Quelle: Josefsheim Bigge
Für ihre persönliche und berufliche Entwicklung hat die JG-Gruppe, die Muttergesellschaft des Josefsheims Bigge, jetzt Ronja Pastoors den Heinrich-Sommer-Preis 2020 verliehen. Die Auszeichnung ist nach dem Gründer der JG und des Bigger Stammhaus benannt, mit 500,- Euro dotiert und wird jedes Jahr an junge Menschen verliehen, die in einem der drei Berufsbildungswerke der JG-Gruppe herausragende Leistungen erbracht haben.
Wer während der Laudatio des Heinrich-Sommer-Preis 2020 den Werdegang von Ronja Pastoors erstmals hört, bekommt unweigerlich ein Gefühl von Gänsehaut. Vor 22 Jahren viel zu früh mit nur 1000g Lebensgewicht geboren, wurde sie die lange beatmet und über eine Magensonde ernährt. Die ärztlichen Entwicklungs-Prognosen, die damals aufgrund des verbliebenen schweren Lungenschadens sowie der diagnostizierten Muskelerkrankung und einem Myelinisierungsdefizit im Gehirn gestellt wurden, waren besonders für ihre Mutter Birgit Taprogge niederschmetternd. Denn damals wurde ärztlich testiert, dass Ronja niemals laufen, lesen und schreiben lernen könne.
Notwendige Therapien selbst finanziert
Aber die heute 50-jährige Münsterländerin ließ sich nicht beirren! Sie glaubte an ihre Tochter und Ronja lernte mit drei Jahren laufen und über die Gebärdensprache Makaton erste Worte zu sprechen. Wie für jedes andere Kind auch, begann dann für ihre Tochter mit ihrem sechsten Lebensjahr die Schullaufbahn. Allerdings mit den denkbar schlechtesten Prognosen. Denn bereits im Kinderalter wurden seitens der Krankenkassen oder anderer offizieller Förderstellen die für Ronjas Weiterentwicklung notwendige Therapien mit der Begründung „der Stand der Legasthenie ist von der Prognose her so schlecht, dass mit einer Förderung keine weiteren Fortschritte mehr erzielt werden können“ ad acta gelegt. Doch Taprogge kämpfte weiter, finanzierte die kostenintensive Logopödie- Therapie ihrer Tochter Ronja Pastoors aus eigener Tasche und diese lernte mit 13 Jahren endlich erste Worte zu schreiben. Dennoch, während Ronjas gesamter Schulzeit wurde sie nie benotet und mit 18 Jahren ohne Schulabschluss aus der Förderschule entlassen.
Ausbildungserfolg begann eher zögerlich
„Mit dieser niederschmetternden Vita, der diagnostizierten 100%igen körperlichen Behinderung und entsprechender geistiger Einschränkung kam Ronja Pastoors 2017, damals noch im Rollstuhl, zu uns in Berufsbildungswerk Bigge (kurz: BBW Bigge),“ erzählt Michael Hamann, einer von über 30 Ausbildern. „Es kristallisierte sich erst langsam heraus, dass die fachliche und pädagogische Förderung, die alle Auszubildenden im BBW Bigge individuell erhalten, besonders bei Ronja zu wahnsinnigen Fortschritten führte“, so der Elektrotechniker weiter. Sie hatte sich 2017 nach einer berufsvorbereitenden Einführungsphase für die Ausbildung zur Fachpraktikerin für Baugruppenmechanik entschieden. Doch gerade die ersten eineinhalb Jahre im Sauerland waren nicht einfach und nicht nur schulische Konflikte zählten anfangs zum Alltag. Zudem wurden neben der fachlichen Ausbildung auch viele weitere Grundkenntnisse wie beispielsweise in Mathematik – Ronja hatte bis dahin noch nie eine Formel umgestellt – quasi ganz nebenbei, vermittelt werden.
Beste Fachpraktikerin für Baugruppenmechanik in NRW
„Irgendwann war der Knoten geplatzt und die Elektrotechnik hat mich echt begeistert“, erinnert sich die junge Frau strahlend. Bereits ihre Zwischenprüfung bestand die heute 22-jährige mit sehr guten Leistungen und für ihren sehr guten Berufsabschluss wurde sie von der IHK Arnsberg Hellweg Sauerland als „Beste Fachpraktikerin für Baugruppenmechanik des Ausbildungsjahres 2019/2020 im Land Nordrhein-Westfalen“ ausgezeichnet. Diese Auszeichnung war für Ronja Pastoors Ansporn genug, die Ausbildung zu „Elektronikerin für Betriebstechnik“ zu absolvieren, dessen schulische Oberstufen-Ausbildung im Berufskolleg in Arnsberg-Neheim stattfindet. Auch dort – an einer sogenannten Regelschule mit insgesamt mehr als 2000 Schülern – schneidet sie bisher, entgegen vorheriger Bedenken, mit guten Leistungen ab. „Ich habe immer an meine Tochter geglaubt. Sie hat bis heute so unendlich viel erreicht und dabei ist Ihre Behinderung immer mehr in den Hintergrund gerückt. Ihr Rollstuhl steht inzwischen bei uns im Keller. Sie bewältigt selbstständig ihren Alltag, hat ein gutes Selbstwertgefühl und erlernt weiterhin mit Unterstützung des Bigger BBWs mit großem Elan ihre zweite Berufsausbildung, nachdem sie die erste mit Bravour und mit der Auszeichnung zur besten Auszubildenden in NRW absolviert hat“, zieht ihre Mutter Birgit Taprogge im Gespräch ein bewegendes Fazit zu dem bisher erreichten. Volker Körner, Abteilungsleiter der technischen Ausbildungsberufe ergänzt, „uns alle hat die persönliche Entwicklung während Ronjas Ausbildungszeit im BBW Bigge unendlich imponiert, ihre Entwicklung und Begeisterungsfähigkeit bestätigen unsere tägliche Arbeit für die mehr als 200 Auszubildenden, die ihre Ausbildung hier bei uns im Sauerland absolvieren.“
Echte Teilhabe: Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen für alle einheitlich
Die Frage, ob die Ausbildung bei Menschen mit Unterstützungsbedarf anders oder sogar einfacher sei, verneint Körner vehement. „Im Gegenteil, es gelten natürlich auch für Menschen mit Behinderungen die regulären Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen der Kammern. Teilhabe und Inklusion bedeutet für uns immer nur dort zusätzlich zu unterstützen, wo es tatsächlich notwendig ist.“ Zusätzlich motiviert nicht nur das Zusammenleben (anfangs im Internat, später in kleinen, begleiteten Wohneinheiten) oder Freizeitangebote, auch als kleine Auszeiten zum Ausbildungsalltag. Auch das Team von sozialpädagogischen Experten gibt, bestenfalls gemeinsam mit Angehörigen, Rückhalt und Ansporn um die berufliche Ausbildung und persönliche Weiterentwicklung erfolgreich zu meistern, wissen die BBWAusbildungsexperten.
BBW Bigge bietet mehr als 30 Ausbildungsmöglichkeiten für junge Menschen
mit Behinderung – dazu zählen auch Beeinträchtigungen wie ADHS, Hörschädigungen oder Autismus. Zur Auswahl stehen Berufe aus den Fachrichtungen Agrar, Technik, Wirtschaft, Verwaltung oder Dienstleistungen. Auf der Angebotsliste ist mit dem (Orthopädie-) Schuhmacher beispielsweise ein traditionsreiches Handwerk zu finden, während die Mediengestalter einem noch jungen, modernen Berufsweg folgen. Wer noch nicht weiß, welche Ausbildung für ihn die richtige ist, für den werden berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen angeboten. Bundesweit ermöglicht durch die Arbeitsagenturen haben die Teilnehmer dann Gelegenheit, in der Regel in elf Monaten verschiedene Berufe kennenzulernen und zu erproben. „Häufig wissen junge Menschen nach der Schule noch nicht, welchen Beruf sie lernen möchten. Andere brauchen noch etwas Zeit, um sich auf eine Ausbildung vorzubereiten oder möchten erst einmal den Schulabschluss nachholen“, weiß Martin Künemund, BBW-Geschäftsfeldleiter. „Einen ersten Überblick, welche vielfältigen beruflichen Möglichkeiten wir jungen Menschen bieten, zeigt das Webportal www.bbwbigge. de. Hier sowie über unseren Youtube-Kanal stellen wir die vielen Ausbildungsmöglichkeiten als Video-Podcasts vor.“
Komplementiert werden die vielfältigen Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten durch Angebote der Bereiche Wohnen, Freizeit und Sozialpädagogik. „Wir unterstützen die jungen Menschen durch ein Team aus Sozialpädagogen, Stütz- und Förderlehrern, Psychologen sowie der Fachstelle für Hörschädigung. Auch gibt es verschiedene Wohnmöglichkeiten auf dem JH-Campus oder in der Olsberger Kernstadt. Gerade diese individuelle Begleitung zeichnet unseren Erfolg aus. Dies bestätigen besonders die Auszubildende, die trotz ihrer Handicaps hervorragende Ausbildungs- und Entwicklungsergebnisse als auch immer wieder Bestnoten bei den Abschlussprüfungen der Kammern erreichen“, ergänzt Hamann, der seit 28 Jahren junge Menschen im Bereich Elektrotechnik ausbildet.
Hintergrund
Sowohl das Berufsbildungswerk Bigge mit dem Heinrich-Sommer-Berufskolleg, die Werkstätten für behinderte Menschen in Bigge und Lipperode, die individuellen Wohnangebote an drei Standorten im Hochsauerlandkreis und Kreis Soest als auch die Heilpädagogische Kindertagesstätte Sonnenschein gehören zum Gesamtunternehmen Josefsheim gGmbH. Der führende Inklusions-Dienstleister in Südwestfalen für Menschen mit Körper-, Lern-, Sinnes-, psychischen, geistigen und Mehrfachbehinderungen sowie für Menschen, die kurzfristig oder dauerhaft einen besonderen Unterstützungsbedarf haben. An den Unternehmens-Standorten in Olsberg-Bigge, Lippstadt-Lipperode und Sundern werden mehr als 800 Menschen jeden Alters – auch durch maßgeschneiderte Projekte gefördert – ihre Chancen und Möglichkeiten zur Teilhabe an der Gesellschaft zu verwirklichen. Im Mittelpunkt steht hierbei immer der einzelne Mensch mit seinen individuellen Vorstellungen und Zielen.