Die zunehmende Digitalisierung ist eine Chance für das Sauerland

Mit einer halben Million verkaufter Exemplare von »Der Crash kommt« gelang Max Otte 2006 eines der erfolgreichsten deutschen Wirtschaftsbücher überhaupt. 13 Jahre später, im Oktober des vergangenen Jahres, erschien der Nachfolger: »Weltsystemcrash“. Die Risiken sind noch dramatischer geworden: Die weltweite Verschuldung ist auf dem höchsten Stand aller Zeiten. Der Niedergang der USA, der Aufstieg Chinas und die Ohnmacht Europas bedeuten fatale Konsequenzen für uns alle. Zunehmende Überwachung, Fake News und eine verfahrene Migrationspolitik spalten die Gesellschaften. Otte zeigt, wie all dies zusammenhängt und wie jeder Einzelne mit dieser neuen Weltordnung umgehen kann.

Der in Plettenberg geborene und aufgewachsene Max Otte hat ein Büro in Köln und wohnt heute in der Eifel. Die WOLL-Redaktion hat am Samstag, 28. März 2020, ein Telefoninterview mit dem Sauerländer Wirtschafts- und Finanzexperten geführt.

Professor Dr. Max Otte, Foto: Marcus Kaufhold

WOLL: Als Sauerländer in Köln und in der Eifel. Wie fühlt man sich da?

Max Otte: In der Eifel fühlt man sich fast wie zu Hause. Wenn ich die Nordeifel sehe, dann sieht das schon sehr sauerländisch aus. Die Fichtenwälder, das ist wie die Ecke in Plettenberg, wo ich herkomme. Und es ist einfach schön, auf dem Land zu sein.

WOLL: Was verbindet Sie heute mit Plettenberg, wo Sie geboren sind, und dem Sauerland?

Max Otte: Ich komme sehr gerne nach Plettenberg. Meine Mutter wohnt noch da. Neulich war ich mit meinem jüngsten Sohn (3 ½) auf der Burg Altena. Das war natürlich das Highlight. Der Märkische Kreis ist für mich, wie das ganze Sauerland unglaublich vielfältig: einerseits Landwirtschaft und auf der anderen Seite industrielle Strukturen, dazu eine vielfältige Landschaft. In dieser unglaublich vielfältigen Landschaft bin ich groß geworden.

WOLL: Finanz- und Wirtschaftsexperte Prof. Dr. Max Otte, wie sehen Sie heute, Ende März, die allgemeine und die wirtschaftliche Situation in unserem Lande?

Max Otte: Ich habe im Oktober mein neues Buch veröffentlicht: Weltsystemcrash – Krisen, Unruhen und die Geburt einer neuen Weltordnung. Das Buch war zwölf Wochen auf der Spiegel Bestsellerliste. Beim Crash 2008 haben wir quasi die Symptome zugedeckt und weitergemacht. Wir haben keine wirklichen Reparaturen am Finanzsystem vorgenommen, sondern das irgendwie notdürftig ein bisschen repariert. Aber dadurch haben sich die Schulden-Probleme noch erhöht. Noch mehr Schulden, noch mehr Druck auf dem System. Ich habe geschrieben, das fliegt uns irgendwann um die Ohren. Und jetzt ist eben Corona gekommen. Das ist nicht nur ein Auslöser, sondern das verschärft die Krise noch zusätzlich. Jetzt haben wir nicht nur eine Schuldenkrise, die über uns hineinbricht, sondern auch noch einen sogenannten Angebotsschock, weil Produktionsketten unterbrochen werden und die Produktion zum Erliegen kommt.

WOLL: Wie sind aus ihrer Sicht die Zukunftsaussichten für unser Land und besonders für das Sauerland?

Max Otto: Sagen wir mal so, im Märkischen Kreis und der Gegend, wo ich herkomme mit viel Mittelstand und den Familienunternehmen, da hängt natürlich, wie in vielen Teilen Deutschlands, mancher Arbeitsplatz am Auto. Jetzt haben wir hier diesen Strukturwandel und die Frage, was mit der Autobranche überhaupt passiert. Dazu gibt es die Klimabewegung. Jetzt haben wir noch eine akute Krise. Die versuchen wir aus meiner Sicht mit den staatlichen Maßnahmen, nach dem Motto „Da werden wir durchtauchen“, zu beheben.

Die Regierungschefs der G5-Staaten haben sich gerade geeinigt, 5 Billionen für Rettungsmaßnahmen auszugeben. Das sind nicht ganz 10% des Welt-BIP (Welt-Brutto-Inlandsprodukt), eine gewaltige Summe. Wir werden versuchen den Motor am Laufen zu halten, bekommen aber gleichzeitig weitreichende Einschränkungen in der Bewegungsfreiheit und so weiter. Wir werden irgendwie durch diese Krise kommen, aber am Ende eine noch stärker verwaltete Wirtschaft haben und wir werden teilweise auch Währungsbereinigungen haben. Das Geld wird weniger wert, weil wir anders nicht mehr aus dieser Schuldenentwicklung rauskommen.

Die Nullzinspolitik hat dazu geführt, dass die Monopole und Großkonzerne stärker geworden sind, der Mittelstand dagegen noch weiter unter Druck geraten ist. Man sieht es ja auch, viele kleinere und mittlere Unternehmen sind schon weg. Die großen Mittelständler kommen auch in dieser Krise noch einigermaßen über die Runden. Auf der einen Seite wird mit Zahlungen und sonstigen finanztechnischen Erleichterungen geholfen. Wenn aber die Rahmenbedingungen und Einschränkungen und sonstigen Beeinträchtigungen bleiben, ist das nur Gift, das die Probleme verlängert.

WOLL: Was empfehlen Sie der Region? Was könnten die Städte und Gemeinden, die Unternehmen und Organisationen im Sauerland, im Rahmen ihrer Möglichkeiten machen?

Max Otte: Also ich denke, dass es eine Chance wäre, wenn man die Digitalisierung und andere IT-nahen Projekte weiter fördern würde, also in diese Richtung Kapazitäten aufbauen. Das ist ja nun einmal ein Trend, der nicht mehr zu stoppen ist. Projekte und Unternehmen die hier gefördert werden, das ist glaube ich schon sehr wichtig. Eine Rückbesinnung auf die Region wäre auch nicht schlecht. Die Regionalität ist eine Stärke Deutschlands. Das ist auch der Geschichte Deutschlands geschuldet, da wir eben, anders als viele glauben, lange keinen Zentralstaat hatten. Das ist eine große Stärke Deutschlands immer noch und die muss man sich unbedingt auch bewahren.

WOLL: Eine gewisse Autonomie der Region Sauerland hochhalten?

Max Otte: Eine dezentralere Verwaltung hätte einige Vorteile. Man ist schneller und flexibler. Man kann besser reagieren. Für die Wirtschaft wäre das sehr förderlich. Man denke nur an unterschiedliche Gewerbesteuersätze in den einzelnen Städten und Gemeinden. Da wird zielgenaue Wirtschaftspolitik mit gemacht.

Im Zentralismus haben wir das Problem, dass wir alle gleichbehandeln. In der Bankbranche zum Beispiel die Volksbanken und Sparkassen mit den Großbanken. Die Volksbank Bigge-Lenne muss zum Beispiel oft dieselben Auflagen erfüllen, wie die Deutsche Bank. Was Quatsch ist. Wenn ich für einen 20.000 Euro-Kredit dieselben Auflagen erfüllen muss, wie für einen 200 Millionen Euro-Kredit, passt das nicht. Die Belastung ist für den Mittelstand einfach zu hoch. Das heißt, den Mittelstand muss ich massiv entlassen. Die sind kleiner, die sind in diesem Sinne nicht systemrelevant. Daher kann ich ordentlich Wettbewerb zulassen und muss nicht alles in Bürokratie ersticken. Leider passierte in den letzten zwanzig Jahren oft das Gegenteil.

WOLL: Gibt es einen Lieblingsplatz/Lieblingsort im Sauerland?

Max Otte: Ich bin einfach gerne in diesen Tälern des Sauerlandes. Ich gehe sehr gerne von Brüninghausen an der B256 rauf nach Affeln. Das ist so ein typisches Tal, relativ langgezogen. Erst kommen Wiesen, dann kommt Wald. Von diesen schönen Tälern gibt es unglaublich viele.

WOLL: Gibt es einen Brauch, ein Wort oder eine Redewendung, die Sie immer ans Sauerland erinnert?

Max Otte: Also erstmal ist es das Dictum, oder sagen wir mal der etwas breite und geerdete Zungenschlag. Meine Eltern sind seinerzeit zugezogen, also ich habe jetzt nicht das Platt in dem Sinne drauf. Aber man kann mich schon, wenn ich spreche, in die Region einsortieren, aus der ich stamme. Wenn man so mit Zwanzig oder Dreißig raus geht in die Welt, davon war ich fast zehn Jahre in den USA, dann wird man sich vielleicht etwas verändert vorkommen. Aber dieser Zungenschlag, der ist nicht nur geblieben, sondern der ist auch wieder stärker geworden. Man erinnert sich einfach daran, und man ist das selber und das bleibt man dann auch.

WOLL: Herzlichen Dank, Herr Prof. Dr. Otte für diesen kurzen Einblick in ihre, doch auch vom Sauerland geprägte Gedankenwelt.