Michael Martin
WOLL: Du hattest Deinen Lebensmittelpunkt längere Zeit im Ausland. Wo warst Du, was hat Dir am Leben dort gefallen und warum bist Du wieder zurück ins Sauerland gekommen?
Michael Martin: Ich habe 20 Jahre lang an der wunderschönen südenglischen Küste in der Nähe von Brighton gelebt. Mein Haus lag am Fuße des South Downs National Parks, fünf Minuten vom Meer und einem langen Strand entfernt, wo dem man im Sommer nach dem Joggen direkt ins Meer springen kann. Herrlich. Die Menschen in East Sussex, so heißt die Gegend, sind sehr freundlich und deutlich entspannter als viele deutsche Zeitgenossen. Ich habe mich dort auch nie als Ausländer gefühlt, sondern immer als willkommener Teil des Ganzen. Dann kam der Brexit und ich habe mir Fragen gestellt, was dieser für meine Zukunft und mich bedeuten würde. Ist meine britische Rente ohne britischen Pass noch sicher? Werde ich zum Einwohner zweiter Klasse? Rutsche ich im staatlichen Gesundheitssystem hinter die britischen Patienten? Da es auch im Privatleben einige Veränderungen gab, packte ich 2020 meine Koffer und zog zurück in meine Heimat, das Sauerland. Genauer gesagt, in die Ziegenstadt Neuenrade, wo schon meine Omma wohnte und ich die ersten Jahre meiner Kindheit verbrachte.
WOLL: Als Journalist sucht man immer nach den Besonderheiten einer Region. Gibt es ein Alleinstellungsmerkmal des Sauerlandes, durch das es sich von anderen Mittelgebirgsregionen unterscheidet?
Michael Martin: Diese Frage habe ich mir sowohl als Marketingberater als auch als Autor öfter gestellt. Auf der Suche nach dem USP, dem Unique Selling Point des Sauerlands, krabble ich zu ihrer Beantwortung seit Jahrzehnten quer durch die Region, schaue den Menschen aufs Maul, besuche Weltmarktführer in ihren gut verborgenen Klitschen und teste heimische Küche und Zapfhahnprodukte. Dabei fand ich heraus, dass es bei uns gar nicht sooooo viel anders ist als in anderen Mittelgebirgen. Wir Sauerländer sehen einfach nur besser aus, sind deutlich klüger und auch viel bescheidener als die armen Menschen, die zu einem Leben im Harz oder Siegerland verdammt sind.
WOLL: Du hast Dich also intensiv mit dem abwechslungsreichen Brauchtum des Sauerlandes beschäftigt. Was war der überraschendste oder skurrilste Brauch, den Du gefunden hast?
Michael Martin: Seit den Recherchen für mein Buch „Voll die Bräuche woll!“ kenne ich das heimische Brauchtum recht gut. Skurrile Bräuche gibt es bei uns reichlich, denn was Blödsinn betrifft, sind wir Sauerländer schon immer sehr kreativ gewesen. Meine Top 3 wären zunächst das Heringsbegräbnis in Freienohl, wo Dienstag nach dem Schützenfest ein toter Hering feierlich aufgebahrt und mit einer Prozession zur Ruhr getragen wird. Dann der Attendorner Semmelsegen, zu dem sich die Menschen seit 1658 am Karsamstag vor ihrer Kirche treffen, um kümmelige Ostersemmeln hochzuhalten und vom Pfarrer segnen zu lassen, bevor man sie mit lecker Knochenschinken darauf verkasematuckelt. Und zu guter Letzt natürlich unser geliebtes Eierbacken, das ich ja wohl kaum erklären muss, woll?
WOLL: Wie würdest Du einem Gast, der noch nirgendwo ein Schützenfest erlebt hat, das Phänomen „Sauerländer Schützenfest“ erklären?
Michael Martin: Dazu müsste ich dem Gast die kompletten 256 Seiten von „Schützenfest, woll!“ vorlesen, meiner kunterbunten Schwarte über unsere älteste Tradition. Ein wenig Zeit braucht es nämlich schon, um das Phänomen Schützenfest einigermaßen zu erklären. Ok, manchmal hat man die nicht, zum Beispiel, wenn ich im Sommer von England zu den Schützenfesten ins Sauerland fuhr und meine englischen Freunde mich fragten, worum es sich dabei handle. Den Begriff „Schützenfest“ hätte ich wörtlich ins Englische übersetzen können (marksmen’s festival), aber es würde ja niemand verstehen, weil man den Brauch einfach nicht kennt. Also habe ich immer geantwortet: „Schützenfest is a traditional local beer festival, a bit like the Oktoberfest, just much, much better.“
WOLL: Was sind Deine nächsten Projekte rund um das Thema Sauerland? Womit beschäftigst Du Dich aktuell?
Michael Martin: Soeben entsteht der Folgeband zum Bestseller „Sauerländer. Besser geht’s nicht.“, den ich wieder mit der genialen Sonja Heller als Grafikpartnerin gestalte. Worum es darin gehen wird, verrate ich aber erst im Frühsommer, kurz vor Erscheinen des Buches im WOLL-Verlag. Bereits in Arbeit ist auch mein dritter Kurzgeschichtenband, für den werde ich wohl noch ein Weilchen brauchen: mittelalter Mann is kein D-Zug. Willze machen? Isso.