Bescheidenheit, Gottvertrauen und kaltes Wasser

Franz Flashar im Gespräch mit Andrea Gödde-Kutrieb; Foto: Klaus-Peter Kappest

von Andrea Gödde-Kutrieb

Sein Alter sieht man Franz Flashar wirklich nicht an. Kaum eine tiefe Falte ist in seinem Gesicht zu finden und das, obwohl der Esloher im Oktober 2019 stolze 100 Jahre alt geworden ist. Der rüstige Rentner ist bescheiden. „Schreibt nicht so viel über mich“, sagt er zu Beginn unseres Gespräches. Aber er hat viel Interessantes zu erzählen, hat in seinem bisherigen Leben viel Schönes erleben dürfen, aber auch viel Schlimmes erleben müssen. Niemals hat er aufgegeben und ist stets mutig auf neue Situationen zugegangen.

„Ich bin nicht gerade in eine gute Zeit hineingeboren worden“

Der Erste Weltkrieg war gerade zu Ende, als Franz Flashar in Remblinghausen-Ennert das Licht der Welt erblickte. „Ich bin nicht gerade in eine gute Zeit hineingeboren worden“, sagt er. In dem Alter, in dem ein Mensch normalerweise unbeschwert von hier nach da springt, da haben sie mich in den Krieg geschickt.“ Auf die Frage, was ihm geholfen hat, dies zu ertragen und zu verarbeiten, hat er eine prompte Antwort: „Gottvertrauen.“ Viele Gespräche habe er als junger Soldat mit einem Kameraden – einem Priester – geführt, was ihn innerlich gestärkt und nachhaltig für sein Leben geprägt habe.

Gerade Haltung dank Schneidersitz

In Remblinghausen hatte Franz Flashar die Volksschule beendet. Weil sich zunächst keine Lehrstelle fand, nahm ihn der Vater mit „in den Holzberg“: „Hier bei der Arbeit in der Land- und Forstwirtschaft habe ich viel gelernt. Das hat mir auch später immer geholfen. Ich konnte die meisten handwerklichen Arbeiten selbst erledigen.“ In Meschede machte er dann eine Lehre zum Schneider. Ein guter Beruf, dachte er damals als Schüler. Oft hatte er seinem älteren Bruder, ebenfalls Schneider, schon zugesehen.

Die Lehrzeit, die vier Jahre dauert, war streng. Nicht nur auf Genauigkeit, Pünktlichkeit und Höflichkeit wurde Wert gelegt, sondern auch auf eine gute Sitzhaltung. „In der Schneiderstube gab es keine Stühle, sondern einen langen Tisch“, sieht es Franz Flashar noch heute vor sich. „Auf diesem Tisch haben wir, aufgeteilt nach Rangfolge, gesessen. Zuerst der Altgeselle, dann der Geselle und so weiter, ganz hinten saß der Stift – natürlich alle im Schneidersitz. Die Knie mussten dabei auf der Tischplatte aufliegen, der Rücken gerade sein. So konnte man lange sitzen.“ Das erklärt wahrscheinlich, warum Franz Flashar mit über 100 Jahren noch über eine außergewöhnlich gerade Körperhaltung verfügt. „Ja, heute gehen die Leute für sowas zum Yoga“, lacht er.

„Wir hatten ständig Durst.“

Die Lehre war gerade beendet, da kam der Einberufungsbefehl. Franz war 19 Jahre alt und musste im Zweiten Weltkrieg viele grauenvolle Dinge erleben: „Ich hatte wohl einen guten WOLL Frühjahr 2020 – 37 Schutzengel.“ Noch vor Kriegsende kam er in amerikanische Gefangenschaft. In Oklahoma musste er Baumwolle pflücken, bis heute hat er die Ansagen der Wärter in Originalsprache parat: „You have to pick 150 pounds cotton minimum!“ (Ihr müsst mindestens 150 Pfund Baumwolle pflücken!) Außerdem erntete er in Idaho und Oregon Pfirsiche, Zwiebeln und Kartoffeln. „Harte Arbeit, Popcorn mit Koteletts und wenig Wasser“, bringt er es auf den Punkt. Die Sonne schien unerbittlich bei der Arbeit. Es war 38 Grad oder heißer. „Wir hatten ständig Durst.“ Hier half ihm sein Schneiderhandwerk. Er nähte Schildkappen aus Stoffresten für seine Kameraden und bekam dafür Zigaretten und andere Kleinigkeiten. Als es nach zwei Jahren endlich wieder mit dem Schiff Richtung Europa ging, war die Hoffnung groß, die Heimat wiederzusehen. Stattdessen aber musste er noch einmal anderthalb Jahre zur Zwangsarbeit nach England.

„Man lernt nie aus.“

1948 durfte er endlich wieder ins Sauerland. Jetzt begann der bessere Teil seines Lebens. 1953 war ein ereignisreiches Jahr. Er machte seine Meisterprüfung als Schneider und heiratete seine Thea. Drei Kinder bekamen die beiden, wohnten in Remblinghausen, Reiste und Eslohe. Dort betrieb die Familie 17 Jahre lang ein eigenes Schneidereigeschäft mit dem Namen „Moden Flashar, Eslohe“. Die Schneiderwerkstatt in der Papestraße existiert nicht mehr. Sie wurde wegen einer Straßenverlegung abgerissen. Als die Zeiten für kleinere Textilbetriebe schwieriger wurden und zeitgleich ein gutes Arbeitsangebot kam, entschied sich Franz Flashar, die Selbstständigkeit aufzugeben und ins Angestelltenverhältnis zu wechseln. Zunächst nach Meschede in den Textilgroßhandel Senge als Einkaufsleiter, später in den Globus-Markt als Abteilungsleiter des Textilbereiches. In dieser Position musste er öfter zu Messen und Großhändlern fahren. „Bisher war ich immer gut zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit dem Bus unterwegs gewesen. Jetzt war es notwendig, den Führerschein zu machen. Mit 51 Jahren meldete ich mich also bei der Fahrschule Scholz in Eslohe an und legte meine Fahrprüfung ab. Man lernt eben nie aus.“

100 Jahre Fußballverstand

Mit 63 Jahren ging er in Rente. Im Alter von 70 Jahren zog er mit seiner Frau Thea in den Brackenweg. Dort wohnen sie in einem Mehrgenerationenhaus mit Sohn Ludger und dessen Familie zusammen. Die drei Enkelsöhne haben ihn durch viele Fußballeinsätze (er musste immer ins Tor) und andere Spiele fit gehalten. Vier weitere Enkel und fünf Urenkel (das Sechste ist unterwegs) sorgen ebenfalls dafür, dass es nie langweilig wird. Franz Flashar ist stets gut über alle Fußballereignisse informiert und tippt jede Woche die Bundesligaergebnisse in einer Familientippgruppe. Sein Lieblingsverein? Borussia Mönchengladbach! „Ja, es läuft gut dieses Jahr, aber für die Meisterschale wird es wohl nicht reichen. Das werden die Leipziger oder wieder die Bayern machen“, so der weise Tipp des Profis.

Jetzt, wo wir uns ein bisschen besser kennen, erlauben wir uns noch eine letzte Frage, die sehr wahrscheinlich auch unsere Leser interessieren dürfte. Wie macht er das nur, dass sein Gesicht mit über 100 Jahren noch so glatt aussieht? Wird er etwa jeden Morgen gebügelt? Er lacht. Diese Frage hat Franz Flashar schon oft gestellt bekommen, und er gibt gerne sein „Schönheitsgeheimnis“ preis: „Ganz einfach, jeden Morgen kaltes Sauerländer Wasser!“