Die Hüterin der Mescheder Archivalien

Von links nach rechts: Katja Herrlitz, Stefan Wiese-Gerlach, Elke Stahlmecke, Leander Diedrich, Sabrina Knippschild, Andreas Deimann, Annette Knippschild, Klaus Knippschild, Stefan Schneider. Foto: Die Sterne im Sauerland

Text:  Christel Zidi, Sabina Butz
Fotos: Jürgen Eckert

Meschede kann auf eine gut 1000-jährige Geschichte zurückblicken. Sehr altes und neueres Schriftgut aus dieser langen Zeitspanne wird im Stadtarchiv aufbewahrt. Bei der Archivarin Ursula Jung sind die alten Schätze in besten Händen.

Wer bei der Vorstellung an eine Stadtarchivarin auch gleich an eine Geheimniskrämerin denkt, irrt gewaltig. Der Mescheder Archivarin ist sehr daran gelegen, dass jeder Zugang zur Geschichte der Stadt bekommt. Deshalb hält sie die Pforten des Stadtarchivs in Grevenstein für alle Interessierten offen und hat auch uns Woll-Mitarbeiterinnen  herzlich empfangen.

Ein Archiv ist ein Ort (wörtlich: Aktenschrank), an dem wichtige Dokumente (die Archivalien, in der Regel Unikate) aufbewahrt werden. Das Mescheder Stadtarchiv ist das Dokumentationszentrum der Geschichte der Stadt Meschede. Es kann von jedem Einwohner genutzt werden.

Neben der Sicherung der Archivalien für die Zukunft leistet das Stadtarchiv aktiv Beiträge zur historischen Bildungsarbeit. Insgesamt finden wir dort mehr als 8.000 Akten und 5.000 Bilder  aus den Bereichen Mescheder Geschichte, Politik, Religion, Kultur und Alltag. Auch die Verwahrung von Rechtstiteln in Verbindung mit den Unterlagen ist ein wichtiger Aufgabenbereich.

Das Findbuch

Wie man sich dort zurechtfinden soll? Die Stadtarchivarin Ursula Jung berät mit Geduld, Expertise und großem Verständnis nicht nur Experten, sondern auch interessierte Laien – vom Schüler bis zum Senioren: „Wir schauen zuerst in die sogenannten Findbücher. Dort sind alle Archivalien verzeichnet. Entweder in gedruckter Form oder digital. Sogar von zuhause aus kann man sie unter  https://www.meschede.de/rathaus-service/bildung-wissenschaft/stadtarchiv aufrufen. Alte Urkunden oder andere historische Dokumente sind von unermesslichem ideellem Wert. Die ältesten Urkunden sind auf Pergament (Kuh- oder Schafsleder) geschrieben. Ein respektvoller und sehr behutsamer Umgang gebietet sich von selbst. Vieles kann man heute natürlich digital ansehen und damit die wertvollen Dokumente schonen.

Wie wird man ArchivarIn?

Ursula Jung arbeitet seit über 20 Jahren als Stadtarchivarin. Die gebürtige Meschederin hat in Bonn Geschichte studiert und fühlt sich wohl in ihrer Heimatstadt. Während ihrer Studienzeit standen neben historischem Fachwissen auch das Wissen über Archive und deren Systematik und Strukturen auf dem Lehrplan. Heute kann man sich entweder in einem Studium an der Fachhochschule Potsdam zum Bachelor im Fach „Archiv“ oder zum Master im Fach „Archivwissenschaften“ ausbilden lassen. Alternativ stehen verwaltungsinterne Ausbildungen von den Ausbildungsarchiven des Bundes und der Länder zur Verfügung.

Die Geschichte ist in uns.

„Unser Beruf ist mehr als das Sammeln und Sortieren von Akten und Dokumenten. Wir sammeln alle städtischen Dokumente, die im Rathaus nicht mehr gebraucht werden. Irgendwann kommt dann die schwierige Entscheidung: Brauchen wir das noch oder kann es ganz entsorgt werden?“ Diese Entscheidung ist nicht nur mit viel Verantwortung, sondern auch mit einem gewissen Fingerspitzengefühl verbunden: Könnte dieses Dokument in der Zukunft noch einmal wichtig oder von Bedeutung sein? „Rechtssicherheit und Traditionsbewusstsein“ sind die Kriterien, nach denen hier entschieden wird: Eine Bauurkunde oder die Erklärung einer städtischen Verpflichtung muss eigentlich immer aufgehoben werden, nur so kann Rechtssicherheit gewahrt werden. Daneben gibt es allerdings auch viele Dokumente, die Traditionen, Brauchtum oder ganz private Angelegenheiten enthalten, und da kann sich ja schon mal die Perspektive ändern. Was gestern vielleicht noch extrem wichtig war, ist heute in Vergessenheit geraten. „Was ist wichtig für die Zukunft?“, betont Ursula Jung, „das ist die Kernfrage, „wobei Zukunft kann nicht von einem Punkt Null aus entworfen werden kann, von dem aus man nach vorne durchstartet – die abgelegte Geschichte im Rücken. Geschichte liegt nicht im Rücken, sie liegt in uns, als „Humus“ alles Folgenden“

Dasselbe gilt auch für die „Bewertung“ der Archiv-Schätze: „Für den Privatmenschen ist das Aufspüren seiner Ahnen gewiss oft wertvoller als jede alte Urkunde“, weiß die Archivarin, während der Fachmann über einem Jahrhunderte alten Notenblatt in Entzücken ausbrechen kann.“

Detektivarbeit

„Unser ältestes Buch datiert aus dem Jahr 1600, ein Erdkundebuch, das wir sorgsam hüten“. Momentan beschäftigt sich die Archivarin mit einem nicht datierten Kirchenmusikbuch. Wer hat es wann geschrieben und was bedeuten die vielen kaum noch lesbaren Randnotizen? Verschiedene Spezialisten werden zu Rate gezogen, das Ergebnis ist noch offen. „Das kann schon süchtig machen“, schmunzelt Frau Jung, „es ist die reinste Detektivarbeit“. Was sie aber ganz besonders an ihrer Arbeit liebt, ist der immer wieder geforderte Perspektivenwechsel, den die Geschichte uns konstant abfordert.

Ursula Jung fühlt sich Meschede sehr verbunden. Sie hat ehrenamtlich beim „Projekt Förderband“ der Pfarrei St. Walburga in der Hausaufgabenbetreuung für zumeist ältere Schüler mitgearbeitet und ist langjähriges Mitglied der Frauengeschichtswerkstatt Meschede.

Wir haben bei unserem Buch im Stadtarchiv vieles gelernt, vieles entdeckt und vieles erfahren. Es waren spannende Stunden bei der Stadtarchivarin in Grevenstein.

 „Geschichte liegt nicht im Rücken, sie liegt in uns. Man könnte sagen, als „Humus“ alles Folgenden“  (Ursula Jung)

Die Hüterin der Mescheder Archivalien
Die Hüterin der Mescheder Archivalien