Künstlerin Dorothee Reichenberger

Im Herzen von Möhnesee entsteht kunterbunte Alltagskunst für ganz Deutschland

Text und Fotos: Matthias Koprek

Mit dem Wimmelbild in Möhnesee hat sich Dorothee Reichenberger nicht nur ein Denkmal gesetzt, sondern auch den Grundstein für eine künstlerische Erfolgsgeschichte gelegt. Mit ihren lebendigen und detailverliebten Zeichnungen macht sie aus Gegenständen des täglichen Bedarfs kleine Alltagskunstwerke.

Ganze 30 Meter lang ist das größte Werk, das Dorothee Reichenberger bisher geschaffen hat. Satte 800 Stunden hat sie in das leuchtendbunte Wimmelbild gesteckt, das seit 2016 an der Brückenstraße in Möhnesee-Körbecke hängt und aus einer grauen Betonwand zwischen Seepark und Ortskern ein Freiluftkunstwerk macht. Es ist unmöglich daran vorbeizugehen, ohne nicht wenigstens ein paar Sekunden stehen zu bleiben und sich in den zahlreichen Details zu verlieren, die die Ortsteile von Möhnesee, ihre Bewohner und Gäste portraitieren.

„Als ich angefangen habe, hatte ich wirklich keine Ahnung, wie viel 30 Meter sind. Ich habe mir dann einen so langen Papierstreifen zurechtgebastelt, der einmal durch das ganze Atelier ging und hinten aus der Tür hinausragte“, erzählt die pragmatische Künstlerin. „Das Wimmelbild war eine Riesengeschichte, die ich damals völlig unterschätzt habe. 30 Meter bringen einfach ein enormes Datenkonvolut mit, das ich nicht überblickt habe. Zwischenzeitlich machte auch der Computer schlapp und konnte all das gar nicht verarbeiten.“

Nur sechs Wochen hatte Dorothee Reichenberger Zeit, um Möhnesee mit all dem zu zeichnen, was die Gemeinde ausmacht. Und vor allem all den Menschen, Vereinen und Institutionen gerecht zu werden, die aus dem Ort erst das machen, was er ist. Sie alle wollten mitreden und durften es auch. Denn das Konzept sah von Anfang an vor, dass das Wimmelbild sich sowohl nach außen – also an die Touristen – und nach innen – also an die Einheimischen – gleichermaßen richtet.

Zielgruppenanalyse statt Selbstverwirklichung

Die Resonanz auf das gigantische Bild war grandios. Als studierte Modedesignerin und Kulturwissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt Kulturanalyse und Kulturvermittlung ging die Arbeit für Dorothee Reichenberger gleich weiter. Sie versuchte sich zu erschließen, warum ausgerechnet das Wimmelbild so gut bei den Menschen ankommt. „Ich denke, dass es in verschiedensten Bereichen eine Renaissance des Gegenständlichen gibt. In der visuellen Darstellung geht der Trend seit Jahren weg von der Abstraktion hin zum Konkreten. Und es gibt wieder eine Zuwendung zum Heimatgedanken. Die Menschen wollen sich verorten und wiedererkennen – „heitere Heimatliebe“ ist die Devise“, sagt Reichenberger.

Was mit einer Blitzidee begann, um eine schmucklose Wand zu verschönern, verselbstständigte sich plötzlich und wurde zu einer Geschäftsidee, die längst im Mittelpunkt des künstlerischen Schaffens von Dorothee Reichenberger steht: Die Illustration von Alltagsprodukten und Geschenkartikeln – stets mit dem Heimatgedanken im Hinterkopf.

Sie betont: „Bei meiner Arbeit geht es nicht um meine persönliche Selbstverwirklichung, sondern darum, Gebrauchsdesign im klassischen Sinne zu erschaffen. Das ist nicht nur eine künstlerische Arbeit.“ Denn die unterschiedlichen Produkte – vom Kaffeebecher über die Kühlschrankmagneten bis hin zur Banderole für die Weinflasche – müssen schließlich nicht nur designt, sondern auch hergestellt werden.

Das künstlerische Herz schlägt nach wie vor in der Galerie Kuckuck in Körbecke, die vor genau 25 Jahren als klassischer Einzelhandel eröffnet wurde. Im Erdgeschoss des Hauses, in dem Dorothee Reichenberger aufgewachsen ist und bis heute wohnt, greift sie fast täglich nach ihren über 1.000 Zeichenstiften. Sie entwickelt Motive nach Wünschen der Auftraggeber. Meist werden Gemeinden oder Städte in komprimierter Form zu Papier gebracht, koloriert und eingescannt. Der Arbeit am selbstgebauten Lichtbrett muss natürlich eine Recherche vorausgehen, um herauszufinden, was und wer einen Ort prägt. Bei ihren Streifgängen kommt Reichenberger mit den Menschen ins Gespräch und macht zahlreiche Fotos.

Farbenfrohe und verspielte Alltagsmotive

Der Künstlerin ist es wichtig, so detailliert und individuell wie möglich zu zeichnen. Außerdem muss jedes ihrer Werke einen positiven Ausdruck haben. Die Heiterkeit des Alltags prägt ihren Stil. Ihre Bilderwelt ist kunterbunt und lebhaft. Ein Mosaik originalgetreuer Einzelteile, die zu einem phantasievollen Ensemble zusammengefügt werden.

Die Konzentration auf das Positive war Reichenberger schon immer wichtig. Vor allem als sie früher verstärkt auch Krankenhäuser mit Bildkonzepten ausstattete. „Selbst in der Neonatologie, wo es neben allem Schönen auch viel Leid und Sorge gibt, habe ich immer darauf geachtet, die Situation mit einem Augenzwinkern liebevoll-positiv darzustellen.“

Bedruckt werden die verschiedenen Produkte in Soest, wo Geschäftspartner Christoph Witt von Kuckuck & Co sich um die Produktion und alle kaufmännischen Angelegenheiten kümmert. Die regionale Fertigung ist den beiden genauso wichtig, wie die Nachhaltigkeit. Deshalb wurden gerade erst wiederverwendbare To-Go-Becher gestaltet und ins Sortiment aufgenommen.

15 bis 25 Stunden dauert es, bis ein Becher fertig designt ist. Weil die künstlerische Arbeit von den Auftraggebern nicht vorfinanziert werden muss, können sich auch viele kleinere Orte den Traum vom eigenen Merchandising-Sortiment erfüllen. Denn anders als bei den großen Playern sind auch die Mindestabnahmemengen sehr überschaubar. Produziert wird immer just in time.

Dorothee Reichenberger an ihrem wichtigsten Arbeitsplatz – dem selbstgebauten Lichtbrett, an dem die Zeichnungen entstehen. Für jede Gelegenheit der passende Farbton: Reichenberg besitzt mehr als 1.000 Zeichenstifte.