Wie gefährlich ist das Corona-Virus tatsächlich?

Ein Drittel der an dem Corona-Virus infizierten Bürgerinnen und Bürger aus dem Hochsauerlandkreis kommen aus Schmallenberg

Von Hermann-J. Hoffe

Montag, 30. März 2020: Im Hochsauerlandkreis sind nach Informationen der Bezirksregierung in Arnsberg von heute (16:15 Uhr) 203 bestätigte Infizierte des Coronavirus (SARS-COV-2) registriert. Davon stammen exakt 64 Bürgerinnen und Bürger aus Schmallenberg (Zahlen von der Stadt Schmallenberg genannt heute um 16.30 Uhr). Einige der Schmallenberger Patienten befinden sich in ärztlicher Behandlung im Fachkrankenhaus Kloster Grafschaft, darunter sind auch Patienten auf der Intensivstation. Warum fast ein Drittel der im Hochsauerlandkreis infizierten Menschen aus der Stadt Schmallenberg kommen, hängt nach Aussagen der Verantwortlichen bei der Stadt Schmallenberg mit einer größeren Zahl sogenannte Ischgl-Infizierter zusammen, die sich beim Skiurlaub im österreichischen Skiort Ischgl nachweislich infiziert haben.

WOLL hat den Chefarzt PD Dr. Dominic Dellweg vom Fachkrankenhaus Kloster Grafschaft zum Corona-Virus und zur Situation in der Stadt Schmallenberg befragt. Nachfolgend das ganze Gespräch und dazu einige Grafiken und Bilder zur Erläuterung der Aussagen von PD Dr. Dellweg.

WOLL: Herr Dr. Dellweg, wie beurteilen Sie als Chefarzt für Pneumologie und Intensivmedizin am Fachkrankenhaus Kloster Grafschaft die derzeitige Corona-Pandemie in Deutschland?

Dr. Dellweg: Die Lage ist durchaus ernst. Ein Infizierter steckt im Durchschnitt drei gesunde Personen an. Erst wenn zwei dieser drei Personen Antikörper gegen das Virus entwickelt haben, kommt es nicht mehr zu einer Zunahme der Infektionen. Die folgende Abbildung soll das verdeutlichen:

Die richtige Bezeichnung des Virus lautet Sars-CoV-2, die Erkrankung wird als Covid-19 bezeichnet. Die Sterblichkeit der Coronavirus-Infektion ist zwischen den Ländern sehr unterschiedlich. In Ländern wie beispielsweise Italien liegt sie aktuell bei 8 Prozent, hier bei uns in Deutschland aktuell bei weniger als 0,5 Prozent. In Deutschland haben wir früh angefangen zu testen und haben die Testkapazitäten immer weiter ausgebaut. Mittlerweile können wir unsere Patienten im Kloster Grafschaft selbst auf das Corona-Virus testen. Diese umfassende Testung in Deutschland führt dazu, dass wir unsere erkrankten Mitbürger sehr gut kennen. Länder wie Italien haben eine viel höhere Dunkelziffer, d. h. es gibt in Wirklichkeit wesentlich mehr Fälle als bekannt sind. Da die Sterblichkeit aber aus dem Verhältnis von Sterbefällen zu der Anzahl der bekannten Erkrankten berechnet wird, wird die Sterblichkeit in Italien anders als in Deutschland überschätzt. Eine hohe Dunkelziffer bedeutet aber auch, dass die Erkrankung weniger gut kontrolliert werden kann. Das Gesundheitsamt hier im Hochsauerlandkreis ist nach meiner eigenen Erfahrung sehr wachsam und verfolgt die Infektionsketten sehr gründlich. So wird vermieden, dass sich die Erkrankung rasch ausbreitet.

WOLL: Wie hat sich das Fachkrankenhaus auf die Ausbreitung des Corona-Virus vorbereitet?

Dr. Dellweg: Wir haben bereits nach der SARS Pandemie 2002/2003 ein Pandemiedepot angelegt. Neben einem großen Vorrat an Medikamenten, die ständig ausgetauscht werden, sowie Schutzkleidung, lagern dort auch einige zusätzliche Beatmungsgeräte.

Außerdem sind wir nach Absprache mit der Landes- und Bezirksregierung auf dem Weg, unsere Kapazitäten an Intensivbetten deutlich zu erhöhen. Erkrankungen führen in etwa 15 Prozent der Fälle zu einer Behandlung im Krankenhaus, in 5 Prozent sogar zu einer Behandlung auf der Intensivstation mit Beatmung. Die Corona-Virus-Erkrankung ist eine Lungenerkrankung. Bei uns im Kloster Grafschaft arbeiten derzeit mehr als zehn Lungenfachärzte, das ist einzigartig im gesamten Hochsauerlandkreis. Gleichzeitig stehen wir in ständigem Austausch mit Kollegen aus dem In- und Ausland, um unsere Erfahrungen zu teilen. Ich wünsche natürlich jedem, dass er gesund bleibt. Sollte dieser Wunsch aber nicht in Erfüllung gehen, ist er im Kloster Grafschaft gut aufgehoben.

PD Dr. Dominic DellwegQuelle: Gaby Gerster
PD Dr. Dominic Dellweg Foto: Heidi Bücker

WOLL: Werden im Fachkrankenhaus Grafschaft aktuell Corona-Patienten behandelt?

Dr. Dellweg: Wir behandeln derzeit Fälle in unterschiedlichen Schweregraden, von der leichten Lungenentzündung bis hin zum akuten Lungenversagen auf der Intensivstation.

WOLL: Was passiert, wenn sich die Situation ähnlich zuspitzt, wie es zum Beispiel in Italien zu beobachten ist?

Dr. Dellweg: Das wäre dramatisch. Ich kenne viele Kollegen in Italien von internationalen Kongressen oder gemeinsamen Projekten. Das sind keine schlechten Ärzte. Allerdings ist das Gesundheitssystem in Deutschland besser aufgestellt. Wir haben, bezogen auf die Einwohnerzahl, in normalen Zeiten bereits wesentlich mehr Krankenhausbetten zur Verfügung als das in Italien der Fall ist. Italien ist uns zeitlich zwei bis drei Wochen voraus, was uns Zeit für Vorbereitungen gibt. Die Koordination der Situation wird in den Medien gerne als chaotisch dargestellt. Man muss aber sagen, dass von Regierungsseite schnell gehandelt wurde. Jetzt müssen die Vorgaben schnellstmöglich umgesetzt werden und die beantragten Gelder für die Krankenhäuser fließen.

WOLL: Was wird am Fachkrankenhaus unternommen, damit die Patienten und vor allem auch die Ärzte und Pflegekräfte nicht unnötig gefährdet werden?

Dr. Dellweg: Mitarbeitersicherheit hat bei uns oberste Priorität. Mit erkrankten Patienten zu arbeiten, bedeutet immer ein erhöhtes Risiko. Das muss so gering wie möglich gehalten werden. Wir haben sehr früh eine Task Force ins Leben gerufen, deren Aufgabe es ist, die Abläufe im Rahmen der Pandemie zu optimieren. Die Ergebnisse muss man eng mit den Mitarbeitern kommunizieren. Große Mitarbeiterversammlungen verbieten sich natürlich, daher haben wir alle Informationen in das Krankenhaus eigene Netzwerk gestellt. Zusätzlich gibt es Schulungen in kleinen Gruppen. So eine Krise bekommt man nur als Team gestemmt. Dass das funktioniert, erkenne ich an den vielen guten Ideen und Detailverbesserungen aus allen Mitarbeiterbereichen, die an mich herangetragen werden. Vieles davon setzen wir direkt um. Kollektive Intelligenz ist immer hilfreich, besonders aber in Krisenzeiten. Es nützt Ihnen nichts, wenn Sie hundert Beatmungsgeräte haben, nicht aber das qualifizierte Pflegepersonal oder die nötigen Fachärzte, um die Geräte zu bedienen.

WOLL: Hat das Fachkrankenhaus genügend Hilfsmaterial wie Schutzmasken und Schutzkleidung vorrätig?

Dr. Dellweg: Die Engpässe in der Versorgung sind für alle Krankenhäuser gleich.

Bei der Schutzausrüstung ist vor allem der Atemschutz wichtig, da das Virus über die Atemwege und die Lunge aufgenommen wird. Wir benutzen jetzt Atemmasken, die sonst für die Beatmung von Patienten oder für Schlafapnoe-Patienten eingesetzt werden. Kombiniert mit einem Virenfilter sind diese Masken dichter als alles, was nach der geltenden Norm empfohlen wird. Das haben wir mit radioaktiven Partikeln in einem Modellversuch selbst getestet.

Schutzausrüstung ist leider immer auch ein Zeitfaktor, da sie an- und abgelegt werden muss. Darüber hinaus muss man das Arbeiten mit der Schutzausrüstung trainieren, wie auf der folgenden Abbildung zu erkennen ist.

WOLL: Was empfehlen Sie als Facharzt, aber auch als Schmallenberger, den Menschen hier im Sauerland? Wie sollten Sie sich am besten verhalten?

Dr. Dellweg: Als allererstes sollten wir darauf achten, einen menschlichen Umgang miteinander zu bewahren. Keiner, der sich infiziert hat, hat das mit Absicht getan, weder im Österreichurlaub, noch in Schmallenberg. Nach durchgemachter Erkrankung ist man immun und nicht mehr ansteckend. Eine soziale Ächtung passt nicht zum freundlichen Gemüt des Sauerländers.

Darüber hinaus ist es jetzt absolut wichtig, persönliche Kontakte möglichst zu meiden und sich an die Vorgaben zu halten. Unsere Regierung und die Behörden stimmen sich eng mit dem Robert Koch-Institut ab. Es geht darum, die Neuerkrankungen so niedrig zu halten, dass unser Gesundheitssystem nicht überlastet wird, wie das derzeit in Italien, Spanien und Teilen Frankreichs zu beobachten ist. Nur so können wir eine optimale medizinische Therapie aller Betroffenen sicherstellen.

Kontakte vermeiden bedeutet aber nicht, sich zu Hause einzuschließen. Bewegung ist wichtig und es wäre fatal, wenn wir auf Grund einer ungesunden Lebensweise am Ende die Pandemie besiegt haben, die Menschen aber vermehrt an Diabetes, Bluthochdruck oder Herzinfarkten sterben. Ernähren Sie sich gesund, verlassen Sie das Haus und bewegen Sie sich oder treiben Sie Sport! Wir haben den großen Vorteil, dass wir hier wunderschöne Natur haben und wenn Sie im Wald jemandem begegnen, halten sie etwas Abstand, das Sauerland ist hierfür groß genug. Außerdem ist im Freien das Infektionsrisiko deutlich geringer, da Viren, die abgeatmet oder abgehustet werden, sofort mit dem Luftzug verdünnt und weggetragen werden.

Ferner würde es Sinn machen, in der Öffentlichkeit einen Mundschutz zu tragen. Der schützt weniger den Träger als sein Gegenüber. Eine nette Geste also, die nur Sinn macht, wenn möglichst alle mitmachen.

Darüber hinaus gibt es natürlich eine wirtschaftliche Dimension, die nicht zu unterschätzen ist. Vor allem der Tourismus und die Gastronomie ist betroffen, aber auch viele kleine und mittelständige Unternehmen mit ihren Angestellten. Hier ist unser aller Solidarität gefragt. Kaufen Sie, wenn möglich, vor Ort und nicht im Internet und nutzen sie die Außer-Haus-Angebote der lokalen Gastronomie. Auch Crowdfunding-Projekte können eine Lösung sein (z. B. www.stammgaestefunding.de).

WOLL: Herr Dr. Dellweg, wir bedanken uns ganz herzlich, dass Sie sich Zeit für das Interview genommen haben und wünschen Ihnen und dem ganzen Team das Beste bei ihrer Arbeit im Fachkrankenhaus Grafschaft.