„Einmal Borusse – immer Borusse“

Wolfgang „Stopper“ Paul wurde im Januar 80

Wie nähert man sich einer lebenden Legende? Es ist ganz einfach, wenn die Legende gerade den Papiermüll entsorgt und einen vor dem Eigenheim in Bigge-Olsberg trocken begrüßt: „So helfe ich im Haushalt!“ Kaum zu glauben, dass der legendäre, frühere BVB-Kapitän im Januar bereits seinen 80. Geburtstag gefeiert hat.

Die Hausarbeit ist erledigt, deshalb dürfen wir schon kurze Zeit später, einen Blick in den Keller von Wolfgang Paul werfen, „unser Privat-Museum“ wie ihn Pauls Frau Almuth nennt. Der alte Lederball, der da von der Decke baumelt, trägt tatsächlich die Aufschrift „World-Cup 25, England 1966“, daneben ein altes Plakat: „Die Fußballweltmeister 1974 mit Maier, Vogts, Beckenbauer, Müller, Overath, Netzer Heynckes (etc) … gegen die Prominentenauswahl BVB 09 mit Tilkowski, Paul, Held, Libuda, Kurrat, verstärkt durch Pele, Eusebio, Rivera …! Da ist sie zurück, die Ehrfurcht vor der Legende.

Wolfgang Paul, den sein Trainer beim BVB vom „Halbstürmer“ (früher die Position zwischen Außen- und Mittelstürmer) zum Vorstopper umfunktioniert hatte, hält 1966 als Kapitän des BVB den Europapokal der Pokalsieger in den Händen, nach einem sensationellen 2:1-Coup beim FC Liverpool. Der größte Erfolg. Zu Recht vielfach bejubelt und beschrieben.

Autokorso auf der Autobahn 1966

Keiner hatte mit dem Sieg in England gerechnet, die Helden des BVB konnten froh sein, dass ihr Zeugwart eine Kiste Sekt aufgetrieben hatte, die dann am Strand von Troon* geleert wurde. Am nächsten Tag allerdings, bei der Rückkehr nach Dortmund, warteten 300.000 Zuschauer auf die Europapokalsieger. „Da dämmerte uns, dass wir etwas Großes geleistet hatten“, schaut Wolfgang Paul zurück, „irgendjemand hatte dann einige offene Autos („Glas Cabrio“, d. R.) organisiert, und wir sind vom Westhofener Kreuz bis zum Borsigplatz gefahren, ganz langsam, die Straßen voll mit Zuschauern, der andere Autoverkehr wartete …(!)“

Sein persönlich bestes Spiel? Vielleicht das Halbfinale im Europapokal gegen West Ham United. „Danach hat der Vorstand von West Ham beim BVB angefragt, ob sie wohl mit mir einmal verhandeln dürften – allerdings habe ich davon erst Jahre später von einem Ex-Vorstandsmitglied erfahren“, erzählt Wolfgang Paul und schmunzelt.

Auf die Frage, ob er denn dieses oder ein anderes Angebot gern angenommen hätte, kommt die Antwort fast noch schneller als aus der Pistole geschossen: „Nie im Leben! Einmal Borusse, immer Borusse!“

Verletzungen – und wie man in den 50er/60er Jahren damit umging

Allerdings – hart war es schon manchmal, das Leben als Fußballprofi. „Nach Kopfballduellen mit Lothar Emmerich sind wir beide zweimal direkt vom Training ins Krankenhaus gefahren – beide mit der gleichen Platzwunde.“ Fuß- und Knieverletzungen gab es, ebenso wie heute – mit allerdings wesentlichen Unterschieden, was die Heilung anging: “Für eine Meniskusoperation lag ich 21 Tage lang in Hellersen.“ Arthroskopie war eben noch ein Fremdwort. Die sogenannte „REHA“ bestand dann zunächst aus Schonung, später täglich einmal schwimmen gehen…

Auch eine andere Anekdote zeigt, wie ausbaufähig das Wissen über die Bedürfnisse eines Leistungssportlers vor circa 60 Jahren noch war: „Trinken war verpönt, egal ob beim Training oder Spiel. Wasser wurde ohnehin sehr selten getrunken. So sind wir dann – häufiger als eigentlich nötig – unter dem Vorwand, auf die Toilette zu müssen, in die Waschräume verschwunden, um wenigstens den ein oder anderen Schluck Wasser zu ergattern.“ Einfach unglaublich.

Fußballmeister – Uhrmachermeister – Ehrenmann

Nachdem die Karriere des BVB-Käptn´s verletzungsbedingt leider früh endete, war der Fußballer Paul froh, sich neben dem Sport ein berufliches Standbein aufgebaut zu haben. In der Uhrmacherwerkstatt seines Onkels in Schwerte hatte er gelernt und gearbeitet. Und zwar nach den beiden täglichen Trainingseinheiten beim BVB. „Wenn ich abends von Dortmund nach Schwerte kam, lagen da die noch unerledigten Reparaturen des Tages. Bis zum nächsten Morgen musste alles fertig sein, da der Kunde dies erwartete. Also wurde auch schon mal bis tief in die Nacht gearbeitet …“.

Später wurde Wolfgang Paul auch hier (Uhrmacher-) Meister seines Fachs. Sein eigenes Uhrengeschäft inklusive Werkstatt, das er in Bigge-Olsberg von seinem Vater übernommen hatte, wurde erst vor zwei Jahren geschlossen.

Beim Hinausgehen kommen wir kurz auf den nächsten Tag zu sprechen. Champions League, Paris St. Germain ist in Dortmund zu Gast. Wolfgang Paul ist natürlich im Stadion, zusammen mit seiner charmanten Frau Almuth. Paris St. Germain? Da ist doch jetzt Thomas Tuchel Trainer, der im Mai 2017, nur einem Monat nach einem Attentat auf den BVB-Mannschaftsbus, bei der Borussia rausgeworfen wurde. Hochkochende Emotionen, wochenlanges mediales Getöse waren die Begleiterscheinungen. Wolfgang Paul sagt nur wenige Worte in seiner für ihn typischen, ruhigen Art: „Thomas Tuchel ist ein fachlich herausragender Trainer. Wenn es – aus welchen Gründen auch immer – aber menschlich nicht mehr passt, muss man sich eben trennen. So ist das im Leben.“

Eine sachliche Bestandsaufnahme, die durch Ihre Aufrichtigkeit, Geradlinigkeit, Fairness, und vor allem auch durch ihre Unaufgeregtheit besticht. Menschliche Attribute, die man in der Glitzer-, Geld- und Show-Welt des Fußballs der Gegenwart leider mit der Lupe suchen muss.

*schottische Hafenstadt, südwestlich von Glasgow

„Einmal Borusse – immer Borusse“ – Wolfgang „Stopper“ Paul wurde im Januar 80 – Ein Blick ins „Privat-Museum“
„Einmal Borusse – immer Borusse“ – Wolfgang „Stopper“ Paul wurde im Januar 80 – Der alte Lederball von 1966