen lang war sein Buch auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste, was nicht so häufig vorkommt. Er verhalf auch den Jakobswegen in Deutschland zu breiter Popularität in allen Bevölkerungskreisen. Dass mit „Camino“ ein Pilgerweg im Norden Spaniens gemeint ist, weiß heute nahezu jeder – auch diejenigen, die sich ansonsten mit christlicher Kultur und alten Traditionen wenig verbunden fühlen. Pilgern muss leicht möglich sein. Die Wege sollten idealer Weise vor der eigenen Haustür beginnen. Der Sauerland- Camino macht das heute – wie schon vor Jahrhunderten – wieder möglich.

Wege vor der eigenen Haustür beginnen

Im Mittelalter durchzog ein recht engmaschiges Netz von Jakobswegen ganz Westeuropa. Spätestens mit der Aufklärung im 18. und 19. Jahrhundert verloren sie zusehends an Bedeutung und gerieten in Vergessenheit. Schon lange vor Hape Kerkelings Buch begannen Historiker und Heimatforscher wieder damit, die alten Pfade aufzuspüren, das Netz der Jakobswege neu zu knüpfen und Lücken zu schließen. Im Sauerland war dies vor allem das Ehepaar Annemarie und Herbert Schmoranzer aus Meschede-Remblinghausen, unterstützt vom Sauerländer Heimatbund, den Jakobusfreunden Paderborn und dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe. Sie haben – gemeinsam mit ehrenamtlich engagierten Menschen in ganz Europa – die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Pilgern wieder fast wie im Mittelalter möglich ist. Die letzte Lücke im Camino-Netzwerk im Sauerland war der 134 km lange Wegabschnitt von Paderborn nach Elspe. Nun ist auch diese Lücke geschlossen. Wer will, kann nun von der Heimat bis zum Grab des Heiligen Jakobus des Älteren im äußersten Nordwesten Spaniens auf markierten Wegen zu Fuß reisen.

Von Paderborn nach Elspe

In Santiago de Compostela zu Fuß anzukommen, ist ein gewaltiges Erlebnis, das der Pilger für den Rest seines Lebens fest im Gedächtnis haben wird. Es ist das große Gemeinschaftserlebnis, mit so vielen anderen Menschen aus so vielen Ländern an einem gemeinsamen Ziel angekommen zu sein. Bilder davon prägen sich fest im Kopf ein: die Silhouette der Kathedrale mit ihrer fast 1.000-jährigen Geschichte, wenn sie am Horizont auftaucht – das Glücksgefühl, es geschafft zu haben, das sich mit der Traurigkeit darüber mischt, dass ein wertvolles Stück Lebenszeit gerade zu Ende geht – der mit einem in jeder Hinsicht bunten Menschenmix gefüllte Platz vor der Kathedrale – das riesige Weihrauchfass, das in weiten Schwüngen durch große Teile des Kirchenschiffs geschwungen wird. Und doch ist das Ziel gar nicht das Wichtigste beim Pilgern auf dem Camino. Die Frage, ob es wirklich die echten Gebeine von einem der ersten Jünger Jesu sind, die dort in der Kathedrale aufbewahrt werden, tritt in den Hintergrund. Es geht nicht um den physisch realen Menschen Jakobus den Älteren, sondern um das, wofür er heute steht: für das ganz besondere, spirituelle Erlebnis des Pilgerns, bei dem nicht einmal zwangsläufig der christliche Glaube ein Hauptantrieb sein muss. Deshalb muss auch nicht jeder Jakobspilger unbedingt in Santiago de Compostela ankommen. Ein schattiges Wegstück im Sauerland kann genauso wertvoll sein wie die letzten Kilometer in der Hitze Spaniens.

Jeder Abschnitt des weiten Netzes aus Jakobswegen hat seinen zuständigen Pilgerbegleiter. Für den Wegabschnitt von Reiste bis Obermarpe durch die Gemeinde Eslohe ist dies Norbert Sapp aus Isingheim. Er bringt es auf den Punkt: „Der Jakobsweg im Sauerland von Paderborn bis Köln ist mindestens so schön wie der Weg in Spanien und bietet ebensolche Begegnungen mit Menschen.“ Im Jahr 1992 kam er in Kontakt mit dem Ehepaar Schmoranzer und stellte fest, dass der mittelalterliche Pilgerweg buchstäblich direkt an seiner Gartenhecke in Isingheim entlangführt. „Ich war überrascht zu erfahren, an welchem hochkarätigen und alten Weg wir wohnen.“ Er beteiligte sich an der detektivischen Arbeit, die möglichst originalgetreue Wegeführung zu finden, suchte alte Baumreihen, die einmal die Straßen markierten, und stieg in zugewucherte Hohlwege hinab. „Wer mit offenen Augen durch die Landschaft geht, findet noch manche Spuren der alten Wege“, weiß er zu erzählen. Auf solche Zeichen muss sich der normale Pilger heute natürlich nicht verlassen. Auch der Esloher Camino-Abschnitt wurde von Norbert Sapp inzwischen so markiert, wie sich das für einen Jakobsweg gehört: mit gelber Jakobsmuschel auf blauem Grund. Dabei zeigt das Schloss der Muschel immer in Richtung Santiago de Compostela. In die Gegenrichtung wird der Weg traditionell nicht markiert. Die Marschrichtung ist klar.

Jakobus-Bazillus

Zunächst interessierte sich der Isingheimer Pilgerbegleiter nur für den Weg vor seiner Haustür. Seine erste eigene Pilgerfahrt führte ihn die 15 km bis zur Jakobuskirche in Elspe. „Es gibt nichts schöneres, als an einem Sonntagmorgen durch Gottes schöne Natur zu pilgern und in Elspe an einem Patronatsfest teilzunehmen“, erzählt er begeistert. Ein Risiko sei aber dabei: der Jakobus-Bazillus. Laut Annemarie Schmoranzer mache er zwar nicht krank, aber süchtig. So erging es auch Norbert Sapp. Natürlich ist er inzwischen auch in Santiago de Compostela gewesen, hat die letzten 125 km zu Fuß zurückgelegt, hat die begehrte Compostela-Urkunde bekommen und darf seither den „Orden“ der Jakobspilger tragen: die Jakobsmuschel am Band. Redet er über das Pilgern, kommt er ins Schwärmen: „Pilgern heißt, einen Gottesdienst mit den Füßen beten. Es ist wie das wahre Leben: mal raue Abschnitte und mal ganz behagliche. Mal ist auch ein Regenschauer ganz wohltuend.“ Diesen Wechsel der Gefühle bietet schon der kurze Abschnitt durch die Gemeinde Eslohe. Zwischen Bremke und Bremscheid geht es steil und rutschig auf einem engen Pfad durch einen Buchenwald bergab. In Bremscheid lädt die Jakobuskapelle direkt am Weg zum stillen Verweilen oder einem Gebet ein. Hinter Isingheim geht es lang und steil einen Teerweg hinauf. Oben erwartete den Pilger dann ein flache , aussichtsreicher, ganz bequemer Weg. Im Marpetal geht es schattig und flach unter äumen dahin.

Bremke, Bremscheid, Isingheim

Ebenso wichtig wie das Wegeerlebnis sind die Begegnungen mit anderen Pilgern. Norbert Sapp kam über seine Gartenhecke in Isingheim hinweg mit zwei Brüdern ins Gespräch. Sie pilgerten den Sauerland-Camino, so erzählten sie, weil ihre Wurzeln im Sauerland lägen. „Wenn wir uns noch eine Weile unterhalten, sind wir am Ende noch verwandt“, scherzte Norbert Sapp. Und siehe da: Im weiteren Gesprächsverlauf fand sich ein paar Generationen zurück und um ein paar Ecken herum zumindest eine angeheiratete Verwandtschaft. „Vielleicht sind es solche Begegnungen, die süchtig machen“, überlegt Norbert Sapp. „Pilgerbekanntschaften, Menschen, mit denen man eine Zeit lang gemeinsam geht, erzählt man vielleicht leichter von Dingen, über die man mit guten Bekannten aus der Heimat gar nicht sprechen kann. Mehrere Schultern tragen es dann und auf einmal wird es leicht. Von der Gruppe, die sich spontan auf dem Weg findet, wi d man getragen.“

„Wichtig sind die Dinge, die sich beim Pilgern in die Seele einprägen“, sagt Norbert Sapp. Wem das nicht reicht, der kann sich im Sauerland – genau wie auf dem Camino in Spanien – an vorgegebenen Stempelstellen seinen Stempel ins Pilgerbuch drücken lassen. Die derzeit verfügbaren Stempelstellen und der genaue Wegeverlauf werden im neuen Pilgerführer von Annemarie Schmoranzer beschrieben, der gerade im WOLLVerlag erschienen ist. Viele Wege stehen darin, die es zu entdecken gibt.

In Norbert Sapps Stimme schwingt die Vorfreude mit, wenn er sagt: „Ich freue mich auf meine zukünftigen Wege. Drei Tage auf dem Pilgerweg stärken mehr als zwei Wochen Urlaub!“