Wenn sich das Mittelalter auftut
Es ist mehr als ein Haufen Steine, der nun bei den Bauarbeiten zum neuen Kreisverkehr am Feuerteich ausgegraben wurde. Zwei akkurat gearbeitete Bruchsteinmauern verlaufen parallel in der Tiefe, gut drei Meter unter der Gegenwart, und das seit guten 800 Jahren!
Aber nähern wir uns diesem Wunder im Schatten der Speckschule doch einmal neugierig mit ein wenig Forschergeist und gehen zurück ins 14. Jahrhundert. Attenderne ist eine fleißige Stadt im Rheinischen Bund, dort in enger Beziehung zum Heiligen Köln und wird zur Mitte des Jahrhunderts Mitglied im mächtigen Bündnis der Hansa. Attendorner Kaufleute handeln bis London, Visby und Riga und bringen große Reichtümer ins Sauerland. Aber die Menschen des Mittelalters handeln auch in Hinsicht auf ihre Vergänglichkeit und denken im Sinne ihrer Nachkommen.
Fest steht die größte Kirche weit und breit, ihr gegenüber erhebt sich stolz ein Rathaus, das es mit Brilon und fast schon mit Soest aufnehmen kann. Die Hospitalkirche entsteht zur Armenhilfe vor dem Wassertor und in Ewig wird später ein prachtvolles Kloster errichtet. Den Kaufleuten ist der Heilige Nikolaus Schutzpatron, der sie auf den weiten Reisen über die Nord- und Ostsee beschirmen soll. So wird ihm eine Kapelle errichtet, die Nikolai-Kapelle am Ennester Tor. Ihre Einweihung wird von Erzbischof Heinrich II. von Köln bestätigt. In diesem Schriftstück taucht das Ennester Tor erstmals urkundlich auf.
„…ob dei omnipotentis et beata Marie virginis gloriose (…) ac beati Nycolai (…) capellam unam infra oppidum nostrum Attenderne predictum, ante portam dictam vulgariter ´Ennester Porten´(…) fundaverunt…“
„Haben zu Ehren des allmächtigen Gottes, der hl. Jungfrau Maria, dem hl. Nikolaus, innerhalb unserer zuvor genannten Stadt Attendorn, an dem allgemein Ennester Porten genannten Tore, eine Kapelle begründet. Gegeben zu Godesberg, am Fest der hl. Jungfrau Katharina, im Jahre des Herrn 1328.“
Allerdings ist das Tor zu diesem Zeitpunkt bereits über 100 Jahre alt. Errichtet gemeinsam mit dem ganzen Festungsring vor 1222, also bereits fertig in jenem Jahr, in dem Erzbischof Engelbert das Stadtrecht verliehen hatte, um seine Landesgrenzen zu befestigen. Just in diesen Tagen wurden auch die ersten Steine auf dem Schnellenberg vermauert.
Fast 600 Jahre sollte diese feste Mauer mit ihren vier Toren die Stadt sicher beschützen. Erst 1812 wurde sie abgerissen, und nur der Bieke- und der Pulverturm sollten bis heute bestehen bleiben.
Nun ist das Ennester Tor wieder aufgetaucht!
Zuerst fällt auf: Man wundert sich über die Richtung, die vom Verlauf der Ennester Straße um gut 20 Winkelgrade abweicht und stattdessen in etwa auf die Kirche ausgerichtet ist. Aber das lässt sich wohl schlüssig erklären. Es gibt einige alte Stadtpläne und Darstellungen, die recht grob die Situation darstellen. Aber 1803, nachdem uns Napoleon überrannt hatte, wurde das Erzbistum Köln entmachtet und wir fielen an den Landgrafen von Hessen-Darmstadt, der mit den Franzosen verbündet war. Viel haben die Hessen angerichtet, aber manches haben sie im Dunstkreis der progressiven Revolutionäre auch mitgebracht.
Die genaue Kartographie in Hilfsquadranten gehört dazu. Und so gibt es einen genauen Grundriss der Stadt von 1810. Deutlich erkennt man das Abknicken des Weges im Torbereich. Warum sollte man einem Angreifer auch eine gerade Bahn für eine Attacke bieten? Wer um die Kurve muss, der verliert seinen Schwung… Was nun freigelegt wurde, dürfte das Widerlager zum Stadttor sein, auf dem die Brücke über den Wassergraben auflag. Wenn es richtig brenzlich wurde, dann konnte man vielleicht aus diesem Bauwerk auch noch den Holzboden entfernen, unter dem das Wasser des Grabens ebenfalls zwischen den Mauern stand. Somit verbreiterte sich der Graben vor der Zugbrücke noch einmal um mehrere Meter, und jeder Angreifer musste zwischen den Mauern durch das Schussfeld der Mauerbesatzung, um durch das Wasser zum Tor zu gelangen. Eine ungemütliche Vorstellung…
Auf dem Feuerteich wurden bei den Erdarbeiten zum Parkhaus private Archäologen aus Köln beschäftigt, die nichts Besonderes in der Grube gefunden haben. Auch nichts Bemerkenswertes an Resten vom letzten großen Stadtbrand 1783. Der Schutt der gesamten mittelalterlichen Stadt war danach in den überflüssig gewordenen Stauteich gekippt worden. Auch ein solides Bruchsteinfundament auf Höhe des ehemaligen Toilettenhäuschens war laut Expertise wohl uninteressant. Es wurde wohl nicht einmal vermessen, weil es halt schnell gehen musste. Nun ja. Ebenso die erstaunlichen Blöcke an feinstem Töpferton in verschiedenen Farben, die vor diesem Mauerwerk im Boden lagen. Brennereien wollte vor 500 Jahren nach Möglichkeit niemand in der Nähe haben, bei all den dicht an dicht gebauten Strohdächern. Und doch brannten die Städte oft genug lichterloh.
Laut Aussage aus dem Rathaus sind nun aber glücklicherweise die Fachleute von der archäologischen Nebenstelle des LWL in Münster am Ennester Tor tätig. Schnell und gründlich werden sie sein. Mal sehen, ob es dort auch nichts zu finden gibt wie nebenan.
Achim Gandras für den Verein für Orts- und Heimatkunde Attendorn
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