Alles drehte sich um einen kleinen Ball

Quelle: privat

Historische Sporterfolgsgeschichte aus einem Sauerländer Dorf

Es waren Schlagzeilen wie die folgenden, die vor 70 Jahren die Sportwelt im Sauerland und darüber hinaus begeisterten: „Gellinghauser Mädchen sind jetzt ‚große Damen‘“ oder „Unbesiegt in die TT-Oberliga“. In Gellinghausen, dem kleinen Dorf zwischen Bad Fredeburg und Westernbödefeld, startete Anfang der Fünfzigerjahre eine unvergleichliche Tischtennisgeschichte. Der 1912 geborene Lehrer Manfred Stich hatte nach der Rückkehr 1949 aus der Kriegsgefangenschaft eine Lehrerstelle in der einklassigen Volksschule in Gellinghausen angenommen. Seine Frau und die drei jungen Töchter hatten 1945 als Flüchtlinge aus dem Sudetenland in der britischen Besatzungszone eine neue Bleibe gefunden. Nun wurde Gellinghausen ihre Heimat.

Der sportbegeisterte Lehrer wollte zusammen mit der Dorfjugend zunächst einen Fußballverein gründen. Doch das Interesse war nicht sehr groß. Eine aufgestellte Tischtennisplatte stieß auf mehr Begeisterung. Im Oktober 1951 wurde der TTC Gellinghausen e.V. von dem Lehrer und Landwirt Alois Hanses gegründet, den Manfred Stich für die sportlichen Aktivitäten für die Kinder des Dorfes überzeugen konnte.

Von April bis August 1952 fanden die ersten Mannschaftsspiele der Männer gegen die Tischtennisvereine aus Nuttlar, Fredeburg und Grafschaft statt. Alle Spiele endeten mit hohen Niederlagen: 0:16, 1:15 und 4:12. Zwei Monate später gab es gegen Schmallenberg mit 11:5 den ersten Sieg.

Aufstieg in die Oberliga

„Was die Jungs können, können wir auch.“ In Ermangelung alternativer Sportmöglichkeiten waren nicht nur die Jungen und Männer täglich an der Tischtennisplatte. Die Mädchen des Dorfes waren ebenfalls begeistert, wenn nach der Schule die Ping-Pong-Spiele an der grünen Platte lockten. Auch des Lehrers Kinder Dagmar (1941 geboren), Heidrun (1944) und Sigrun (1945) liebten das flotte Spiel mit dem Zelluloid-Ball. 1955 fanden dann die ersten Freundschaftsspiele der Damen-Mannschaft statt. Drei Jahre später gelang dem jungen Team, gleichzeitig mit dem Herrenteam, der Aufstieg in die Landesliga. Es begann eine fantastische Erfolgsstory der Sportlerinnen und Sportler aus dem kleinen Dorf im Sauerland.

Ungeschlagen stiegen die Gellinghauser Mädchen im folgenden Jahr in die Oberliga auf. In der Tageszeitung vom 1. Juni 1959 stand die Schlagzeile: „Gellinghauser Mädchen sind jetzt ‚große Damen‘“. Und weiter hieß es: „TTC stellt die erste Damen- Oberliga-Mannschaft des Sauerlandes und die einzige Westfalens. Aufstiegskämpfe in Wuppertal mit Erfolg für das jüngste Team der Bundesrepublik.“ Durch die Tischtenniswelt im Bundesland NRW ging ein Raunen. Das jüngste Tischtennisteam der Republik (Durchschnittsalter: 16 Jahre) siegte gegen die deutlich älteren Teams (Dortmund: 30 Jahre, Düren: 24 Jahre und Duisburg: 30 Jahre) überraschend souverän. Dabei waren die Rahmenbedingungen für die Sauerländerinnen und ihren Betreuer, Lehrer Manfred Stich, alles andere als optimal. Während die Spielerinnen und Betreuer der anderen Vereine in Wuppertaler Hotels wohnten, übernachteten die Gellinghauser in der Jugendherberge Barmen. Von dort machten sie sich morgens um 5:30 Uhr auf zur nächsten Kirche, um dort den Gottesdienst zu besuchen. Mit göttlichem Beistand sorgte das junge Team für eine riesengroße Überraschung: Aufstieg in die Tischtennis-Oberliga.

Tischtenniszeit prägte ihr Leben

Nach dem Oberliga-Aufstieg gingen die Tischtenniserfolge des Teams einige Jahre weiter. 1959 wurde in Gellinghausen eine Tischtennishalle gebaut, damals die einzige, reine Tischtennishalle in ganz Nordrhein-Westfalen. 1965 erhielt der Verein den Albrecht-Nicolay-Pokal durch den Westdeutschen Tischtennisverband, eine Auszeichnung für besondere sportliche Leistungen unter Berücksichtigung des Fair Play. 1967 wurde die Damen- Mannschaft des TTC Gellinghausen Dritte bei den Deutschen Meisterschaften.

Über diese Erinnerungen an die unglaubliche Tischtenniszeit seit Beginn der Fünfzigerjahre berichten Heidrun Friedrich- Schmidt (78) aus Darmstadt und Dagmar Steinfort (81) aus Dortmund bei einem Treffen im Hotel Kleins-Wiese in Bad Fredeburg. Rita Gördes aus dem nahen Gellinghausen konnte wegen eines Trauerfalls an dem Gespräch leider nicht teilnehmen. Unschwer zu erkennen, dass es sich bei den beiden Damen um die Stich-Mädchen Heidrun und Dagmar handelt, die zusammen mit Rita Gördes, Paula Knippschlid, Maria Gördes, Giesela Grote und ihrer Schwester Sigrun die Damen-Tischtennis-Ära in Gellinghausen begründet haben. Dagmar Steinfort und ihre Schwester erzählen noch die ein oder andere Anekdote. Bei ihren deutschlandweiten Auswärtsspielen wurde etwa einmal gefragt: „Liegt Arnsberg bei Gellinghausen?“ Das Tischtennis-Mekka im Sauerland war damals bekannter als jede Stadt aus dem Sauerland. Und Schwester Heidrun ergänzt: „Durch Tischtennis und das, was wir in der Zeit erlebt haben, sind wir alle weltoffener und viel selbstbewusster geworden.“ Nicht vergessen ist auch die Fahrt mit dem VW-Käfer ihres Vaters. Die nicht regelkonforme Tour von sechs Mädchen und dem Fahrer konnte auf dem kleinen Dienstweg mit der Polizeipräsidentin von Dortmund einvernehmlich geregelt werden. Das Tischtennisdorf im Sauerland hatte Geschichte geschrieben und schreibt sie aktuell fort. Aber das ist eine andere Geschichte.