„Mond-Astronaut“ oder „Mister Boeing“: Alex Vollmert kennt sie alle persönlich

1500 Treffen in 35 Jahren mit den Pionieren und Legenden der Lüfte – Sein Unikat „Das Goldene Buch der Luft- und Raumfahrt“

Text von Gisbert Baltes – Fotos: Klaus-Peter Kappest/Gisbert Baltes (zum Teil abfotografiert)

In Schmallenberg kennen sie ihn alle: Alex Vollmert, gelernter Malermeister, geboren 1947 in Schmallenberg, ein liebenswerter Sauerländer durch und durch. Doch seine ganz spezielle Leidenschaft hat mit Pinsel und Farbe eher nichts zu tun. Es sind die Helden der Lüfte, die ihn seit seiner Kindheit faszinieren, so sehr, dass er zu einem der besten Kenner der internationalen Luft- und Raumfahrt wurde – weltweit.
Diese Helden persönlich kennenzulernen, war stets sein fester Wille, dafür brannte er. Ihre spektakulären Geschichten „über Freud und Leid“ in Wort und Bild zu dokumentieren, war sein erklärtes Ziel, erstmal nur für sich und irgendwann auch für die Nachwelt. Wenn er in seinem selbst gebauten Tower auf dem Dach seines Hauses in dem Riesen-Wälzer blättert, fliegt er um die Welt und landet sogar auf dem Mond …

Denn ihm gelang das schier Unmögliche: Mit sage und schreibe 1 500 (!) Persönlichkeiten aus den ersten 100 Jahren der internationalen Luft- und Raumfahrt hat er sich in den letzten 35 Jahren in verschiedenen Erdteilen getroffen, Eindrücke gesammelt, Fotos und kleine Filme gemacht, Fragen gestellt, Antworten bekommen und sogar Freundschaften geknüpft. Er nennt sie „Pioniere, Asse, Profis, Helden und Legenden“.

Daraus entstanden ist „Das Goldene Buch der Luft- und Raumfahrt“, ein Unikat, bestehend aus 35 Einzel-Bänden. Jeder ist fast so groß und so dick wie ein Tapetenbuch, eine Dokumentation mit hochspannenden und teils unbekannten Geschichten. Mit persönlichen Widmungen und Ein-tragungen. Experten sagen, dies sei einmalig auf der Welt. Schon möglich. So schickte kein Geringerer als George Bush sen., im 2. Weltkrieg Torpedo-Flieger und damals jüngster Pilot der US- Navy, ein Porträt von sich nach Schmallenberg und ließ seine Sekretärin über dem Bild schreiben: „Pre- sident Bush was happy to sign your Golden Book of Aviation”. Bild und Widmung hängen über Vollmerts Schreibtisch. Ausschlaggebend für die weltweite Anerkennung des Schmallenbergers sind wohl sein Fachwissen, sein Respekt und seine herzliche Art, mit den wirklich Großen aus Luft- und Raumfahrt persönliche Gespräche zu führen. Viele von ihnen sind inzwischen verstorben.

Wie durch ein Wunder überlebt

Darunter auch Werner Franz aus Frankfurt, der 92 Jahre alt wurde und als 14-jähriger Kabinenjunge und Steward-Praktikant den Absturz des legendären Luftschiffs „Hindenburg“ am 6. Mai 1937 in Lakehurst, 100 km südwestlich von New York, wie durch ein Wunder überlebt hatte. Alex Vollmert ist von dem Treffen im Juni 2005 mit dem damals 82-jährigen noch heute tief beeindruckt: „Ich bekam Gänsehaut, wie er mir von dem unheimlichen Donnergrollen erzählte, das der Feuerball des brennenden Luftschiffs auslöste, als es zu Boden ging.“ Er und der Koch des Luftschiffs hätten überlebt, weil beim Aufprall genau über ihnen ein riesiger Wassertank platzte und sich das ganze Wasser über sie ergoss. Nur so seien sie dem Flammenmeer entkommen. Was sich wie eine erfundene Spielfilm-Szene anhört, war für die beiden glückliche Realität.

Voller Begeisterung habe ihm Werner Franz die Erfüllung seines Kindheits-traumes geschildert: Wie er als kleiner Junge regelrecht „verrückt nach Luftschiffen“ gewesen sei, wie er Bildchen der fliegenden Zigarren gesammelt habe und rausgerannt sei, wenn wieder einer dieser spektakulä- ren „Zeppeline“ in Frankfurt angekündigt war. Wie er sich letztlich erfolg-reich beworben habe, als sie für die „Hindenburg“ einen Kabinenjungen suchten. Allein der Gedanke, auf einem Zeppelin mitfahren und fremde Länder sehen zu können, sei für ihn „überwältigend“ gewesen. Für 60 Mark im Monat habe er die Offiziere und Kapitäne bei den Mahlzeiten bedienen dürfen und sich zwischendurch immer Zeit nehmen können, von oben auf die Welt hinab zu blicken. Dieser Ausblick habe ihn fasziniert, der sei ein-malig gewesen, vor allem über New York mit den vielen Menschen, den Hochhäusern und den Straßenschluchten. „Ich habe erfahren, was das Leben wert ist!“, habe Werner Franz bei dem Treffen gesagt. Unvergessene Worte, die dem Schmallenberger unter die Haut gingen: „Und dann haben wir auf das Leben angestoßen. Ein toller Mensch!“

Solche emotionalen Begegnungen wecken bei Alex Vollmert persönliche Erinnerungen: „Seit meiner Kindheit habe ich mich für die Fliegerei interessiert! Mein Onkel war Vorsitzender im Luftsportverein Schmallenberg. Das löste bei mir große Sehnsüchte aus!“ Kurz entschlossen fährt er Anfang der 60er Jahre mit zwei Freunden, Klaus Ringleb und Christoph Jürgens, von Schmallenberg nach Frankfurt. „Und zwar mit dem Fahrrad! Ich wollte ja unbedingt den Flughafen und Flugzeuge sehen.“ Eine Woche dauert die Hinfahrt. Nochmal eine Woche die Rückfahrt. Übernachtet wird in Jugendherbergen: „Es durfte ja nichts kosten.“

Vollmerts Augen fangen an zu glänzen, wenn er den „unvergessenen Moment“ schildert: „Wir kamen in Frankfurt an und ich wäre vor Staunen beinah vom Fahrrad gefallen: Zum ersten Mal sah ich leibhaftig so ein großes Passagier-Flugzeug! Diese viermotorige Propeller-Maschine, eine ‚Boeing 377 Strato Crusa‘, zum Greifen nah! Was für ein sensationelles Erlebnis! Niemals hätten wir geglaubt, jemals im Leben in so einem Flugzeug zu sitzen.“

Doch erstens kommt es anders und zweitens, als man denkt: Vollmert erobert die Lüfte für sich. Sein Zauberwort heißt: Tapetenwechsel. Er engagiert sich beim heimischen Luftsportclub auf dem „Rennefeld“ und wird zu einem der gefragtesten Sprecher und Moderatoren bei Internationalen Flugtagen in Deutschland. Gleichzeitig fliegt er durch die Weltgeschichte. Dabei geschieht das, wovon andere nur träumen: die Großen der Luft- und Raumfahrt öffnen dem Schmallenberger Tür und Tor für persönliche Gespräche und Interviews. Einer von ihnen ist kein Geringerer als William E. Boeing Junior vom US-amerikanischen Luft- und Raumfahrtgiganten! Das Sauerland lässt grüßen …

Vollmert wäre nicht Vollmert, wenn ihn die Geschichte der Boeings nicht besonders „gejuckt“ hätte: „Schließlich stammten die Vorfahren aus Hohenlimburg. Die wohnten in einem alten Fachwerkhaus mit der Nr. 33 an der Uferstraße der Lenne!“, weiß er aus dem „Effeff“ – und er fasst sich ein Herz: Sein Sohn Alexander ruft die persönliche Sekretärin des inzwischen über 90-jährigen William in Amerika an. „Die war sehr nett, und er hat ihr von meinem Anliegen und von unserer sauerländischen Herkunft erzählt und sie gefragt, ob wir ‚Bill‘ nicht mal besuchen können.“ Sie habe darauf sehr höflich geantwortet, dass sie mit ihm darüber sprechen und sich wieder melden würde. „Ein paar Tage später rief sie zurück und sagte: „Mister Boeing is very happy! Sie können kommen!“

Vater Alex und Sohn Alexander können es kaum glauben. Kurz entschlossen fliegen die beiden nach Seattle und treffen 2014 auf einen – wenn auch schon sehr kranken – äußerst lebenslustigen William Edward Boeing Jr., genannt Bill, geboren 1922, Sohn des weltberühmten Luftfahrtpioniers William Edwin Boeing, gestorben 1956. Bills Großvater William Böing (später amerikanisiert in Boeing) wiederum war jener Auswanderer, der aus Hohenlimburg stammte und in den Vereinigten Staaten sein Glück machte.

„Bill freute sich wie ein Kind über unseren Besuch! Natürlich haben wir lange über die Fliegerei und über die Anfänge von Boeing geredet. Bill war sehr gastfreundlich! Liebenswert! Einfach im Umgang und äußerst nett! Er erkundigte sich nach der alten Heimat seiner Familie und dem Holzhandel
im Sauerland. Denn dieses war die Branche, in der sein Großvater, der
bereits mit 22 Jahren von Hohenlimburg nach Amerika ausgewandert war, tätig gewesen war. Wir haben ihm vom Schmallen- berger Sauerland erzählt, dass dies eine der schönsten und waldreichsten Mittelgebirgs-landschaften in Deutschland sei, aber auch davon, wie die Region zum Teil zerstört wurde, als der Orkan Kyrill im Januar 2007 mit Windgeschwindig-keiten bis zu 225 km/h das öffentliche Leben in weiten Teilen Europas beeinträchtigte und im Sauerland die Wälder rei- henweise plattmachte, wie 15 Millionen Festmeter stehendes Holz von jetzt auf gleich zerstört wurden.“ Boeing sei dabei sehr nachdenklich geworden.

„Wir waren jedenfalls sehr, sehr happy“, blickt Alex Vollmert auf das Treffen mit William „Bill“ Boeing Jr. zurück. „Der hatte mit Sicherheit noch was Sauerländisches in den Knochen, weil der so natürlich und völlig nahbar war!“ Boeing starb ein Jahr später, 2015, im Alter von 92 Jahren. Natürlich und völlig nahbar. So ist auch Alex Vollmert. Sonst wären solche Begegnungen wohl niemals zustande gekommen. Das dritte Beispiel ist besonders spektakulär: Am 20. Juli 1969 hält die Welt den Atem an. Die beiden Astro- nauten Neil Amstrong und Edwin „Buzz“ Aldrin landen bei der Apollo-11-Mission auf dem Mond und betreten nachei- nander als erste Menschen den Erdtrabanten. Alex Vollmert sitzt wie gefesselt in Schmallenberg vor dem Fernseher und schaut sich das an. Er kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Dann schwört er sich: „Die musst du kennenlernen!!“

Treffen mit dem „Mann vom Mond“

Das Autogramm von Astronaut „Buzz“ Aldrin

Getreu seinem Sauerländer Motto, „Geht nicht gibt’s nicht!“, macht sich der Handwerksmeister an die Recherche. Sage und schreibe fünfunddreißig Jahre gehen dabei ins Land. Dann, 2007, ist es endlich soweit: Die Astronauten-Legende Edwin „Buzz“ Aldrin besucht das Space Center in Bremen. Anschließend gibt es für den prominenten Gast einen Empfang im Bremer Rathaus. Die Sensation ist perfekt: Alex Vollmert darf Edwin „Buzz“ Aldrin dort die Hand schütteln! „Was für ein Augenblick!“ Aber damit nicht genug: „Der hat sich fast eine halbe Stunde Zeit nur für mich genommen“, beschreibt er voller Stolz die einzigartige Begegnung mit dem „Mann vom Mond“.

„Als den für ihn emotionalsten Moment der Apollo-11-Mission schilderte er mir den Augenblick, nachdem Armstrong und er auf der Oberfläche des Mondes gelandet waren, als die beiden sich anblickten und stumm die Hand gaben. Sie hatten es geschafft. Der Treibstoff für die Landung auf dem Erdtrabanten habe nur noch für 30 Sekunden gereicht. Irre! Auch erklärte er mir das Zustandekommen des berühmten Fotos seines Fußabdrucks im Staub der Mondoberfläche. Er habe diese Stelle zunächst unberührt fotografiert und dann ganz bewusst den Fußabdruck gesetzt. So entstand das weltbekannte Foto mit seinen scharfen Konturen: die ersten menschlichen Abdrücke auf einem anderen Himmelskörper. Ich habe es in mein ‚Goldenes Buch‘ geklebt und daneben hat sich „Buzz“ mit einer persönlichen Widmung eingetragen und damit meine Leidenschaft gewürdigt. Was für ein Augenblick!“ Es sind diese Augenblicke, die der leidenschaftliche Luft- und Raumfahrt-Fan Alex Vollmert tief in sein Herz geschlossen hat.

Geschichte hautnah

Seine Bescheidenheit, sein Wissen, seine Begeisterung und seine Verneigung vor den Helden und Legenden führten dazu, das daraus sogar Freundschaften wurden. Vor allem die mit Jürgen Vietor, dem Co-Piloten der am 13. Oktober 1977 von Terroristen entführten Lufthansa-Boeing „Landshut“, der Schreckliches durchgemacht hat. Vietor war schon einige Male in Schmallenberg. 2018 hatte er Alex Vollmert ins Cockpit der „Landshut“ eingeladen, die im Flugzeug- museum in Friedrichshafen steht. Ein beklemmender Moment, sehr emotional, sei das gewesen, „als ich bewusst auf dem Piloten-Platz sitzen durfte. Es war der Platz des Flugka- pitäns Jürgen Schumann, den die Terroristen vor den Augen der Passagiere erschossen haben“. Was Jürgen Vietor, ihm dann im Cockpit erzählt habe, sei kaum zu glauben aber wahr, sagt Vollmert. „Nach der Ermordung seines Kapitäns im jemenitischen Aden wurde Jürgen gezwungen, das Flugzeug alleine weiter zu fliegen.

Es war der erste Flug in der Luftfahrtgeschichte, in der der Start eines Verkehrsflugzeugs allein durch den Co-Piloten erfolgte. Noch dazu eines Flugzeugs, das nach einer gerade geglückten Notlandung keinerlei Kontrolle unterzogen worden war. Dass dies technisch möglich war, grenzte an ein Wunder, denn die Notlandung in Staub und Geröll neben der durch Militärfahrzeuge blockierten Landebahn von Aden hatte deutliche Spuren an der Maschine hinterlassen. Die Triebwerke waren voller Sand und Steine und die Feuerlöscher der Motoren bereits zu diesem Zeitpunkt funktionsunfähig. Ohne Informationen über das Wetter, ohne dass ihm das nächste Flugziel bekannt war, musste Jürgen Vietor die entführte Maschine starten; nach Tagen und Nächten ohne Schlaf und in Todesangst. Er wundert sich noch heute darüber, dass diese Tragödie schließlich in Mogadischu ein relativ gutes Ende gefunden hat.“

In Mogadischu in Somalia, wo die „Landshut“ am 18. Oktober 1977 von der GSG 9, einer Eliteeinheit des deutschen Bundesgrenzschutzes, erstürmt und die Geiseln befreit wurden. Unter ihnen auch – unvergessen – ein junges Ehepaar aus Finnentrop im Sauerland …

„Wir sind hier in Schmallenberg nicht der Nabel der Welt“, sagt der 73-jährige Alex Vollmert. „Aber wenn wir uns was in den Kopf setzen, und ist die Idee noch so verrückt, dan maket vi dat!“ Dabei blickt er stolz aus seinem Tower auf die Dächer seiner Heimatstadt und klappt es zu: Das „Goldene Buch der Luft- und Raumfahrt!“