Als Neheim sich von Berlin „emanzipierte“

Heimatbund plädiert für dauerhaftes Leuchten-Museum als Ort der Neheimer Identität   

Neheim, die Stadt der Leuchten mit großer Tradition: Die Glanzzeiten sind zwar längst vorbei, Leuchten werden in Neheim, Hüsten und im Sauerland aber weiterhin mit Erfolg produziert. In der Blütezeit vor rund 100 Jahren hatte sich Neheim von der „Leuchten-Hauptstadt Berlin“ emanzipiert und galt – bezogen auf Einwohnerzahl und Fläche – als die Kommune mit der höchsten Dichte an Leuchten-Produzenten und Zulieferern. „Vor dem Hintergrund der großen Tradition ist es aus Sicht des Heimatbundes und vieler Menschen bedauerlich, dass sich in Neheim kein Leuchten-Museum dauerhaft installiert hat“, sagt Reiner Ahlborn, langjähriges und verdientes Mitglied des Heimatbundes Neheim-Hüsten.  

Ahlborn gilt als exzellenter Kenner der heimischen Industriegeschichte („Geschichtswerkstatt Möhnestraße“), übt aber auch Selbstkritik: „Auch der Heimatbund hat sich nicht nachhaltig für ein solches Museum engagiert und die Geschichte der Leuchtenfirmen nur in Ansätzen aufgearbeitet.“  Neheims Ortsheimatpfleger Karl-Georg Wuschansky plädiert daher gemeinsam mit Ahlborn mit Nachdruck für ein Museum als herausragender Ort der Neheimer Identität, als Anerkennung für die Pionierleistung großer Industriekapitäne und die Würdigung der Lebensleistung der Arbeiter und deren Familien. „Bisher gibt es nur Ansätze. Ein möglicher Ort wäre die Sporthalle der ehemaligen Realschule in der Goethestraße. Das Museum könnte wie eine Ehrenamtskneipe geführt werden“, erklärt Wuschansky. Eine große Sammlung für ein Museum existiert. „Leider schlummert sie nach jahrelanger Odyssee vor sich hin, daran hat auch der Verein zur Förderung des Museums für Licht und Beleuchtung nichts ändern können“, betont Ahlborn. „Zudem hat der Komplettverlust des Lehrwerkstattmuseums der ehemaligen Binnerfeldschule für große Verbitterung bei den Leihgebern gesorgt.“ Hoffungsvoll stimmt den Heimatbund die Einrichtung der „Sauerländer Lichtwochen“ durch das Lichtforum NRW, die sich zu einer zweiten Leitmesse neben der „Light and Building“ in Frankfurt entwickelt haben.  

Kosmos-Brenner sorgte für Durchbruch 

Dass sich ab 1830 die Metallverarbeitung und die Leuchtenindustrie in Neheim entwickeln konnten, lag daran, dass hier im Gegensatz zum Märkischen Sauerland noch genügend Ressourcen wie Wasserkraft und Holz vorhanden waren. Vor allem gab es nach dem Sterben der Tuchindustrie mit 40 Betrieben genügend Arbeitskräfte vor Ort und pionierwillige Industrielle, die es nach Neheim zog. Die Entwicklung der Metall- und Leuchtenindustrie verlief rasant. Seit den 1830erJahren waren in Neheim Lampen für die Verbrennung von Rapsöl handwerklich hergestellt worden. 1854 brachte Friedrich Wilhelm Brökelmann die erste Petroleumlampe nach Neheim. 1865 wurde der Kosmos-Brenner patentiert.  Dieser konnte industriell und in Massen kostengünstig hergestellt werden. „Das war der Durchbruch“, so Ahlborn. „Die Firma Gebrüder Kaiser exportierte die Kosmos-Brenner schon um 1900 in den Nahen Osten und bis nach Vorderasien.“ 1863 war die Firma Wetzchewald & Wilmes gegründet worden, die als erster Betrieb die Brenner zusammensetzte und dann in Gänze produzierte. BJB folgte 1876, Hillebrand 1881. In der Regel waren die hier gefertigten Leuchten Kopien von Fremdprodukten. In rund 150 Kleinstbetrieben (“Klitschen“) und in Heimarbeit vor allem in der Möhnestraße wurde der Leuchten- und Metallindustrie zugearbeitet.  

Weitere Entwicklungsschritte  waren die Erfindung der Kohlefadenlampe 1890 durch Hugo Bremer, der sich 1892 in Neheim niedergelassen hatte und als „Eigenbrödler, Genie und Paradiesvogel“ (Theo Hirnstein, Zeitschrift des Heimatbundes Neheim-Hüsten „An Möhne, Röhr, Ruhr“ 2002) galt sowie die Gründung des Elektrizitätswerks 1896 in der Möhnestraße. Der erste Weltkrieg 1914 – 1918 verursachte einen heftigen Einschnitt für die Leuchtenindustrie: Kriegswichtige Artikel wie Fahnen- und Helmspitzen wurden produziert. 

Kaiser „Idell-Arbeitsleuchte“ ein Hit 

Nach dem Weltkrieg nahm die Leuchtenindustrie in Neheim rasant an Fahrt auf. „Die Zeit zwischen 1920 und 1930 war die Hoch-Zeit in Neheim“, sagt Ahlborn. „Neheim wurde endgültig zur Stadt der Leuchten.“ Die Stadt war auf der Überholspur, warb aus Berlin, der bisherigen „Leuchtenhauptstadt“, den Leuchtendesigner Otto Freitag ab. Martin Bormann wurde bei der Firma Hillebrand aktiv. Vom Weimarer Bauhaus kam der Metallwerkmeister Christian Dell. Die Kaiser „Idell-Arbeitsleuchte“ wurde ein „Hit“, war nach dem Baukasten-Prinzip entworfen worden und bedeutete einen weiteren Schritt zur industriellen Fertigung. Hermann Kaiser erkannte das Potenzial der Elektrizität und gab 1926 die Produktion von Metallwaren sowie Galanteriewaren* auf und präsentierte 1928 den ersten Messekatalog nur mit elektrischen Wohnraum-Leuchten. Bezogen auf Fläche und Einwohnerzahl war Neheim in dieser Zeit die Stadt mit der höchsten Dichte an Leuchten-Produzenten und Zulieferern. Es war die absolute Glanzzeit.  

Wie der erste so erzwang auch der zweite Weltkrieg 1939 – 1945 eine Unterbrechung der Leuchtenproduktion. Waffen und Waffenteile mussten unter Einsatz von Zwangsarbeitern gefertigt werden. Lediglich Kaiser produzierte neben der Kriegsproduktion weiterhin Arbeitsplatzleuchten. Nach dem Krieg boomten die Neheimer Leuchten erneut. Wohnraumleuchten waren in der Wirtschaftswunder-Zeit gefragt, Trilux-Lenze und Gebrüder Kaiser entwickelten mit der Langfeldleuchte mit Neonröhren die nächste Stufe.  

Das „Sterben“ der heimischen Leuchtenindustrie begann in den 1970er Jahren. Falsche oder verspätete Einschätzung des Kundengeschmacks, Festhalten am traditionellen Marktsegment hochwertiger und teurer Lampen, zu große Produktionsbreiten (komplette Kataloge), Vernachlässigung des Massenmarktes oder zu späte Umstellung auf neue Leuchtmittel (Halogen, LED, OLED) waren wesentliche Ursachen. „Heute werden in Neheim und Hüsten wie im übrigen Sauerland aber weiterhin Leuchten produziert“, betont Ahlborn. Und das in der großen Tradition mit Erfolg. Überlebt haben vor allem Betriebe, die sich rechtzeitig auf neue Technologien eingestellt haben (Trilux), die Marknischen erfolgreich besetzen (Niermann mit Kinderleuchten, Bankamp), die sich wie Honsel/Fischer, Trio, EGLO durch Auslagerung der Produktion (China, Indien usw.) im Massenmarkt behaupten oder die durch Weiterentwicklung in andere Produktionsbereiche eine Nische gefunden haben (Lübke & Driller mit Lampenschirmen) und die große Tradition in Neheim und Umgebung fortsetzen.