Quelle: Torben Orgelmacher
Andreas Neagu ist seit dem 1. Juni 2021 Bundestützpunkt-Trainer Bob in Winterberg. Zuvor arbeitete er hier als Landestrainer. „Von meinem Aufgabengebiet hat sich jetzt nicht viel geändert. Alle, die in NRW auf vier Kufen Bob fahren wollen, gehen durch meine Hände“, sagt der 36-Jährige im Gespräch mit dem Sportzentrum Winterberg (SZW). Als wichtigste Aufgabe sieht Neagu die nicht leichte Nachwuchs-gewinnung und die Ausbildung der jungen Sportlerinnen und Sportler. „Wir müssen schon heute den Nachwuchs von übermorgen im Visier haben.“
SZW: Lass uns zunächst Dein Aufgabengebiet umschreiben.
Neagu: Aktuell bin ich von der Nachwuchsgewinnung bis zur Betreuung der Topathletinnen und -athleten überall involviert. Es geht um Talentsichtung, Training und Betreuung. Bei den Großen ist es oft nur noch „Händchen halten“ und mit ihnen bei den großen Events mitfiebern. Alle, die auf vier Kufen Bob fahren möchten, gehen durch meine Hände.
SZW: 32 Namen umfasst die Liste der von Dir betreuten Sportlerinnen und Sportler. Lass uns einmal das Feld unter die Lupe nehmen.
Neagu: Es geht ganz oben los mit Annika Drazek als Anschieberin. Ganz weit vorn ist auch Pilotin Laura Nolte, die sich im letzten Jahr ihren Platz im Weltcup erarbeitet hat. Leonie Fiebig ist als Anschieberin im Weltcup ebenfalls dabei. Das gilt natürlich auch für Christopher Weber im Team Johannes Lochner. Diese Namen u. a. kennt man so aus den Medien. Dann geht es weiter nach unten und ganz unten. Hier haben wir den jüngsten Nachwuchs im Bereich von 15 und 16 Jahren.
SZW: Wie gewinnt man den Bob-Nachwuchs im Sauerland bzw. in NRW?
Neagu: Das ist nicht einfach, durch Corona war es noch schwieriger. Ansonsten läuft das klassisch über Schulsichtung. Wir gehen auch auf Leichtathletik-Wettkämpfe oder schauen uns in anderen Sportarten um, um Potenziale zu entdecken. Es geht auch über den Zuruf unserer Trainerkollegen: „Da ist jemand, sprich den oder die mal an.“ Dann ist es meine Aufgabe, ihn bzw. sie zu überzeugen, auf die Bahn zu kommen, sich das mal anzuschauen. Wenn Lust und Laune geweckt sind, dann wird meist auch „ein Schuh draus“.
SZW: Wie kann man sich die ersten Trainings-Versuche vorstellen? Wer Pilot werden will, muss gleich in den Monobob. Wer Anschieber werden will, muss zur Probe anschieben …
Neagu: Genau, das sind unterschiedliche Feder. Wenn man jemanden zum Pilotieren bringen möchte, ist das ein langwieriger Prozess. Als Anschieber geht es relativ schnell. Wenn man einen Sommer mittrainiert hat, kann man im Winter zügig dabei sein. Wichtig ist es, dem Nachwuchs mögliche Angst vor den ersten Fahrten zu nehmen und ihm Perspektiven aufzuzeigen. Der Bobsport ist kein einfacher Sport.
SZW: Welches Anforderungsprofil müssen Bobsportlerinnen und -sportler erfüllen?
Neagu: Wenn wir uns einen backen dürften: Bei den Herren wären es ungefähr 105 Kilo. Es muss geschmeidig wie eine Katze, schnell wie ein Gepard und stark wie ein Bär sein. Das wäre ideal. Natürlich findet man das nur alle Jubeljahre und ist wie ein Sechser im Lotto. Aber man kann das auch kompensieren. Es gibt den etwas leichteren Athleten, der dafür sehr schnell ist oder den etwas schwereren, der stark ist. Man muss da hinschauen. Bob ist auch ein Teamsport. Man kann am Ende die Leute ein bisschen zusammenwürfeln und das richtige Rezept finden.
SZW: Du hast eben einige Spitzenkräfte des Stützpunktes genannt. Wie sieht es beim Nachwuchs aus?
Neagu: Bei den jungen Frauen haben wir Lena Böhmer, Charlotte Candrix und Celine Harms, die als Pilotinnen in den Startlöchern stehen. Celine ist schon eine gestandene Athletin. Sie hat bei den Youth Games Bronze gewonnen. Charlotte Candrix hat die Olympic-Games-Quali nicht geschafft, hat aber auch Potenzial und ist auf dem gleichen Leistungsniveau. Deren Vorteil ist: Sie sind mit 17 und 18 Jahren extrem jung. Im Bobsport ist man mit 26 noch Junior. Sie haben also noch viel Zeit, ganz nach vorn zu kommen. Lena Böhmer ist etwas älter, sie hat letztes Jahr ihren Einstand als Anschieberin gegeben und dann ihre Passion fürs Pilotieren entdeckt. Ihre Fahrten waren vielversprechend. Bei den Herren sind wir aktuell mit Yuri Hanssen auch gut aufgestellt. Yuri hat vor anderthalb Jahren das Fahren als Pilot begonnen. Er hat athletisch top Voraussetzungen. Fahrerisch liegt es jetzt an ihm, sich weiterzuentwickeln, ein Team zu formen und dann vielleicht dieses Jahr, ganz sicher aber im nächsten Jahr anzugreifen.
SZW: Die beiden letzten Piloten in Winterberg, die auch Junioren-Weltmeister geworden sind, waren Pablo Nolte und Bennet Buchmüller. Wann haben wir in Winterberg wieder einen international konkurrenzfähigen Piloten?
Neagu: Das kann und will ich gar nicht sagen. Wir sehen gewisses Potenzial bei den Leuten, die wir ausbilden. Natürlich hoffen wir für jeden, dass er ganz nach oben kommt. Aber ich lasse mich nicht auf Namen und Zeiten festlegen. Wir geben alle unser Bestes. Und wenn es dann sein soll, bekommen wir wieder unseren Junioren-Weltmeister. Und irgendwann den großen Weltmeister.
SZW: Wie steht der Winterberger Stützpunkt im Vergleich zu den anderen deutschen Stützpunkten da?
Neagu: Wenn ich an meine aktive Zeit zurückdenke und sie mit heute vergleiche, dann würde ich sofort wieder anfangen. Allein von der Infrastruktur haben wir viel mehr als früher. Wir haben jetzt eine klasse, überdachte Startanlage, wir haben unseren Kraftraum mit Laufschlauch. Unserer Trainerteam ist auch sehr gut. Es ist natürlich ausbaufähig, es gibt noch offene Stellen. Wenn jemand Interesse hat, wir heißen jeden willkommen. Was den Nachwuchs angeht, haben wir derzeit durch Corona en leichtes Loch. Aber wir werden das in den kommenden Jahren kompensieren. Meine Aufgabe ist es, schon heute an übermorgen zu denken. Wir müssen heute die Sportlerinnen und Sportler von übermorgen im Visier haben.
SZW: Wir denken jetzt erst einmal an morgen, an die Olympischen Spiele im Februar 2022 in Peking. Was ist Dein konkreter Wunsch?
Neagu: So viele Medaillen wie möglich. Jede Sportlerin bzw. jeder Sportler soll das Beste aus sich rausholen und selbst zufrieden aus den Wettkämpfen gehen. Natürlich gibt es bestimmte Mitglieder des Winterberger Stützpunktes, die die Voraussetzungen haben, mit einer Medaille wiederzukommen. Aber ich will keinen unter Druck setzen. Ich weiß, alle geben 100 Prozent. Die Abrechnung machen wir hinterher, nicht vorher.
SZW: Andreas, vielen Dank für das Gespräch.