„Positiv denken: Doch das ist schon mal nicht so einfach.“

Johannes Meier erzählt aus seinem bewegten Leben in Niederhenneborn

Es gibt Menschen, denen man einfach gerne zuhört, weil sie viel zu erzählen haben. Zu diesen Menschen gehört Johannes Meier aus Niederhenneborn. In sich ruhend sitzt er auf einer Bank vor seinem Haus. Alles picobello „rausgeputzt“. Dass die riesigen Hortensien noch nicht blühen, ärgert ihn ein bisschen. Schließlich wäre das ein schönes Bildmotiv gewesen, meint er.

Seinen Bauernhof hat der 83-Jährige immer noch im Griff. „Heute habe ich kein Vieh mehr, aber es gibt noch genug zu tun“, erzählt der gebürtige Niederhenneborner. Holz für den Winter spalten, den Hof sauberhalten, den Garten bestellen und Verschiedenes einkochen – zum Beispiel Stachelbeeren, die er schon als Kind liebte. Er strahlt: „Ich mache das alles selbst. Nur vernünftig kochen oder backen, das kann ich nicht. Satt bin ich aber immer noch geworden.“ Manchmal wird auch noch der alte, rote Trecker aus dem Stall geholt und er fährt mal kurz übers Land. „Egal wie, man muss in Bewegung bleiben und ganz wichtig: positiv denken. Doch das ist schon mal nicht so einfach“, gibt Johannes Meier nachdenklich zu.

Foto: Heidi Bücker
Foto: Heidi Bücker

Die Erinnerungen aus seiner Kindheit und Jugend schildert er, als wäre es gestern gewesen. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht, als er beschreibt, wie sie als Kinder mit dem Bollerwagen ins Dorf zogen, um beim Bäcker das Brot für die Familie zu holen. Seine beiden Brüder, seine Schwester, er und die Eltern kauften neun Brote in der Woche. Ab und an wurde eine Kuh am Strick zum Metzger geführt. Aber eigentlich brauchte man die Kühe damals nicht nur für Fleisch und Milch, sondern auch für die Feldarbeit. Das wurde erst 1950 anders, als sein Vater einen Arbeitsochsen kaufen konnte. Die Milch der Kühe zu verkaufen war durch die Lage des Hofes jedoch zu mühsam, denn der Weg war noch nicht fertig. 1962 wurde die Straße in Niederhenneborn und damit auch die lange Zufahrt zum Gehöft endlich ausgebaut. Bis dahin gab esaber immerhin schon frische Butter vom Hof Meier.

Johannes Meier nennt die wichtigen Ereignisse in seinem Leben auf den Tag, den Monat, das Jahr genau. Unglaublich, wie präsent alles ist. „Ja, wo soll ich anfangen?“, überlegt er. „Am 01.08.1942 bin ich in Oberhenneborn eingeschult worden. Eine halbe Stunde Fußmarsch durch den Wald – bei Wind und Wetter. Nur im Winter ging es etwas schneller“, erinnert er sich lachend. Mit dem Schlitten über heutige Straßen zu rasen war eine riesige Freude. Die großen Pferdeschlitten wurden in Oberhenneborn eingesetzt, um die Wege für das Milch- und Postauto freizuschieben. In den extrem heißen Sommermonaten war der Marsch durch den Wald angenehmer. Zur Landwirtschaftsschule nach Eslohe ging es in den Jahren 1953/54 und 1954/55 (jeweils im Winter) auch durch den Wald – diesmal aber mit dem Motorrad: „Meine 125er DKW fuhr 80 Kilometer die Stunde. Da wurde einem auf dem Weg schon ziemlich kalt.“

Dass er vor und nach der Schule auf dem elterlichen Bauernhof helfen musste, erwähnt er nur nebenbei. Das war normal und nichts Besonderes, schließlich war sein Vater auch nur Nebenerwerbslandwirt. Im Fokus standen die Zimmerei und die Waldarbeit. „Auch ich bin Waldarbeiter geworden. Am 01.07.1958 habe ich meine berufliche Laufbahn bei der Forstbetriebsgemeinschaft in Rarbach als Waldarbeiter begonnen. 40 Jahre habe ich das gemacht. Es war echte Maloche. Dass meine Knochen das mitgemacht haben, dafür kann ich wirklich dankbar sein“, erinnert sich Johannes Meier. Die Dankbarkeit ist begründet, denn damals hatten die Männer nur eine Motorsäge, der Rest wurde mit der Axt und dem Schäleisen gemacht. Schutzhelm und Schutzkleidung gab es nicht. Dafür immer mal wieder ein kleines Schnäpschen – zum Aufwärmen.

Im gleichen Jahr durfte er auf eine mehrwöchige Weiterbildung nach Warburg-Hardehausen, wo es die katholische Landvolkshochschule gab. „Da hatten wir Spaß. Sieben Wochen am Stück fort von zuhause. Es war das einzige Mal, dass ich so lange aus Niederhenneborn weg war. Neben einem Grundlehrgang zur Landwirtschaft gehörten auch Allgemein- und Persönlichkeitsbildung dazu“, erzählt Johannes Meier. Und plötzlich stimmt er es an, das Lied, das morgens zum Start der Weiterbildung gesungen wurde: „Im Frühtau zu Berge wir zieh‘n, fallera …“ Er lacht, seine Erinnerungen sind präsenter denn je. Doch so sorglos sollte sein Leben nicht immer verlaufen.

Erstkommunion 1945 fiel aus

1876 baute sein Urgroßvater Johannes Meiers Elternhaus. Seit dieser Zeit hat der Hof in Niederhenneborn Krieg und Frieden, Trauer und Leid, aber auch Freude und Zufriedenheit erlebt. Erlebnisse aus dem Zweiten Weltkrieg schildert er mit den Augen eines 9-Jährigen: „Am 8. April 1945 hätte ich Erstkommunion gehabt. Die fiel jedoch aus. In Oberhenneborn schlugen über fast drei Tage Granaten ein, die auch das Haus unseres Schusters trafen, in dem meine Kommunionschuhe lagen. Sie wurden verschüttet, tauchten aber später wieder auf. Außerdem hatte sich auf dem Hof in Niederhenneborn ein deutscher Divisionsstab eingerichtet. Als Funker den Vormarsch der Amerikaner meldeten, zogen die Deutschen weiter. Die Amerikaner kamen und am 10.04.1945 wurde unser Hof durchsucht. Ich hatte noch nie so viele dunkelhäutige Menschen gesehen. So etwas kannten wir nicht. Mit der Flinte auf der Brust wirkten sie zwar furchteinflößend, waren aber alle eher freundlich. Am 08. Mai war der Krieg schließlich vorbei. Als Kind verstand man das alles nicht.“

 Knapp zehn Jahre später ging es schon wieder besser, als Johannes Meier die erste Weltmeisterschaft im Fußball „live“ erlebte: „Wir saßen in der Stube mit Arbeitskollegen vor dem Radio und haben das 3:2, Deutschland gegen Ungarn, voller Spannung gehört. Legendär das ‚TOR‘ – der finale Schuss von Helmut Rahn zum Sieg.“ Danach ging es nach Kirchrarbach zum 50-jährigen Jubiläumsschützenfest. 1954 Weltmeisterschaft und Schützenfest zu feiern war nicht nur für ihn unvergesslich. Ein Glas Bier kostete damals 30 Pfennig. Manchmal gab es Rabatt, wenn man mehr bestellte – was ab und an auch passierte.

Pocken in Meschede und das Corona-Virus

Das Feiern beschränkte sich damals auf Schützenfest, Erntedank und den Reister Markt. Ansonsten war man zuhause und schließlich auch müde von der harten Arbeit – doch trotz all der Arbeit war Johannes Meier über 50 Jahre auch noch in den unterschiedlichsten Kirchrarbacher Vereinen und Vorständen ehrenamtlich tätig: Dazu gehörten die katholische Landjugend, Schützen- und Heimatverein sowie der Kirchenvorstand St. Lambertus. So lernte er damals auch seine große Liebe kennen: Mit seiner Frau Maria (geborene Schulte-Göbel aus Selkentrop) war er 55 Jahre verheiratet. Die beiden haben drei Kinder. „Das Traurige gehört zum Leben dazu“, sagt Johannes Meier. Seine Frau ist in diesem Jahr nach langer Krankheit verstorben. Die Besuche auf dem Kirchrarbacher Friedhof helfen ihm, die Gottesdienstbesuche fehlen ihm. „Ich höre die Messen seit der Corona-Sperre immer im Radio. Das tut mir gut.“ Vor dem Corona-Virus hat er keine Angst. „Ich habe einfach zu viel erlebt und weiß, auch das wird vorbeigehen. Als 1970 unsere jüngste Tochter zur Welt kam, waren die Pocken in Meschede. Ich musste meine hochschwangere Frau nach Eslohe fahren, um zu entbinden. Das war beängstigend.“ Viele Schicksalsschläge haben sein Leben begleitet. „Vieles kann ich nicht ändern. Trotzdem habe ich meinen Glauben nie verloren. Ich bin dem Herrgott dankbar. Ich habe in meinem Leben viel Hilfe erfahren und versuche, zufrieden zu sein.“ Abschließend verrät er, warum er bis heute seinen Lebensmut und seine Freude am Schaffen nie verloren hat: „Wenn man mit beiden Beinen auf der Erde steht und immer einen festen Halt nach oben hat, dann hast du Kraft, um positiv nach vorne zu schauen.“