Als der Krieg an den Möhnesee kam

Foto: Matthias Koprek

Interview mit Karl-Heinz Wilmes

Karl-Heinz Wilmes war gerade einmal ein Jahr alt, als der Zweite Weltkrieg ausbrach. Mit der Bombardierung der Möhnetalsperre setzen seine Kriegserinnerungen ein. Der ehemalige Kommunalpolitiker hat in seinem Buch „Tage im April“ die Erinnerungen und Geschichten von Günner Zeitzeugen festgehalten, die den Einmarsch der Amerikaner am 7. April 1945 miterlebt haben. 

WOLL: Herr Wilmes, Sie sind in Günne geboren und haben hier Ihr ganzes Leben verbracht. Wie präsent sind Ihnen die Kriegsjahre im Gedächtnis? 

K. H. Wilmes: Meine ersten Erinnerungen stammen vom 1. Januar 1943 und vom 17. Mai 1943. Am ersten Januar erhielt meine Mutter die Nachricht, dass ihr Mann, also mein Vater, in Russland gefallen ist. Und so richtig los gehen meine Erinnerungen mit der Möhnekatastrophe. Ab da habe ich alle Kriegserinnerungen präsent – bis die Amerikaner im April 1945 nach Günne kamen. Die Ereignisse der letzten Kriegsjahre haben sich mir ins Gedächtnis eingebrannt. 

WOLL: Ihre eigenen und die Erinnerungen anderer Zeitzeugen, die damals ebenfalls Kinder oder Jugendliche waren, haben Sie in Ihrem Buch „Tage im April“ festgehalten. Wie kamen Sie auf die Idee ein Buch darüber zu schreiben? 

K. H. Wilmes: Wenn man mit in etwa Gleichaltrigen zusammensitzt, dann erzählt man sich Geschichten. Und irgendwann kommt immer mal die Frage, wie es denn in der Kriegszeit bei jedem war. Dann wird erzählt und erzählt. Und immer wieder wird gesagt, dass man das alles mal aufschreiben müsste. Denn wenn unsere Generation nicht mehr ist, dann weiß das keiner mehr. 

Irgendwann habe ich gesagt: „Ich mache das jetzt und schreibe die Geschichten auf. Aber ihr müsst mir dabei helfen!“ Gesagt, getan. Ich habe die Menschen, die heute noch in Günne leben und von denen ich weiß, dass sie etwas zu berichten haben, angesprochen. Ich habe sie interviewt oder sie haben mir ihre Erlebnisse aufgeschrieben. 

WOLLHat sich jeder, den Sie für das Buch angesprochen haben, direkt bereiterklärt, seine Erinnerungen mit Ihnen zu teilen oder gab es auch Personen, die sich bewusst nicht mehr an die Erlebnisse von damals erinnern wollen? 

K. H. Wilmes: Nein, alle die ich aus den Jahrgängen zwischen 1930 und 1940 gefragt habe, waren sehr aufgeschlossen und haben bereitwillig ihre Erinnerungen geteilt. Da hat keiner gesagt, ich erzähle dir nichts. Im Gegenteil: Es sprudelte alles raus, was sie wussten. 

WOLL: Sie haben für das Buch aber nicht nur Zeitzeugen berichten lassen, sondern auch viel in Archiven geforscht. 

K. H. Wilmes: Ja. Nachdem ich die Texte der Zeitzeugen zusammenhatte – das war vor ungefähr drei Jahren – habe ich über das Internet in amerikanischen Archiven geforscht. Dabei bin ich auf die Kriegsberichte der amerikanischen Truppen gestoßen, die hier bei uns gewesen sind. Im Nationalarchiv in Washington D.C. habe ich sogar bisher unbekannte Fotos gefunden. 

K. H. Wilmes: Es gibt so viel Material, dass ich mich ohnehin hätte auf die Ereignisse rund um den 7. April 1945 beschränken müssen. Die Unterlagen sind unglaublich umfangreich. Es war interessant zu lesen, dass die Erlebnisse der Zeitzeugen und die Schilderungen der Amerikaner sich ganz ähnlich waren. 

WOLL: Wie wurde der Einmarsch am 7. April 1945 von den Günnern empfunden? Sahen die Dorfbewohner das Vorrücken der Amerikaner eher als Erleichterung oder als Bedrohung an? 

K. H. Wilmes: Für uns waren das alles Feinde. Alle, die nicht Deutsche waren, waren unsere Feinde. So lauteten halt damals die Parolen, die wir Kinder mitbekamen.  

Wann die Bevölkerung hier gewusst hat, dass die Amerikaner kommen würden, das weiß ich nicht. Im Dorf wurde aber immer getuschelt. Man muss sich auch in die damalige Zeit zurückversetzen. Da gab es vielleicht drei, vier, fünf Telefone im Dorf. Und diejenigen, die ein Telefon besaßen, waren möglicherweise auch noch linientreu. Es gab ja auch noch Befehle, Panzersperren zu bauen, um die Angreifer auch in letzter Minute noch abzuwehren. Das habe ich auch bewusst mitbekommen. 

Somit haben wir die Amerikaner nicht als Befreier angesehen – wir Kinder zumindest nicht. Die Erwachsenen im Dorf werden gespalten gewesen sein. Die meisten waren wohl froh, dass es zu Ende ist.  

WOLL: Wie lange haben Sie an dem rund 190 Seiten starken Buch gearbeitet? 

K. H. Wilmes: Ich habe drei Jahre lang daran gearbeitet und so manche Nacht vor dem Computer verbracht. Gerade der Kontakt zu Amerika ist nicht immer einfach. Da muss man fließend Englisch lesen und sprechen können, das kann ich nicht. Da war das schon manchmal etwas schwierig, aber ich habe es geschafft. 

WOLL: Die 200 Exemplare, die Sie drucken ließen, waren in Windeseile vergriffen. Waren das ausschließlich Käufer in Ihrem Alter oder stellen Sie fest, dass sich auch die jüngeren Generationen für die Kriegserinnerungen interessieren? 

K. H. Wilmes: Die ersten 200 Exemplare waren innerhalb von einer Woche weg, so dass ich direkt 100 nachdrucken ließ – die auch fast alle wieder vergriffen sind. Zu den Käufern gehören auch deutlich jüngere Menschen. Es ging querbeet durch die Bevölkerung und es wurde auch nicht nur in Günne gekauft, sondern ich bekam Anrufe von Leuten zwischen Warstein und Köln. 

WOLL: Ist eine Neuauflage geplant? 

K. H. Wilmes: Es würde eine dritte Auflage geben, wenn ich einhundert verbindliche Bestellungen zusammenbekomme. 

WOLL: Wo kann man das Buch erwerben? 

K. H. Wilmes: Es gibt noch ein paar Restexemplare der zweiten Auflage bei der Touristik Möhnesee, beim LIZ in Günne, bei der Ritterschen Buchhandlung in Soest und bei der Soester Bücherstube Ellinghaus.