65 Jahre an der Orgel: Fritz Deimel hat nichts verlernt

Fritz Deimel hat auch nach vierjähriger Pause nichts verlernt.

Wie aus Not Gelegenheit wurde …

„Junge, du lernst das Orgelspielen!“ – was Pfarrer Albert Schulte mit diesem Satz auslösen sollte, konnte er im Juli 1950 nicht ahnen. Denn die Idee, den jungen Küster Fritz Deimel zum Organisten auszubilden, war tatsächlich aus der Not geboren: Ab Advent des Folgejahres würde ansonsten werktags die Orgel in der St. Martinus-Pfarrei zu Attendorn-Dünschede verstummen. Die Feier der Liturgie hatte für Fritz Deimel – aufgewachsen in einer anderen Zeit – eine ganz besondere Bedeutung, und so lag sein Zögern keineswegs an fehlendem Engagement:

Andere Zeiten
Mehr als siebzig Jahre später treffe ich Fritz Deimel an genau der Stelle, an der seinerzeit bei einem Gespräch in der Sakristei alles begann. „Ich leistete in der St. Martinus-Kirche schon einige Jahre den Altardienst. Dass ich die Bitte des Pfarrers ablehnen musste, hatte rein finanzielle Gründe: Nach dem Krieg besaßen wir nicht viel, ich war in der Ausbildung zum Schuhmacher – wie sollte ich mir da Musikunterricht leisten?“, erklärt Fritz Deimel sein anfängliches Zweifeln. „Aber Pfarrer Schulte fand eine Lösung: Er stellte mir ein Harmonium zum Üben ins Haus und erteilte mir selbst den Unterricht, immer montags nach der Heiligen Messe. Es stellte sich allerdings schnell heraus, dass er sehr streng war.“

Eine harte Schule – doch bei dem gelehrigen Schüler ließen die ersten Erfolge nicht lange auf sich warten: Tatsächlich war er im Advent 1951 schon so weit, die Werktagsgottesdienste zu übernehmen. „Das Hochamt spielte immer der Sohn des Lehrers, die Frühmessen teilten sich vier andere Organisten. Offenbar waren sie nicht einverstanden, dass ich nach so kurzer Zeit auch für die Sonntagsgottesdienste eingeteilt war; jedenfalls streikten Pfingsten 1952 alle fünf, und ich musste fortan jeden Sonntag drei Gottesdienste spielen. Nach der Frühmesse probte ich für das Hochamt, und nach dem Hochamt für die Vesper“, erinnert sich Fritz Deimel.

Unterstützt wurde er dabei immer von seiner Ehefrau Hedwig. Stolz saß sie unten in der Bank, als der Gemeindegesang im September 1952 vom NWDR (Nordwestdeutscher Rundfunk) live im Radio übertragen wurde, und ihr Fritz die Orgel spielte. Und auch als die drei Kinder geboren wurden und die zunehmenden Aufgaben als Küster und Organist immer mehr Zeit in Anspruch nahmen, hielt sie ihm den Rücken frei. „Meine Selbstständigkeit im Schuster-Handwerk ließ sich ebenfalls gut mit dem Kirchendienst vereinbaren. Den Küsterdienst habe ich bis 2002 ausgeübt, den Organistendienst bis 2016“, blickt Fritz Deimel zurück.

Eigens für unser Interview hat er den mühseligen Aufstieg noch einmal auf sich genommen und ist genau die Stufen zur Orgelbühne emporgestiegen, die er wohl schon annähernd zehntausend Mal gelaufen ist. Doch nachdem er meine Fragen beantwortet hat, kann sich der leidenschaftliche Organist nicht länger zurückhalten und greift in die Tasten; schon nach wenigen Tönen der „Gesänge zur Gabenbereitung“ ist klar: Nein, Fritz Deimel hat nichts verlernt.

Gemeinde heute
Neun Priester hat Fritz Deimel in seinem über siebzigjährigen Dienst für die Kirche kommen und gehen sehen, und auch heute verfolgt er noch ganz genau, was in der St. Martinus-Gemeinde geschieht. So lässt er es sich nicht nehmen, mir nach dem anstrengenden Besuch auf der Orgelbühne auch noch das neu errichtete Pfarrheim gleich neben der Kirche zu zeigen. Beim Neubau des MartinusTreff hat der Kirchenvorstand alles getan, um einen schönen Anlaufpunkt für Groß und Klein zu bieten: In den lichtdurchfluteten, multifunktionalen und barrierefreien Räumen treffen sich Krabbel- und Seniorengruppen; sogar Feierlichkeiten können hier veranstaltet werden.

Auch Fritz Deimel hat Grund zum Feiern: „Im übernächsten Jahr werde ich neunzig Jahre alt. Außerdem wird meine Enkeltochter im kommenden Mai heiraten, in der Kirche, in der ich so viele Jahre die Orgel gespielt habe. Und auch wenn ich sie dann nicht mehr spiele, so werde ich ihr doch mit Freude lauschen.“

Seit vier Jahren sorgt der Finnentroper Organist Stefan Wintersohle dafür, dass die Orgel in der St. Martinus-Kirche nicht verstummen muss, und auch wenn der Einsatz von Fritz Deimel sicherlich einmalig ist, so wird das hoffentlich in vielen Gemeinden auch noch lange so sein!