Gefangen zwischen Markt, Gesetz und Tradition

Auch Sauerländer Landwirte wollen sichere Zukunftsperspektiven

Text von Tiny Brouwers – Foto: Klaus-Peter Kappest

Bauern blockieren Edeka-Lager.
Landwirte legen erneut Verkehr mit Treckern lahm.
Landwirte blockieren Innenstädte.
Auch junge Landwirte aus dem Sauerland sind
mit ihren Treckern in Bonn dabei.

Das sind nur einige von vielen Berichten in den Tageszeitungen der letzten Monate. Sind diese Blockaden und die Forderungen der Bauern gerecht? „Ja!“, bestätigt Stefan Belke, Kreislandwirt aus Schmallenberg-Winkhausen.

Immer höhere Kosten
Und er erklärt: „Die Bauern wollen mit ihren Aktionen der Gesellschaft zeigen, dass es den Bauernfamilien in Deutschland und damit auch im Sauerland nicht gut geht. Die Kosten entwickeln sich enorm, erstens durch immer neue Auflagen und zweitens durch steigende Produktionskosten. So ist die Pacht von Flächen teurer geworden, ebenso sind die Preise für Düngemittel, Treibstoff, für Reparaturen und Maschineninvestitionen in die Höhe geschnellt. Steigende Lohnkosten und höhere Ausgaben der Viehbetriebe für Grundfutter, das nach zwei trockenen Jahren zugekauft werden muss, kommen noch hinzu. Jedoch sind die Preise für unsere Produkte in den letzten 30 Jahren nicht mit gestiegen.“

Es ist ein verbreitetes Problem, womit Landwirte in der gesamten Europäischen Union zu kämpfen haben. Sie fühlen sich nicht ernst genommen und zwischen den Interessen gefangen. Der Markt wird dominiert durch den Lebensmitteleinzelhandel, speziell die Discounter. Viele Landwirte sehen die Verbraucher und Supermärkte als Verursacher ihrer Probleme. Die Verbraucher fordern von den Bauern mehr Tierwohl, Produkte ohne Gentechnik, Regionalität und so weiter. Die Landwirte produzieren, was die Verbraucher fordern, bekommen dafür von den Supermarktketten aber einen nicht kostendeckenden Preis bezahlt, obwohl sie Premiumprodukte liefern. Und das erzeugt immer mehr Frust.

Grundlegende Veränderungen
Die Landwirtschaft hat sich im letzten halben Jahrhundert grundlegend verändert. Ein einzelner Landwirt konnte im Laufe der Zeit immer mehr Boden bewirtschaften und mehr Tiere halten. Dabei sank die Anzahl der Beschäftigten und der Betriebe. In den Betrieben wurden nicht nur immer mehr und immer modernere Maschinen eingesetzt, die Betriebe spezialisierten sich auch. Die Produktionszuwächse der vergangenen fünfzig Jahre sind aber nicht allein auf diese Mechanisierung und Spezialisierung zurückzuführen. Neue Saatgutsorten, Dünge- und Pflanzenschutzmittel führten zu steigenden Erträgen an Nutzpflanzen. In der Tierproduktion gab es deutliche Leistungssteigerungen durch Fortschritte bei der Zucht, durch die Nutzung von Kraftfutter, wissenschaftlich erwiesene optimierte Fütterung und Haltung sowie eine intensivere veterinärmedizinische Betreuung. Durch diese Entwicklungen hat die Produktivität in der Landwirtschaft stark zugenommen.

Immer mehr Menschen können von einem Hektar Nutzfläche ernährt werden. Einige Beispiele veranschaulichen das: Der Ertrag für einen Hektar Weizen lag vor rund 100 Jahren bei gerade einmal 1.850 Kilogramm, heute liegt er bei rund 8.100 Kilogramm. 1900 produzierte eine Kuh 2.500 Kilogramm Milch, 2019 sagenhafte 8.500 Kilogramm. Eine Henne legte 1950 gut 120 Eier, 2019 rund 290 Eier. Durch diese Entwicklungen kann ein Landwirt heute etwa 148 Menschen ernähren, 1950 waren es dagegen nur zehn und 1900 gerade mal vier. Die zunehmende Produktivität hat außerdem dazu geführt, dass weniger Menschen in der Landwirtschaft arbeiten. Zu Beginn des letzten Jahrhunderts verdienten 38 Prozent aller deutschen Erwerbstätigen ihr Brot in der Landwirtschaft. Fünfzig Jahre später waren es 24 Prozent und Anfang des 21. Jahrhunderts nur noch 2 Prozent. Viele von diesen heute bestens ausgebildeten Landwirten können ihren Betrieb trotzdem nur fortführen, weil die Arbeit durch Familien-angehörige mitgetragen wird, deren Lohnansatz weit unter dem
Mindestlohn kalkuliert wird.

Denn obwohl die Landwirtinnen und Landwirte über die Jahre immer produktiver werden, verdienen sie immer weniger an den von ihnen produzierten Lebensmitteln. Von einem Euro, den der Verbraucher für Lebensmittel ausgibt, erhält der Landwirt heute noch etwa 23 Cent. Zum Vergleich: Anfang der 1970er Jahre waren das rund 48 Cent und 1950 noch 63 Cent. Musste ein Verbraucher 1960 für 10 Eier (Preis 1,07 €) noch 51 Minuten arbeiten, arbeitete er 2009 nur 8 Minuten für dieselben zehn Eier bei einem Preis von 1,89 €. Für einen Liter Vollmilch (Preis 0,22 €) wurde 1960 noch 11 Minuten gearbeitet, 2009 nur 3 Minuten für den Liter, der 0,72€ kostete.

Fazit: Es ist nicht verwunderlich, dass die Landwirte – auch im Sauerland – von sich hören lassen. Hilfreich für eine Wertsteigerung können Regionalität, Qualität und Produkte sein, die unter Tierwohllabeln erzeugt werden (Weidegang, artgerechte Haltung, Freilauf usw.). Wichtig ist aber auch, dass die Landwirte verstehen, wie Angebot und Nachfrage den Markt
regeln. Wer zu viel produziert, belastet den Markt. Weniger ist oft mehr. „Dann kann auch der Lebensmitteleinzelhandel den Preis für unsere Top-Qualität nicht drücken“, so Stefan Belke.