Der Haarstrang:

alte Heerwege und moderne Windräder

Text: Christel Zidi
Fotos: Tom Linke

Großartige Aussichten – bis tief in die Westfälische Bucht. In der Ferne die Höhen des Teutoburger Waldes und des Eggegebirges. Von der „Spitzen Warte“ bei Rüthen-Hemmern kann man im Nordosten die Kraftwerke und Schornsteine bei Hamm sehen, im Westen erkennt man den 60 Kilometern entfernt liegenden Dortmunder Fernsehturm. Dreht man sich in Richtung Süden reicht der Blick bis tief in das Sauerland. Ähnlich grandiose Rundblicke hat vom Bismarckturm bei Möhnesee-Wippringen und vom Lörmecke-Turm im Arnsberger Wald.

Solche Aussichten von der Haar – die neuzeitlichen Bauwerke mal ausgeschlossen – hatte bereits der römische Feldherr Drusus, der wahrscheinlich im Jahre 11 vor Christus über den weitgehend bewaldeten Haarweg marschierte. Ganz in der Nähe, östlich der Stadt Rüthen, befand sich sein Lager, das Römerlager Kneblinghausen.

Auf alten Höhen und Wegen

Auf dem westlichen Teil der historischen Handelsstraße, die von Werl nach Paderborn führte, sind längst keine marschierenden Römer mehr zu hören. Eher das Brummen von Fahrzeugen, die auf Bundesstraße 516 unterwegs sind. Noch schneller und wesentlich hektischer geht es in heutiger Zeit auf der wichtigsten Ost-West-Achse des Haarstrangs zu, denn hier verläuft die A 44.

Insgesamt erstreckt sich der Haarstrang im Westen vom südlichen Teil Dortmunds bis nach Rüthen im Osten. Die „Spitze Warte“ mit 391 Metern ist seine höchste Erhebung. Ansonsten erreicht der  Kamm des Höhenzuges meist Höhen um 200 bis 250 Meter ü. NN., also bis zu 150 Meter über dem Ruhr- und Möhnetal. Fast die vollständige Gemeinde Ense gehört zum Haarstrang, ebenso nördliche Ortsteile der Gemeinde Möhnesees, der Warsteiner Ortsteil Waldhausen sowie Teile Rüthens und Büren.

Die Haar als Gletscher-Stopp

Während der Eiszeit drangen nördliche Gletscher bis zum Haarstrang vor. Noch heute findet man zahlreiche Moränen nördlich des Haarstrangs. Moränen (französisch moraine ‚Geröll‘) sind Schuttablagerungen, die vom Gletscher auf seinem Weg geschoben und vor einem Gebirgszug aufgehäuft wurden. Heute bildet der Haarstrang, der aus Kalksteinen aus Turon und Cenoman gebildet wurde, die natürliche Grenze zwischen Sauerland und Münster, zwischen Tiefland und Mittelgebirge.

Verschiedene Haar-Formationen

Der Haarstrang selbst besitzt steinigen, lehmigen Boden, der für die Landwirtschaft nicht besonders ertragreich ist. Unterhalb der Höhen der Haar erkennt man die vielfachen Wechsel des Landschaftsbildes: Am Fuße der Haar tiefe Täler und rundlich geschlossene Ortschaften, die Soester Börde ist flach bis schwach hügelig, mit – aufgrund des hohen Lössvorkommens – fruchtbaren Böden. Nördlich von Lippstadt, wo dann das Münsterland beginnt, ändert sich das Bild der Landschaft erneut. Andere Bodenstrukturen bedingen andere Formen der Siedlung und Bewirtschaftung.

Veränderte Landschaftsprägung

Der rund 300 km² umfassender Haarstrang ist noch immer überwiegend landwirtschaftlich geprägt, selbst im westlichen Teil, im Südosten Dortmunds und in den Teilgebieten anderer Ruhrgebietsstädte. In den letzten Jahrzehnten allerdings spielt die Windkraftnutzung auf den Höhen der Haar eine immer größere Rolle. Durch die exponierte Lage der Haar ist die Stromerzeugung sehr wirtschaftlich, in 50 Metern Höhe bläst der Wind mit einer Geschwindigkeit von 6 Metern in der Sekunde. Deshalb wurde auch noch nie so viel Windenergie produziert wie im Jahre 2019 – trotz Konflikte mit Naturschutz und Luftverkehr. Allein auf dem Gebiet der Gemeinde Ense stehen 42 Windkraftanlagen. Riesige, moderne Windmühlen, die heute das Bild des Haarstrangs prägen.

Randzitat: „Haar“ = Bezeichnung für einen bewaldeten Höhenzug

Gemeinden der Haar (von West nach Ost)

  • Schwerte
  • Holzwickede (südliche Ortsteile)
  • Unna (Ortsteile Billmerich, Kessebüren, Siddinghausen und Südosten der Stadtgemarkung)
  • Fröndenberg (westliche, nördliche und östliche Ortsteile – ohne Kernort, sowie Hohenheide und Mühlenberg)
  • Wickede (Ruhr) (Norden der Gemarkung und Nordhälfte des Kernortes)
  • Werl (Werler Wald im äußersten Süden der Gemarkung)
  • Ense (fast komplette Gemarkung)
  • Möhnesee (nördlichere Ortsteile)
  • Soest (Ortsteil Lendringsen im Süden)
  • Bad Sassendorf (Herringser Höfe und Siedlung Im Kamp im äußersten Süden)
  • Warstein (Ortsteil Waldhausen im Norden)
  • Anröchte (Ortsteil Uelde im äußersten Süden)
  • Rüthen (Norden des Kernortes und Ortsteile knapp nördlich bzw. nordwest/östlich davon)
  • Büren (Gebiete südwestlich der Kernstadt)
Der Haarstrang: alte Heerwege und moderne Windräder
Der Haarstrang: alte Heerwege und moderne Windräder