Level 5 im Sauerland?

Quelle: privat

Gespräch mit Prof. Dr.-Ing. Kutzera über Autonomes Fahren 

Dr. Ing. Christian Kutzera lehrt seit dem 1. September 2017 an der Fachhochschule Südwestfalen. Der 40-Jährige ist Professor für Sensorsysteme und lehrt seine Studenten die Komplexität von Sensoren allgemein und das „Sehen“ eines Autos. Er kennt er sich auf dem Gebiet „Autonomes Fahren“ bestens aus.  

WOLL: Prof. Kutzera, woher kommt Ihre Begeisterung für diesen Fachbereich? 

Prof. Kutzera: Ich begeistere mich allgemein für Autos. So habe ich im Studium schon Praktika oder Abschlussarbeiten in der Automobilbranche absolviert. z.B. habe ich einen Intentionsschätzer bei Volkswagen erforscht – ob ein Fahrer gleich abbiegen oder überholen möchte. Die Abfolge von Fahrtätigkeiten ist nahezu gleich. Während meiner Promotion an der TAU Erlangen in Zusammenarbeit mit der Porsche AG habe ich untersucht, wie man Sensoren und Assistenzsysteme bewerten kann. Wenn es dafür Regeln und Normen gibt, ist dies evtl. einfacher als für Systeme, welche noch nicht standardisiert sind. Nach der Promotion wechselte ich zur Daimler AG und war zunächst zuständig für den Tempomaten in der Sparte VAN. Kurze Zeit später übernahm ich die Projektleitung für die semi-autonome Notbremse (ebenfalls bei VAN). Nach einigen Jahren wechselte ich zur Lippstädter Firma Hella KG und war als Senior Projektmanager für die Entwicklung eines Totwinkel-Radars verantwortlich. 
 
WOLL: Mit welchem Bereich beschäftigen Sie sich speziell? 

Quelle: privat

Prof. Kutzera: In der Lehre bringe ich den Studierenden die Komplexität des Detektierens und allgemein und das „Sehen“ durch Sensoren bei. Im allgemeinen Sinne aber auch bezogen auf Sensoren mit Einsatz in den Fahrzeugen. Zudem habe ich eine Vorlesung Regelungstechnik. Die Sensoren sind zum Teil sehr gut entwickelt und es finden Anpassungen an individuelle Umgebungen statt. So wird das „Sehen“ heutzutage durch die Software maßgeblich beeinflusst. Und die Software muss ebenfalls entscheiden. So passt die Vorlesung Regelungstechnik dazu. Neben Sensorik behandle ich das Thema „Smart Home“ an der Hochschule. 
 
WOLL: Auf welchem Stand ist die Technik und wo gibt es noch Schwachstellen? 

Prof. Kutzera: Die heutige Technik sowie Gesetzesregelung erlaubt Level 2. Schwachstellen: Bsp.: Heutzutage werden schon Radar-Systeme (Radio Detection And Ranging) zum Abstandhalten oder für Unterstützung bei Notbremsvorgängen in der unteren Mittelklasse für wenige hundert Euro Aufpreis angeboten. Diese Sensoren können jedoch so für ein höheres Level nicht genutzt werden. Einerseits müssen die Sensoren genauer werden, andererseits muss auch sehr viel an der Software (Regelsysteme) mit Unterstützung weiterer Sensoren getan werden. Neben den bisher bekannten Radarsensoren setzen alle Automobilzulieferer auf eine Weiterentwicklung von Lidar-Sensoren (LIght Detection and Ranging, quasi wie ein Radar jedoch mit Lichtwellen). Lidarsensoren können die Umgebung derzeit genauer als Radar erfassen, haben jedoch starke Schwächen bei widrigen Witterungen. So „sieht“ eine Lidar bei Regen kaum etwas – hingegen macht es dem Radar-System kaum etwas aus. Zudem muss ein Lidar die Umgebung mit Bewegung abtasten. Während ein Radar die Umgebung breiter erfasst, misst ein Lidar i.d.R. einen Punkt und muss dabei hin und her bewegt werden. Und Bewegung im Automobil bringt Störungen mit sich und die Lebensdauer der Systeme leidet darunter. So forschen die Automobilzulieferer an statischen Lidar-Systemen. Diese tasten die Umgebung ab, ohne sich zu bewegen (Solid State Lidar). 
 
WOLL: Die Schwaben sind uns in diesem Bereich etwas voraus, haben in Karlsruhe schon eine eigene Teststrecke für Autonomes Fahren. Es ist viel von geplanten Teststrecken im Sauerland die Rede. Wissen Sie, wann und wo es denn jetzt auch bei uns endlich losgehen soll? 

Prof. Kutzera: Leider weiß ich nicht, wann es losgehen soll und kenne die Teststrecke nicht im Speziellen (Daimler oder KIT von der UNI-KA?). Die Meldungen zur Teststrecke im Sauerland waren (zeitlich gesehen) in der Vergangenheit kontrovers diskutiert worden oder wurden korrigiert. Jedoch nicht nur die Schwaben haben eine Teststrecke, sondern jeder Hersteller hat dies auf eine bestimmte Art und Weise. Abgesehen von den sowieso vorhandenen, eigenen und abgesperrten Testgeländen. 

WOLL: Beim Autonomes Fahren – vorausgesetzt, dass sie gut ausgereift – entfällt die Fehlerquelle menschliches Versagen. Wie sehr müssen wir uns dann aber vor dem technischen Versagen fürchten? 

Prof. Kutzera: Egal welcher Fehler, dies kann immer unschön enden. Je höher das Autonomie-Level, desto höher die Anforderungen an Ausfallrate und desto höher der Testumfang. Tesla beweist jedoch mit Ihren Systemen, dass wenn die Systeme eingeschaltet sind und genutzt werden, die Unfallrate deutlich sinkt. 

WOLL: Wann denken Sie, wird das erste autonome Fahrzeug im Sauerland unterwegs sein? Sie gaben im Gespräch mit einem Kollegen von der WP die Jahreszahl 2025 an?  

Prof. Kutzera: Die FH-SWF beteiligt sich an einem Projekt in Iserlohn, bei welchen ein Bus die Studierenden vom Bahnhof zum Campus befördern soll. Diese Jahreszahl halte ich für haltbar. Beim autonomen Auto soll demnächst Level 3 auf den Straßen verfügbar sein. Nicht nur die Hersteller waren dazu noch in der Entwicklung, sondern auch die Gesetzeslage. 
 
WOLL: Viele Menschen lieben es, ihr Auto zu fahren und zu steuern. Denen wird doch etwas genommen. Welchen Ersatz bekommen sie dafür? 

Prof. Kutzera: Ich denke, dass das Autofahren sich auf jeden Fall wandeln wird. Denken wir so auch an die Fahrschule. Was muss der Fahrzeugführer noch mit sich bringen? Die Fahraufgabe wird mehr eine „Aufpasserrolle“ am Steuer sein. Da es sich aber noch lange Zeit um Assistenzsysteme handeln wird (Betonung auf Assistenz), da die Fahrzeugführer eben ungern die Fahraufgabe „aus den Händen“ geben möchten, wird der Übergang zum gezwungen autonomen Fahren noch lange dauern. Die Infrastruktur muss auch angepasst werden, was auch lange dauern kann. 
 
WOLL: Selbstfahrende Autos sind eine Form der künstlichen Intelligenz, die ständig dazulernen muss, speziell wenn es um die unterschiedlichsten Gefahrenbereiche geht. Und auch eine ethische Komponente kommt hinzu. Wie entscheidet das Autohirn, wenn es z. B. darum geht, entweder die Insassen zu schützen oder Kinder, die plötzlich auf die Straße zu rennen? 

Prof. Kutzera: Moralisches Dilemma: Die Ethik-Kommission hat hier klar Stellung bezogen: Bei unausweichlichen Unfallsituationen ist jede Qualifizierung nach persönlichen Merkmalen (Alter, Geschlecht, körperliche oder geistige Konstitution) strikt untersagt. So wird nicht nach Alter, Geschlecht, Führungszeugnis etc. Unterschieden. Wenn dies möglich ist, wird in dieser beispielhaften Situation das Auto ausweichen und versuchen die Kinder zu schützen. Wenn ein Spurwechsel nicht möglich ist, wird es in der eigenen Spur bremsen. Dies erfolgt dann nach den Grenzen der Physik. Ein Programmierer muss sich bewusst sein, dass man im Code / beim Programmieren also schon vorab entscheidet, wie das Auto in gegebenen Situationen reagieren wird. 
 
WOLL: Und wer haftet, wenn es doch zum Unfall kommt? 

Prof. Kutzera: Hier ist eine Gesetzesänderung erforderlich. Wenn ein Fahrzeugführer nicht selbst bremsen und/oder den Schaden nicht verursachen würde, ist laut aktueller Rechtslage die Situation sehr diffus. 
 
WOLL: Thema Datensicherheit: Was zeichnen solche autonomen Fahrzeuge von den Insassen auf? Wer fährt wann wohin? Über was haben sich die „Fahrgäste“ unterhalten? 

Prof. Kutzera: Hier gilt es stark in die Datenschutzerklärung und AGBs der Fahrzeughersteller zu schauen. Bsp. bei meinem Fahrzeug: Ich habe zwei Schlüssel und jeder Schlüssel ist auf die Bedürfnisse wie Sitzposition, Klimaanlage und vieles mehr Individuelle auf mich oder meine Frau anpassbar. Zudem lässt sich das Fahrzeug via Handy-App bedienen. So sind viele Rückschlüsse schon heutzutage personalisiert machbar. Man kann bspw. auch seine Log-in Daten in ein Mietfahrzeug eingeben und dies passt sich dann ebenfalls an den Fahrzeugführer an. @unterhalten: Nahezu jeder Fahrzeughersteller bietet in modernen Fahrzeugen auch Sprachassistenten oder Assistenten zum Nachinstallieren wie Google Assistent, Siri oder Alexa an. 
 
WOLL: Wenn ein Fahrzeug keinen Fahrer mehr benötigt, entfallen zwangsläufig viele Berufe: Busfahrer, LKW-Fahrer, Fahrerlehrer und Verkehrspsychologe (kein Führerschein mehr nötig?). Sollten diese Berufsgruppen besser so langsam umschulen? 

Prof. Kutzera: Nein, ich denke hier ist keine „Panik“ geboten. Meines Erachtens werden die Berufe jedoch bestimmt angepasst. So hat ein heutiger Berufskraftfahrer die nötige Erfahrung, um die Fahrzeuge in der Nutzung und im Verhalten zu beurteilen. Evtl. könnte ein Fahrzeugführer mehrere Fahrzeuge aus der Ferne fahren bzw. Kontrollieren. 

WOLL: Fahren Sie gern Auto? Auf welchem Level ist Ihr PKW? 

Prof. Kutzera: Ja, jedoch nicht gerne lange Strecken. Diese finde ich anstrengend/belastend und hoffe auf baldige Unterstützung durch weitere moderne(re) Systeme. 
Ich habe ein nagelneues Auto, aktuelles Modell mit allen Assistenzsystemen, welche es in dieser Fahrzeugkategorie zu bestellen gab. Das Auto ist auf Level 2. Das Auto kann somit Quer- und Längsregelung übernehmen, ich muss jedoch stets die Hände am Lenkrad haben und ggf. Die Kontrolle übernehmen. 
 

Die fünf Level zum Autonomen Fahren 

Level 1 – Assistiertes Fahren 
Assistenten geben Hinweise und unterstützen den Fahrer. Beispiel Notbremsassistent.  
Level 2 – Teilautomatisiertes Fahren 
Computer übernimmt einzelne Fahrmanöver – Fahrer übernimmt weiter die Überwachung und kann eingreifen (z.B. Spurhalteassistent mit Gegenlenkfunktion)  
Level 3 – Hochautomatisiertes Fahren 
Autotechnik übernimmt viele Funktionen selbst, bei Gefahr oder Systemausfall kann der Fahrer eingreifen.   
Level 4 – Vollautomatisiertes Fahren 
Das Auto manövriert komplett selbständig in Parkhäusern oder auch über längere Strecken auf der Autobahn. Der Fahrer kann die Fahrzeugführung abgeben und zum Passagier werden. 
Level 5 – Autonomes Fahren 
Das Auto fährt komplett selbständig – ohne Fahrer, Lenkrad und Pedal.