Ein starker Gedanke nimmt Fahrt auf

Daniela Tigges spricht mit WOLL über die Beweggründe einer dreimonatigen Reise, ihre Kinder und das Fazit ihrer Auszeit

Text: Kerstin Thielemeier – Foto: Heidi Bücker

Völlig verrückt, sagen die einen. Total genial, sagen die anderen. Aber ihr ist es ziemlich egal, wer was sagt. Sie hat es gemacht. Daniela Tigges aus Schmallenberg- Ebbinghof hat für sich – mit ihren beiden Kindern – eine Auszeit genommen. Von Ende März 2019 bis Ende Juni 2019 waren die Drei dann mal weg. Wer aber nun glaubt, dass die Unternehmerin Hals über Kopf die Koffer gepackt, Hotels gebucht hat und in den Flieger gestiegen ist, der irrt. „Den Wunsch, mehr Zeit für seine Kinder und im Besonderen für sich zu haben, kennt wahrscheinlich jeder, der Kinder hat“, erzählt Daniela Tigges. „In der Hotelbranche arbeitest du viel – unzählige Stunden am Tag. Abschalten und den Kopf freibekommen ist da eher eine Seltenheit“, fügt die Hotelbetriebswirtin hinzu.

In Ebbinghof schreibt das gleichnamige Familienunternehmen eine bereits 500-jährige Geschichte. Von ihren Eltern Ingrid und Johannes ist Daniela Tigges das „Gastgeber-Gen“ in die Wiege gelegt worden. Seit 2006 hat sie zuhause nach und nach Führungsaufgaben übernommen, Um- und Ausbau der heutigen Familotel-Anlage Ebbinghof begleitet und vorangetrieben. „Das war und ist eine starke Herausforderung und ein enormer Kraftakt. Aber: Ich liebe es.“ Das ABER führt Daniela Tigges noch weiter aus: „Ich bin gerne Unternehmerin und Teil vom Ganzen. Jedoch bin ich auch gerne mal einfach nur Daniela. Und: Wie kann ich meinen Kindern mehr Zeit und Aufmerksamkeit schenken?“ Diese Frage hat sie sich oft gestellt. Mit dieser ganz privaten Frage ging allerdings auch die Herausforderung einher, ihr Unternehmen so aufzustellen, dass es nicht nur mit ihr, sondern auch ohne sie reibungslos laufen kann. Somit ist der Gedanke, „eine Auszeit“ zu nehmen, langsam gewachsen. Eben nicht von heute auf morgen, sondern mit langer, akribischer Planung.

Eine emotionale Zeit, in der es der Vorbereitung und des Feingefühls bedurfte. Fast zwei Jahre vor der Abfahrt informiert sie ihre Eltern, ihr Team und alle aus dem Umfeld Beteiligten über ihre Pläne. Sie sei in dieser Zeit der Vorbereitung extrem sensibilisiert gewesen: „Ich wollte keinen Stellvertreter bestimmen oder meinen Eltern alles aufbürden. Mein Wunsch war es, dass alle Mitarbeiter mein ‚Fehlen‘ stressfrei (er)leben.“ Gewünscht – gedacht – gemacht. Über eineinhalb Jahre hat Daniela Tigges ihre Aufgaben im Unternehmen zum Teamjob gemacht. Mit diver-sen Coaching-Sitzungen sind alle 70 Mitarbeiter „eingearbeitet“ beziehungsweise vorbereitet worden. Es wurden viele Aufgaben auf die unterschiedlichsten Schultern verteilt, so war gewährleistet, dass der große Betrieb reibungslos weiterlaufen kann, ohne Einzelne zu überfordern. Das Arbeitszeitmodell stand und der „Firmen-Notfallkoffer“ für die unternehmerische Auszeit ebenfalls. Nun hieß es: Ab in den Süden. Auto tanken, Koffer packen, Dachbox mit Camping-Equipment laden und los.

„Für meine Töchter Henrike (10 Jahre) und Theresa (4 Jahre) und mich war es vom ersten bis zum letzten Tag ein echtes Abenteuer. Flexibel sein, Freiheit genießen, Mensch und Natur kennenlernen und das alles ohne Termindruck. Witzigerweise waren wir uns immer einig“, erinnert sich Daniela Tigges. Vom Salzburger Land über die Steiermark ging es nach Venedig und in die Toscana. Über die Schweizer Alpen Richtung Frankreich und von dort durch Spanien. „Dass wir in den drei Monaten 12.000 Kilometer gefahren sind, erstaunt mich heute selbst“, lächelt die zweifache Mutter. Und alles mit ganz viel guter Laune, zufriedene Kinder inklusive. Die Zeit mit ihren Kindern so intensiv verbringen zu können, war für sie das größte Geschenk. Aber auch der „Input“ von Land und Leuten sei unbezahlbar, abgesehen von dem unternehmerischen Lernprozess für ihr Team zuhause. Übernachtet hat das „Mädels-Trio“ bei Familotel- Kolleginnen und -Kollegen, bei Gastfamilien auf deren Bauernhöfen, in Wohngemeinschaften von Freilerner-Familien und natürlich im Zelt. Abenteuer pur.

Wichtig war der 40-jährigen Daniela Tigges nicht nur, ihren Traum zu leben. Wichtiger war es ihr, die Kinder glücklich zu sehen. Das ist ihr zweifelsohne gelungen: „Wir haben uns alle weiterentwickelt, aufregende und lustige Zeiten gehabt. Tolle junge und alte Menschen kennengelernt. Ich habe Abstand zum Alltag im Unternehmen bekommen, neue Perspektiven und Sichtweisen gewonnen. Und das ohne Heimweh“, freut sich die Ebbinghoferin. Sie ist sehr froh, dass sie es gemacht hat, und kann sich gut vorstellen, mit ihren Kindern irgendwann erneut durchzustarten. Die gesammelten Eindrücke und Erlebnisse mit den Menschen, der Kunst, in der Natur und mit facettenreichen Kulturen und Lebensweisen hat sie in einem Tagebuch festgehalten. „Jeder Tag war anders. Beeindruckend, atemberaubend. Es gab so viele Momente, die ich nicht vergessen wollte. Darum habe ich sie aufgeschrieben. Ich bin sicher, dass ich sie nachträglich in einem Buch noch einmal aufleben lasse“, verrät Daniela Tigges.

Wieder zuhause, stellt sie fest, dass ihre Mitarbeiter einen wirklich guten Job gemacht haben: „Ich bin so stolz auf mein Team. Sie haben Dinge weiterentwickelt, für einen reibungslosen Ablauf gesorgt und alles gemeistert. Ich würde jetzt lügen, wenn ich sage, dass alles perfekt war. Sicherlich gab es auch Pleiten, Pech und Pannen, zumal wir uns damals in einer Bauphase befanden.“ Auch kann sie sich daran erinnern, dass der ein oder andere nach ihrer Rückkehr urlaubsreif war. Fakt ist aber: „Ohne das Team wäre unsere Auszeit auch gar nicht möglich gewesen“, schwärmt die Unternehmerin. Und ihre Kinder? Die planen sicherlich schon heimlich und freuen sich, wenn es irgendwann wieder heißt: „Koffer packen!“ Eine abschließende Frage sei erlaubt: In welchem Land oder Ort war es denn am Schönsten? Daniela Tigges antwortet ohne zu zögern: „Ganz ehrlich, zu Hause.“