Von einem, der auszog, das (Tourismus-) Sauerland kennenzulernen

Text und Fotos: Wilfried Diener

Die neue Ausstellung im Sauerland-Museum in Arnsberg ist überschrieben mit dem Titel „Das Paradies vor der Haustür“. Wie zutreffend diese Aussage ist, zeigt eine Begebenheit, die ich mit meiner Frau beim Besuch der Weltausstellung in Hannover erlebte. Wir schlenderten durch den deutschen Pavillon und kamen zu einer großflächigen Installation mit dem Namen „Das Paradies“. Man blickte von einem Umgang in ein weitläufiges Panorama, und ich fragte meine Frau: „Wie sieht das hier aus?“ Ihre spontane Antwort war: „Wie im Sauerland.“ Damit war die Verbindung zu unserer paradiesischen Landschaft festgezurrt.

Mit der Eisenbahn in die „Sommerfrische“
Obwohl ich ein „Buiterling“ bin – ich bin in Iserlohn geboren und wohne dort –, bin ich schon früh touristisch ins Hochsauerland gereist. 1951, mit elf Jahren, fuhr ich per Bahn mit meinen Eltern in die „Sommerfrische“ nach Fretter. Ja, das ging damals noch, denn die Bahnstrecke von Finnentrop nach Wennemen war kein Radweg wie heutzutage. Ein Jahr später brachte uns die Bahn nach Silbach in den Sommerurlaub, was gegenwärtig auch noch möglich ist. In jenen Jahren konnte der Tourist die Landwirtschaft noch in den Dorfkernen wahrnehmen, wenn die Kühe von der Weide in die Ställe getrieben wurden und ihre „duftenden“ Hinterlassenschaften die Wege markierten.

Ich vermute, dass damals schon der Grundstein für meine Liebe zum Sauerland gelegt wurde. Aber intensiviert wurde diese Bindung zum Sauerland – und insbesondere zum Schmallenberger Hochsauerland – erst durch meine zahlreichen Wanderungen mit Freunden und meiner Familie. Goethe hat den einprägsamen Satz geschrieben, den ich voll bejahen kann: „Was dein Fuß erwandert, was dein Aug’ geschaut, nimm dir’s tief zu Herzen, rühm es warm und laut!“ Als ich Ende zwanzig war, wurde mir Folgendes klar: Ich nehme von Urlaubsreisen immer nur punktuelle Eindrücke mit nach Hause, aber meine Heimatregion vor der Haustür, die möchte ich durch und durch kennenlernen. Und so kam es, dass ich seit etwa 1970 Hunderte von Kilometern allein oder mit Freunden durch das Sauerland gewandert bin. Ich habe immer neue Wege ausgesucht,
um mehr und mehr vom „Paradies vor der Haustür“ zu verinnerlichen.
Meine Wanderungen im Gebiet der Homert, der Hunau, des Rothaargebirges bis hinüber zum Upland, im Balver Wald und im Arnsberger Wald, aber auch im Märkischen und Olper Sauerland kann ich wie Filme ablaufen lassen. Mein gutes visuelles Gedächtnis hilft mir bis heute dabei, die Berge, Täler und Orte vor mir zu sehen. Bei einigen Ortsnamen der kleinen Weiler und Dörfer muss ich allerdings – mit nun 80 Jahren – manchmal scharf nachdenken, was meinem nachlassenden Namensgedächtnis geschuldet ist…

In meinem Arbeitszimmer hängen in Wechselrahmen 16 neutrale topografische Karten im Maßstab 1:50.000, die das Sauer- und das Siegerland zeigen und in die ich meine Wanderstrecken in roten Linien eingetragen habe. In einigen der oben genannten Bereiche – zum Beispiel zwischen Hennesee und Hunau – verdichten sich diese sehr stark. Und auf den Karten kann ich auch schon mal nachschauen, wenn mir der Name eines Dorfes entfallen ist.

Sauerländer Lebensart in Dorfkneipen
Tourismus, wie wir ihn heute kennen, mit seinen vielfältigen Angeboten, gab es damals noch nicht, dafür aber viele Dorf- und Landgaststätten, die zur Rast einluden und von denen es heute leider nicht mehr viele gibt. So wie diePension Waldesruh in Mönekind, an die ich gerne zurückdenke, weil wir dort mit Freunden unvergessliche Stunden erlebten, wenn wir von unseren Wanderungen zurückkamen und dort übernachteten. In diesem nördlichsten Zipfel von Schmallenberg spürte man die Sauerländer Lebensart unmittelbar. Hätte es den Titel dieses Magazins damals schon gegeben, er hätte mit seinen vier Wörtern genau hier ins Schwarze getroffen. Das alles ist seit langem Geschichte. Dafür hat sich die gehobene Hotellerie entwickelt und bietet dem Sauerlandurlauber jeglichen Komfort. Die Art und Weise, wie für das Wandern geworben wird, hat sich verändert. Während ich die Wander-strecken für mich und meine Begleiter immer selbst anhand der Wanderkarten geplant habe, gibt es seit einigen Jahren ganzheitliche Angebote, die besondere Namen tragen und die Wanderer animieren, diesen Wegen zu folgen. Wir kannten früher keine Premium-Wanderwege wie den Rothaarsteig oder den Höhenflug. Unsere Wanderungen – egal über welchen Berg und durch welches Tal – hatten immer Premium-Qualität, weil wir stets erkannt haben, dass wir im „Paradies vor der Haustür“ unterwegs waren.

Schmucke Dorfkerne heute oft im Abseits
Wie die Zeit Veränderungen mit sich bringt, zeigt auch das Beispiel von Straßenführungen. Früher mussten wir uns mit dem Auto über winklige Sträßchen durch manche Orte schleichen, um zum Ziel zu gelangen. Bödefeld, Dornheim, Schliprüthen, Oberrarbach oder Assinghausen stehen hier für viele andere Orte, an denen man auf der Umgehungsstraße jetzt vorbeisaust. Das hat sicher seinen Vorteil für die Dorfkernberuhigung, aber den Nachteil, dass diese Ortsbilder mit ihren schmucken Fachwerkhäusern das Sauerland für den eiligen Touristen nicht mehr präsentieren. Ich kann nur empfehlen, anzuhalten und die Straßen und Gassen zu Fuß zu durchschreiten, um ein Stück vom „Paradies vor der Haustür“ zu erleben. Da ich über Erlebtes gerne Gedichte schreibe, habe ich mir schon früh den oben erwähnten Satz Goethes zu Herzen genommen und das Sauerland in zahlreichen Strophen in Worte gefasst, die ich in Büchern und auch manchmal in diesem Magazin veröffentlicht habe. Der Literaturwissenschaftler Prof. Wilhelm Gössmann hat die Auffassung vertreten: „Poesie verwandelt Landschaft in Heimat.“ Meine Empfindung ist, dass meine Heimat Sauerland mich immer wieder zu poetischen Ausdrucksformen anregt. Ich habe im Laufe meines Lebens das Sauerland nicht nur kennengelernt, sondern so verinnerlicht, dass ich meine Heimat immer wieder wie eine „Grüne Umarmung“ empfinde. So heißt auch mein Gedicht, mit dem ich meine Gedanken hier beschließe.

Grüne Umarmung
Wie oft hab’ ich, mein Sauerland,
dich aufgesucht? War unbekannt
der Weg, den ich gewandert bin,
dann forschte ich mich zu dir hin,
wollt’ mehr und mehr von dir erkennen,
vertrauter dich beim Namen nennen.
Hab’ mich von dir umarmt gefühlt,
wenn meine Seele aufgewühlt,
wenn Ängste mich und Zweifel plagten. –
Wo Fichten in den Himmel ragten,
da war auch ich dem Himmel nah.

Was Großes in der Welt geschah,
lag fern und konnte mich nicht schrecken.
Mich trieb es an, hier zu entdecken
das kleine Glück am Wegesrand,
das ich in schöner Vielfalt fand.

Dafür sei Dank, dem, der dies schuf.
Käm’ dieses Land je in Verruf –
ein Lügner könnte es nur sein,
der dieses Land, wo Sonnenschein
und Regen ausgewogen sind,
schmählich missachtet. Jedes Kind
weiß, dass nur Wasser Leben spendet
und jede Kreatur verendet,
wenn dieser Lebensstrom versiegt.

Wo Grün sich an die Hänge schmiegt,
genährt vom nassen Quellenband,
dort tankt auch meine Seele Kraft,
dort liegt das Land, das Freude schafft,
dort liegt, dort lebt mein Sauerland.

Wilfried Diener