Wie Waldbaden die Gesundheit fördert

Shirin Yuko im Arnsberger Wald

Text: Matthias Koprek
Fotos: Holger Bernert

Im Mittelalter galt er als sagenhaft und mystisch. In der Romantik als lyrisch und malerisch. Heute ist der Wald ein beliebtes Erholungsgebiet, das mehr kann, als nur hübsch auszusehen. Shirin Yuko, das „Baden in Waldluft“, ist nachgewiesenermaßen gesundheitsfördernd. Ein Trend, der auch den Möhnesee erreicht hat und hier sogar weiter erforscht wird.

Die Dr. Becker Klinik Möhnesee hat bereits vor einigen Jahren damit begonnen, ihre Patienten mit den dafür speziell ausgebildeten Rangern von Wald und Holz NRW auf Gesundheitswanderungen durch den Arnsberger Wald zu schicken. Dass das Waldbaden heilsam ist, haben vor allem japanische Forscher längst bewiesen. Im Land der aufgehenden Sonne ist Shirin Yuko medizinisch anerkannt. Wer gestresst und ausgebrannt ist, bekommt das Waldbad vom Arzt sogar auf Rezept verschrieben.

In den 1980er-Jahren hat das japanische Landwirtschaftsministerium Millionen in die Hand genommen, um die Wirkung des Waldes auf den menschlichen Körper zu erforschen. Besonders verdient machte sich unter anderem Dr. Qing Li von der Nippon Medical School in Tokio. Der Professor gilt als einer der weltweit wichtigsten Experten für das Waldbaden und belegte, dass beim Shirin Yuko sowohl drei verschiedene Anti-Krebs-Proteine als auch vermehrt natürliche Killerzellen gebildet werden.

Vor allem die Killerzellen sind in der Lage, Krebszellen und virusinfizierte Zellen zu erkennen und zu vernichten. Qing Li fand heraus, dass sich die Zahl und die Aktivität der natürlichen Killerzellen signifikant erhöhten, nachdem seine Probanden einen achtsamen und entspannten Aufenthalt im Wald genossen. Das Erstaunliche an seinen Untersuchungsergebnissen: Sogar 30 Tage nach den Waldausflügen der Studienteilnehmer wiesen ihre natürlichen Killerzellen noch immer eine deutlich erhöhte Aktivität auf.

Schon kurzer Waldaufenthalt zeigt Wirkung

Bereits ein Waldspaziergang pro Monat genügt, um die Aktivität der Killerzellen für die Dauer von zehn Tagen spürbar zu steigern. Besucht man an zwei aufeinanderfolgenden Tagen den Wald, erzielt man den größten Effekt, weil die erhöhte Killerzellenaktivität dann einen ganzen Monat lang anhält. Dr. Qing Li empfiehlt deshalb mindestens zwei- bis dreimal pro Monat für jeweils zwei Stunden im Wald spazieren zu gehen.

Auch der Japaner Yoshifumi Miyazaki bewies, wie wirkungsvoll bereits kurze, gelegentliche Waldausflüge sind. So sinkt seinen Erkenntnissen zufolge der Cortisolspiegel im Speichel, an dem man chronischen Stress erkennen kann, um 12,5 Prozent gegenüber der Vergleichsgruppe. Auch Blutdruck, Puls und Herzfrequenz sinken, kurz nachdem wir einen Wald betreten. Ferner stärkt er unser Immunsystem, beruhigt das vegetative Nervensystem, weitet die Lunge und verbessert die Schlafqualität.

Zu verdanken haben wir die heilsame Wirkung den Pflanzen im Wald allen voran natürlich den Bäumen. Sie sondern Phytonzide aus. Die bekanntesten dieser pflanzlichen Sekundärmetabolite sind die Terpene. Pflanzen nutzen die chemischen Verbindungen um sich gegen Bakterien, Insekten und Pilzen zu schützen, aber auch um mit ihrem Umfeld zu kommunizieren. Beim Waldbaden atmen wir die zahlreichen Duftstoffe, die ein komplexes System bilden, ein. Außerdem werden sie über die Haut aufgenommen.

Waldbaden verbindet Genuss und Therapie

Um im Wald etwas für die eigene Gesundheit zu tun, braucht es also nicht viel mehr, als ein Paar gute Schuhe. Man muss beim Shirin Yuko nicht einmal besonders aktiv sein. Wer möchte, kann sich auch auf einen Baumstumpf setzen oder sich ins weiche Moos legen und einfach die Wolken über seinem Kopf vorbeiziehen lassen.

Trotzdem lohnt sich eine Führung zum Thema Wald und Gesundheit, die Wald und Holz NRW seit kurzem auch für Interessierte anbietet, die nicht in medizinischer Behandlung sind. Nach einem etwas schleppenden Start sind die mindestens dreistündigen Führungen mittlerweile ausgebucht. Der bundesweite Trend zum Waldbaden ist auch am Möhnesee angekommen.

Vom Wanderparkplatz in Neuhaus aus, nimmt Ranger Jörg Pahl uns an diesem Samstagmorgen mit auf eine ausgeklügelte Tour durch den Naturpark. Es ist dieselbe Route, die er auch mit den Patienten der Möhneseeklinik beschreitet. Wer es eilig hat, ist hier fehl am Platz. Die Wanderung dauert zwar Stunden, zurückgelegt wird aber eine nur eine verhältnismäßig moderate Strecke. Außerdem warten auf die Teilnehmer überall sinnliche Erlebnisse.

Nur mit dem Ranger ist es erlaubt die Wege im Naturschutzgebiet zu verlassen. Gleich nach dem Start ermutigt Jörg Pahl uns, die Wanderschuhe auszuziehen und mit nackten Füßen in die knöcheltiefe Heve zu steigen. Zwar sind die Steine im Flussbett längst glattgeschliffen, aber die Füße der meisten Teilnehmer müssen sich an das ungewohnte Gefühl erst noch gewöhnen. Schließlich stecken sie die meiste Zeit des Tages in engen Schuhen, sodass die Hornhaut kaum ausgeprägt ist und jeder unförmige Gegenstand unter der Fußsohle uns tanzen lässt.

Mit allen Sinnen durch den Arnsberger Wald

Im weiteren Verlauf der Führung schnuppern wir an den Zweigen verschiedener Bäume, balancieren über Baumstämme und legen uns 20 Minuten schweigend ins saftig-grüne Moos unter den Baumkronen. Die einen genießen die völlig neue Perspektive, die sonst nur Käfer zu Gesicht bekommen. Die anderen schließen die Augen, dösen vor sich hin, manche schlafen sogar ein. Alle genießen die Ruhe und werden plötzlich eins mit der Natur.

Zum Schluss kommen wir an eine uralte Eiche, die inmitten des Waldes auf einer riesigen Wiese steht. Alle Wanderer sind beeindruckt von ihrer erhabenen Erscheinung. Schätzungsweise über 200 Jahre alt ist der beeindruckende Baum, der kerngesund ist. Auch wenn das Waldbaden mit dem Ranger nun wirklich nichts mit Spiritualität zu tun hat, lassen wir es uns nicht nehmen, den gewaltigen Stamm gemeinsam zu umarmen.

Am Ende des letztlich fast vierstündigen Waldspaziergangs bezweifelt niemand mehr, dass der Wald eine positive Wirkung auf den eigenen Körper hat. Um das auch empirisch zu belegen, fand an der Dr. Becker Klinik Möhnesee im vergangenen Jahr eine Studie statt, die den Einfluss des Waldbadens auf verschiedene salutogenetische Faktoren untersuchte. Die Salutogenese ist die Wissenschaft von der Entstehung und Erhaltung von Gesundheit. Die Studienergebnisse bestätigen, dass das Waldbaden unmittelbare positive Effekte auf Affekt, Lebensauffassung, Lebenszufriedenheit, Selbstwirksamkeitserwartung sowie Ängstlichkeit und Depressivität hat.

Bereits ein Waldspaziergang
pro Monat bringt Erfolge

Wie Waldbaden die Gesundheit fördert – Shirin Yuko im Arnsberger Wald
Wie Waldbaden die Gesundheit fördert
Shirin Yuko im Arnsberger Wald