Orgelbauer Raphael Jürgens


Leidenschaft wurde zum Beruf
von Silvia und Peter Padberg
Einmal eine Orgel von innen sehen, einmal ganz nahe an den Pfeifen stehen.
Der 42-jährige Bigger Raphael Jürgens zeigt uns ein komplett selbstständig, aus seinen Händen erschaffenes Werk, eine Orgel in der Kapelle in der Elisabeth-Klinik Olsberg-Bigge.
Auf die Frage, wie Jürgens auf so einen außergewöhnlichen Beruf kommt, antwortete er: „Das war das feine Gehör.“ Als Jugendlicher im Alter von nur 12 Jahren spielte er in der Bigger Kirche St. Martin auf einer Orgel ohne Noten.
Der damalige Organist wurde hellhörig, ohne Noten, nur nach Gehör eine Orgel zu spielen? Dieses musste eine Begabung, eine auffallend musikalische Person sein. Der Organist besuchte die Eltern von Raphael Jürgens und riet ihnen, dem Jungen ein Klavier zu kaufen. Gesagt, getan, ein Klavier stand im Raum.
Es gilt das bekannte Sprichwort 
„Von nichts, kommt nichts“, und Jürgens wurde zu einer interaktiven, musikalischen Gehörbildung geschickt, um seine Fähigkeiten zu trainieren, noch besser, Intervalle hörend, zu erkennen, Melodien und Tonfolgen aus dem Gedächtnis heraus nachzuspielen.
Während seiner Schulzeit fand das übliche Schulpraktikum statt und für ihn stand fest, einen Platz bei einem Orgelbauer zu finden. In Oberkirchen in Schmallenberg bei der Firma Albers konnte er sich seinen Wunsch erfüllen. Die Schule, die jeden Praktikanten aufsucht, war über diese Entfernung nicht gerade angetan, dennoch trugen seine Eltern sämtliche Kosten, um einen Einblick in den Beruf des Orgelbauers zu schaffen. Nach diesem bedeutungsvollen Praktikum stand nun endgültig fest, es wird der Beruf des Orgelbauers werden.
Mit dem Eintritt in die Lehrzeit 1991 bei der Firma Sauer in Höxter, konnte Jürgens sich das Wissen, die Feinmechanik, die verschiedenen Werkstoffe, aneignen. Nach den Lehrjahren verbrachte er weitere
Gesellenjahre in Höxter und bei seiner damaligen Praktikumsfirma in Oberkirchen, bis er sich zur Meisterschule in Ludwigsburg einschrieb. Ein Jahr Vollzeit, um den letzten Schliff seines Traumberufs zu unterschreiben. 40 bis 50 Orgeln hat er bereits in verschiedenen Firmen mitgebaut und bislang 3 eigenständige Orgeln in seiner Werkstatt in Elpe. Eine kleine Orgel befindet sich mit 4 Registern – geeignet für Chor und Orchestermusik – in der St. Martin Kirche, eine im eigenen Wohnzimmer und eine 11 Register große in der Kapelle in der Klinik.

Durch eine großzügige Spenderin im Jahr 2012 konnte der Orgelbaumeister sein ganzes kreatives Schaffen zeigen.
„Wie lange braucht man, um so eine große Orgel fertigzustellen?“, fragen wir den sehr sympathischen Orgelbaumeister. „Von der Planung über die komplexe Gedanken- und Ideenentwicklung bis zum Ende reift und gedeiht so ein Projekt gute 2 Jahre“, so Jürgens. „
Orgelbauer sind Handwerker, gleichzeitig auch Künstler.
Die Orgel muss als Gesamtkunstwerk gesehen werden. In der Planungsphase spielen der vorgegebene Raum, die Akkustik, der Baustil und die Tradition der
Kirchengemeinde eine große Rolle. Im Kopf wächst eine gewisse Vorstellung, erste Skizzen, Konstruktionspläne, dann erste Prospektzeichnungen am PC bis zu Detailzeichnungen. Von Skizze zu Skizze wird die Gestaltung deutlicher. Die Klangvorstellung, die Architektur der Orgel, die Verläufe der mechanischen Spieltrakturen und der Registermechanik, Stück für Stück nimmt es ein Gesamtbild ein. Orgel und Raum, Werkstatt und Orgel, Denken und Fühlen bis hin zu dem, den Raum mit Musik erfüllenden Gesamtkunstwerk.“ Und wir können nur bestätigen, es handelt sich hier um ein Kunstwerk.
2014 wurde die Orgel aus massivem Eichenholz in einem feierlichen Rahmen eingeweiht. Die Orgel verfügt über 11 Register. Durch die Aufteilung der Register auf zwei Manuale und Pedal wird ein großes Klangspektrum erreicht.

Durch viele feine Akzente spiegelt sich die „Liebe zum Detail“ wie ein roter Faden in der Orgel wider. Die Untertasten der Manualklaviaturen sind mit Ebenholz belegt, die Obertasten aus Padoukholz mit Rindsknochen. Die Klaviaturen sind von den Klaviaturwangen eingefasst. In diesen befinden sich Windrosen als Intarsienarbeiten. Das Notenpult ist mit einer Kreuzfuge aus Eichenholz – Wurzelfunier gefertigt. Die Registerzüge sind aus Ebenholz gedrechselt. Die Registernamen sind auf Porzellanschildern mit Blattgoldumrandung handgraviert.

In den Holzschnitzarbeiten der Schleierbretter, die den Korpus der Orgel oberhalb der Prospektpfeifen zieren, fallen dem Betrachter der Orgel die kleinen „Spielereien“ erst auf den zweiten oder dritten Blick auf. So entstand in den Verzierungen ein kleiner Vogel, auf dem Ast sitzend, ein Schmetterling, oder eine Eidechse, die sich durch die Blätter des Eichenlaubes schlängelt.

Jürgens schwärmt von seinem Beruf, indem er mit den verschiedensten Werkstoffen wie Holz, Metall, Leder und Filz arbeitet und somit sein handwerkliches Geschick unter Beweis stellt.

Die von Hand gegossenen Metallpfeifen unterscheiden sich nicht nur durch die Länge und den Durchmesser des Pfeifenkörpers, sondern auch durch die unterschiedlichen Metalllegierungen aus Zinn und Blei. Mit den verschiedenen Längen und Durchmessern der Pfeifen erzielt man die unterschiedlichen Tonhöhen. Durch die verschiedenen Anteile von Zinn und Blei erreicht man ein weiches warmes oder schärferes Klangbild.

Schöpferische Kräfte wurden bei dieser Orgel gebündelt.
Wenn Jürgens nicht gerade eine Orgel plant und baut, betreut er im hiesigen Raum viele Orgeln. Orgeln müssen eine gewisse Orgelpflege erhalten, sollten gesäubert, repariert oder restauriert werden. Gleichzeitig müssen auch die Pfeifen mal wieder neu gestimmt werden.
Spannend und bewegend wird es, als Raphael Jürgens mit dem Aufschließen der Orgel uns das innere Werk der Orgel zeigt.


Noch nie konnten wir ein solches Werk so betrachten und einen kleinen Bruchteil in den Beruf eines Orgelbaumeisters einsehen. Das waren sehr interessante Einblicke in den doch sehr seltenen Handwerksberuf, der gleichzeitig mit dem Orgelbau und der Orgelmusik in das bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes in Deutschland aufgenomnen wurde.
Begeistert und für die sehr bewegende Zeit bei den Erzählungen von Jürgens möchten wir uns recht herzlich bedanken.
Einige Gedanken des Orgelbauers:
Der Gedanke beim Entwurf der Orgel und deren Schleierbretter war
etwas für die Region Typisches aufzugreifen,
was hier die weitläufigen Eichenwälder sind.
Aus Eichenholz, das die Orgelbauer seiner
Dauerhaftigkeit wegen seit jeher gerne verwenden,
ist auch die ganze Orgel gearbeitet.
Also Eichenlaub in hartes Eichenholz gehauen,
das passt.
Ob es nun Zufall ist oder nicht,
mit ihrer symbolischen Bedeutung steht die Eiche
ihrer Standfestigkeit und ihres Alters wegen
für Widerstand und ewiges Leben.
Ich hoffe, dass gerade hier im Krankenhaus
sich die Kraft der Eiche auf den Betrachter
überträgt und auch er den Stürmen seines
Lebens trotzt und die Krankheit überwindet.
Möge die ganze Orgel mit ihrem harmonisch
klassischen Prospekt wie ein Ruhepol

in unserer aufgekratzt hektischen Welt sein
und mit dem Frieden der Eichenwälder
das Leben symbolisieren.

 
 
 
Fotos: Peter Padberg, AirStativ