Leben im Land der aufgehenden Sonne

Quelle: Carla Willmes

Lisa Mörchen im Gespräch mit Carla Willmes

Konnichiwa statt Guten Tag, Karaoke-Bar statt Schützenfest und Tokio statt Dortmund als nächstgelegene Großstadt – Carla Willmes lebt und studiert in der japanischen Hafenstadt Yokohama. Nach ihrem Abitur 2015 zog es die heute 23-jährige Schmallenbergerin in den asiatischen Staat im Pazifik, der aus über 6.800 Inseln besteht. Die Idee dazu kam ihr auf einer Messe in Münster.

Mit einem Work&Travel-Visum im Gepäck verbrachte Carla ein Jahr in Fukuoka. Sie jobbte und reiste, lernte Sprache und Kultur kennen und war sich schnell sicher, dass sie länger in Japan bleiben möchte. Carla erzählt: „Schon nach zwei Wochen habe ich meinen ursprünglich für sechs Monate geplanten Aufenthalt auf ein Jahr verlängert. Ich wollte mein erlerntes Japanisch weiter vertiefen und habe mich schließlich für ein vierjähriges Studium an der Yokohama National University entschieden.“

Studium an Yokohama National University

Seit 2017 studiert die Schmallenbergerin Kultur und Kommunikation im Bachelor, eineinhalb Jahre hat sie noch vor sich. Carla ist eine von zwölf internationalen Studenten in ihrem Programm, insgesamt sind es an der Universität circa 1.000 ausländische Studierende. Diese werden vom Land großzügig gefördert und können die Studiengebühren von bis zu 5.000 Euro pro Jahr zum Beispiel über Stipendien oder Förderungen finanzieren. Anders als in Deutschland gibt es in Japan einen schwierigen Einstellungstest, um an einer Universität angenommen zu werden. Die Klausuren später im Studium sind dagegen leichter als in Deutschland. Nachdem sie das erste Jahr in einem Wohnheim wohnte, lebt Carla nun mit einer 23-jährigen Dänin in einer Wohngemeinschaft. Sie erzählt: „Aufgrund der hohen Lebenshaltungskosten in Japan ist das eher ungewöhnlich. Viele Studenten wohnen entweder bei ihren Eltern oder je nach Universität in Wohnheimen.

Japanisch spricht Carla inzwischen fließend. Sie sagt: „Das Schwierigste war, dass es drei verschiedene Alphabete gibt. Die Kanji-Schriftzeichen kommen zum Beispiel vom chinesischen Alphabet und manches Wort wird zwar gleich geschrieben, die Bedeutung kann sich jedoch durch die Aussprache ändern. Auch die Grammatik war völlig neu für mich. Aktuell lerne ich Koreanisch, was mir durch meine Vorkenntnisse wesentlich leichter fällt.“

Gegenbesuch in Schmallenberg

Wie überall auf der Welt war das Erlernen der Landessprache für Carla der Schlüssel, um vor Ort Freundschaften zu schließen – auch wenn es eine Weile dauerte, hat Carla inzwischen Anschluss gefunden. Ihre Freunde haben sie auch schon im Sauerland besucht, wobei lokale Speisen für die Besucher wohl das Highlight der Reise waren. „Japaner gelten allgemein als schüchtern und zurückhaltend, es dauert, bis man sich kennenlernt. Außerdem würde ich sie als sehr höflich und diszipliniert beschreiben. In öffentlichen Verkehrsmitteln zum Beispiel wird weder gesprochen oder gegessen noch telefoniert – es ist komplett still. Lautstärke wird als unhöflich empfunden, ebenso die öffentliche Zurschaustellung von Zuneigung. Außerdem ist es den Japanern wichtig, stets ihr Gesicht zu wahren“, erzählt Carla.

In der japanischen Gesellschaft spricht man von zwei Gesichtern – Omote ist das gesellschaftskonforme Gesicht, das in der Öffentlichkeit präsentiert wird, und Ura beschreibt das wahre Gesicht, das man im Privaten zeigt. Carla berichtet: „Japaner nehmen sehr viel Rücksicht, um ihr Gegenüber nicht zu kränken, auch wenn sich das für sie selbst zum Nachteil auswirkt oder bedeutet, dass sie ihre ehrliche Meinung für sich behalten müssen.“

Die Zurückhaltung spiegelt sich auch in der japanischen Mode wider, erzählt Carla: „Es ist unüblich, viel Haut zu zeigen, ich würde den Stil eher als konservativ beschreiben. Viele Japanerinnen benutzen Make-up, das sie blasser erscheinen lässt, anders als in Deutschland gilt das hier als Sch÷nheitsideal.“ Westliche Kleidung wird als Yōfuku bezeichnet, traditionell japanische Kleidung als Wafuku. Zu Letzterer zählt auch der Yukata, den Carla besitzt – eine leichtere und alltäglichere Variante des Kimonos, hergestellt aus Baumwolle. Er wird zum Beispiel bei japanischen Sommerfesten getragen.

Neben Verhaltensregeln und Kleiderordnung lernte Carla einen weiteren Teil der japanischen Kultur kennen – Karaoke- Bars, die tagsüber wie abends beliebt sind. „Auch wenn es nicht unbedingt meine Lieblingsaktivität ist, Karaoke zu singen gehört in Japan einfach dazu“, sagt Carla.

Japanische Freizeitgestaltung

Wenn sie nicht gerade Vorlesungen besucht, arbeitet Carla in einer kleinen Bar, die bei Touristen und Einheimischen gleichermaßen beliebt ist. Um sich mit Freunden zu treffen und ihre Freizeit zu organisieren, nutzt auch die Schmallenbergerin inzwischen die in Japan gängigen Apps. „Jeder ist immer verplant, niemand verabredet sich heute für morgen, alles wird Wochen im Voraus geplant“, berichtet sie. Zuhause trifft man sich aufgrund der kleinen Wohnungen fast nie. Wenn Carla mit ihren Freunden ausgehen m÷chte, fahren sie oft in das nur wenige Kilometer entfernte Tokio und gehen in eine Bar: „Getrunken wird übrigens längst nicht mehr nur Sake, sondern auch viel Bier, japanische wie deutsche Marken. Izakaya heißen die traditionellen Bars, in denen man oft einen Festpreis bezahlt und für eine festgelegte Anzahl von Stunden dafür trinken und essen kann.“

Das asiatische Land ist zwar fⁿr Fortschritt und Technologie bekannt doch bei so manchem hinkt das Land noch hinterher. Zum Beispiel kommen Besucher mit der englischen Sprache auch in Großstädten nicht sehr weit, Kartenzahlungen sind längst nicht überall möglich und, wie Carla berichtet, es herrscht auch an ihrer Universität eher Zettelwirtschaft als digitaler Fortschritt. Das macht sich besonders jetzt bemerkbar, denn aufgrund der Pandemie hält sich Carla aktuell in Schmallenberg auf und kann ihr Studium nur online fortsetzen. „Meine Universität war auf die digitale Umstellung nicht gut vorbereitet. Ich hoffe, die Vorlesungen finden nicht live statt, das wäre bei sieben Stunden Zeitverschiebung ungünstig“, lacht sie. Wann Carla zurück in ihre Wahlheimat kann, weiß sie noch nicht. Der seit April in Japan geltende Ausnahmezustand wurde inzwischen in vielen Provinzen aufgehoben.

In diesem Jahr hätten zudem die Olympischen Spiele in Japan stattgefunden, für die sich Carla als freiwillige Helferin gemeldet hatte. Sie erzählt: „In Tokio wird immer viel gebaut, aber in den letzten Monaten machte sich das aufgrund von Olympia noch stärker bemerkbar – Stadien, das olympische Dorf, alles war in vollem Gange.“ Inzwischen sind die Spiele auf Sommer 2021 verschoben.

Ob sie für immer in Japan bleiben möchte? Carla überlegt: „Ich fühle mich sehr wohl, möchte aber für mein Masterstudium gerne noch ein anderes Land kennenlernen. Vielleicht zieht es mich irgendwann auch wieder ins Sauerland, mal sehen.“ Beruflich sieht Carla sich beim Auswärtigen Amt, in einer Botschaft oder in der Außenpolitik. Jedem, der Japan einmal bereisen möchte, rät sie: „Auf jeden Fall Tokio besuchen, jedes Viertel der Metropole hat seinen ganz eigenen Charakter, und dann Kyoto, wo es zahlreiche Tempel zu entdecken gibt.“