Ältester Sauerländer gefunden

Quelle: LWL

So skizzieren die Fachleute die Situation rund um die Blätterhöhle in der Altsteinzeit. Die Lage der Höhle war für die Menschen optimal: geschützt vor Wetter und wilden Tieren, aber unmittelbar am Wasser.
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Hagen (lwl). Bei den jüngsten Ausgrabungen an der Blätterhöhle in Hagen, dem Tor zum Sauerland, sind Archäologen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) auf weitere menschliche Überreste gestoßen. Mit einem Alter von etwa 12.000 Jahren handelt es sich um die ältesten des modernen Menschen (Homo sapiens) im Sauerland, beziehungsweise in Westfalen. Einzuordnen sind sie damit noch in die späte Altsteinzeit.

Zu den Fundstücken gehören ein Unterkieferfragment sowie einige Zähne und Zahnfragmente eines etwa sieben Jahre alten Kindes und der abgenutzte Zahn eines Erwachsenen. Ebenso einzigartig wie die Funde ist auch die Fundsituation: „Bei den Funden handelt es sich um die ersten Reste des altsteinzeitlichen Homo sapiens in Westfalen. Die Funde stammen aus einem ungestörten Schichtzusammenhang, wie die Fachleute sagen, da sie bei regulären Ausgrabungen geborgen wurden“, erklärte Dr. Georg Lunemann, der Direktor des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL). Bei Ausgrabungen dokumentieren Fachleute die einzelnen Sedimentschichten, bevor sie sie nach und nach systematisch abtragen. „Das Ganze ist absolut besonders. Die Funde hier grenzen an eine Sensation“, so Lunemann.

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Die neuen Funde wurden bei Ausgrabungen auf dem Vorplatz der Höhle geborgen. Die Fachleute haben dabei Schicht für Schicht abgetragen. Foto: LWL

Fraglich ist derzeit noch, warum nur das Unterkieferfragment sowie die Zähne des Kindes und keine weiteren Knochen gefunden wurden. Die Archäologen hoffen jedoch, bei zukünftigen Grabungen auf weitere Überreste des Individuums zu stoßen. „Die Funde zeigen erneut, dass die Blätterhöhle ein bedeutender archäologischer Fundort ist und gefördert und intensiv untersucht werden muss. Wir haben jetzt Antworten auf einige Fragen bekommen, dafür sind andere aufgekommen: Wurde das Kind dort beerdigt oder ist es bei einem Unfall gestorben“, ordnete Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger, Kulturdezernentin des LWL und selbst Archäologin, die Funde ein. „Wir befinden uns auf einer Reise, auf der wir nach und nach einzelne Puzzlesteine zusammensetzen, um das Bild der Steinzeit hier an der Blätterhöhle zu komplettieren.“

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Eine Grafik mit Kennzeichnung der Fundstellen. Die Zähne des Kindes wurden nicht unmittelbar beim Unterkiefer gefunden. Foto: LWL

„Dramatischer Klimawandel“

Die Fundsituation ermögliche den Wissenschaftlen darüber hinaus Einblicke in das damalige Klima und die Umwelt der altsteinzeitlichen Blätterhöhle. „Die neuen Menschenfunde stammen aus einer ausgesprochenen Kaltphase, die Zeit der letzten Rentierjäger, der sogenannten Ahrensburger Kultur“, erklärte Prof. Dr. Michael Baales, Archäologe des LWL. „Damals bejagten die Menschen im Sauerland Rentierherden, die im Frühjahr aus dem Norden in die Mittelgebirge zogen. Die Datierung einzelner Rentierknochen aus der Höhle „Hohler Stein“ bei Kallenhardt im Kreis Soest stimmen mit denen der neuen Fundschicht an der Blätterhöhle überein. An der Blätterhöhle wurden jedoch keine Knochen von Rentieren gefunden, sondern nur die Überreste von Rothirschen.“

 Alles deute darauf hin, dass es vor 12.000 Jahren innerhalb kürzester Zeit zu einem dramatischen Klimawandel kam. Die kurzfristige Erwärmung habe zu einem schnellen Wandel in der Flora und Fauna geführt. „Dieser Wandel hat zu einer Migration von Tier und Mensch aus benachbarten Gegenden in unsere Region geführt. Das belegen auch die zahlreichen Steingeräte, die wir gefunden haben: so sind diese Steingeräte keine der letzten Rentierjäger, sondern solche, wie wir sie für diese Zeit zum Beispiel aus Frankreich oder auch Süddeutschland kennen. Das zeigt einmal mehr, wie mobil die damaligen Menschen in Europa waren und wie rasch sie sich an neue Gegebenheiten anpassen konnten“, so Baales weiter.

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Neben menschlichen Überresten wurden auch einige Steinartefakte in Form von Spitzen gefunden. Die Menschen wechselten vor der Höhle offensichtlich die Klingen ihrer Werkzeuge. Einige Spitzenformen kannte man bislang nur aus dem heutigen Frankreich, was die Mobilität der Menschen zur damaligen Zeit belegt. Foto: LWL

„Auch für die Stadt Hagen sind die Erkenntnisse von Bedeutung“, ergänzte Dr. Ralf Blank, Fachdienstleiter Wissenschaft, Museen und Archive der Stadt Hagen. „Jeder neue Fund ist eine Ergänzung der Stadtgeschichte. Und in unserem Archäologiemuseum Hagen im Wasserschloss Werdringen wird diese sogar richtig greifbar.“ 

Dass die neuen Erkenntnisse zudem international von Interesse sind, zeige die Veröffentlichung der Forschungsergebnisse in dem in Fachkreisen anerkannten open-access Journal „PLOS ONE“.

Im August sollen die Grabungen an der Blätterhöhle weitergehen. Ermöglicht wurden die Grabungen der vergangenen Jahre durch die Denkmalfördermittel des Landes NRW, die LWL-Archäologie für Westfalen, die Stadt Hagen sowie weitere Sponsoren. Derzeit wird in Zusammenarbeit mit der Universität zu Köln ein Forschungsantrag bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) vorbereitet.

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Auch der Prämolar eines erwachsenen Homo sapiens konnte auf dem Vorplatz der Blätterhöhle geborgen werden. Foto: LWL



Hintergrund
Im Jahr 1983 hat der Arbeitskreis Kluterthöhle e. V. die Blätterhöhle entdeckt. Ihren Namen bekam die Höhle, da der gesamte Bereich dicht mit Laub aufgefüllt war. Als im Jahr 2004 der Grundwasserspiegel am Weißenstein, dem Gebiet rund um die Blätterhöhle, untersucht werden sollte, wurde der verschüttete Eingangsbereich der Höhle freigeräumt, um so in die Tiefe vordringen zu können. Dabei fanden sich die ersten menschlichen Überreste. Seitdem führen Fachleute regelmäßig Grabungen in und vor der Höhle durch. Insgesamt wurden bislang menschliche Reste von fünf Individuen aus einem frühen Abschnitt der Mittelsteinzeit (vor 11.200 bis 10.700 Jahren) und von sechs oder sieben Individuen aus der späten Jungsteinzeit (vor 6.000 bis 5.000 Jahren) geborgen. 

Bei den neuen Funden handelt es sich um die ersten menschlichen Funde aus der Altsteinzeit an der Blätterhöhle. Es gilt als gesichert, dass die Menschen damals nicht in der engen Höhle lebten, sondern sich wiederholt auf dem Vorplatz aufhielten. Die Lage der Höhle war gut geeignet, da sie die Menschen vor dem Wetter schützte und die nahen Bach- und Flusstäler reichlich Nahrung boten. 

Federführend für die Ausgrabungsarbeiten sind Prof. Dr. Michael Baales, Leiter der Außenstelle der LWL-Archäologie für Westfalen in Olpe, Wolfgang Heuschen, langjähriger Projektleiter für die Stadtarchäologie Hagen, sowie Privatdozent Dr. Jörg Orschiedt (Halle, Sachsen-Anhalt), erster Projektleiter und heute enger Kooperationspartner.