SAUERLÄNDER SUPERFOOD

ESSBARE „UNKRÄUTER “ AM NEHEIMER RUHRUFER

Text: Ruth Freund
Fotos: Marc Niemeyer

Die Superfood-Welle spült exotische Gewächse aus aller Welt an. Moringa, Açai-Beeren, Chia-Samen – die Liste ist lang. Dabei hat unsere Heimat ihren eigenen, wilden Superfood-Garten! Wir machen uns auf den Weg, um ein paar dieser gesunden Schätzchen zu finden.

Die Ruhr bei Neheim ist unser Ziel. Wir sind dort mit der ausgebildeten Wild- und Heilpflanzen-Expertin Katrin Honisch verabredet, die uns allerlei Essbares und Gesundes zeigen will, das von Unwissenden auch gerne als „Gestrüpp“ bezeichnet wird. In diesem Fall sind die Unwissenden wir von WOLL.

DER GESUNDE KLASSIKER: DIE BRENNNESSEL

Los geht’s, immer entlang der Ruhr. Die erste Pflanze, die Brennnessel, wird ein bisschen gefürchtet, weil es brizzelt, wenn man sie berührt. Nicht aber, wenn man weiß, wie’s geht. Frau Honisch nimmt mit festem Griff ein Blatt und streift die histamingefüllten Kügelchen auf den Brennhärchen vom Stiel zur Blattspitze hin ab.  Der Selbstversuch bestätigt: nichts piekt mehr. Der Geschmack des rohen Blattes erinnert ein bisschen an Pfirsichschale, finden wir. Die Blätter sind wahre Mineral- und Vitaminbomben und können roh im Salat, getrocknet als Tee oder gekocht wie Spinat verarbeitet werden. Aus den Stängeln der Brennnessel lassen sich Fasern zur Herstellung von atmungsaktiven Geweben gewinnen und ihre Samen sind ein Powerfood der Extraklasse: hoher Eiweißgehalt, jede Menge Vitamin A, B, C und E, Kalium, Eisen und Kalzium. Getrocknet lassen sie sich über Salate, in Joghurts und Müslis verwenden. Chia ade!

DIE VITAMIN C-BOMBE: DAS SCHARBOCKSKRAUT

Wir müssen nicht weit laufen, bis wir auf das gelb blühende Scharbockskraut stoßen. Seine herzförmigen, fleischigen Blätter warten mit einem derartig hohen Vitamin-C-Gehalt auf, der seinen Beiname „Skorbutkraut“ erklärt. Die Seefahrer des Mittelalters haben tatsächlich mit dem kleinen Pflänzchen der tödlichen Vitamin-C-Mangelkrankheit Skorbut vorgebeugt. Wichtig: das Scharbockskraut sollte sehr früh im Jahr noch vor der Blüte gesammelt werden, da sich danach giftige Stoffe in den Blättern bilden.

GENIESSEN UND GENESEN: DER GUNDERMANN

Ein paar Schritte weiter steht der bläulich blühende, kleine Gundermann. Er taucht erstmals als „Gunde Rebe“ (Gund: Althochdeutsch für Beule oder Eiter) in den Aufzeichnungen der Hildegard von Bingen auf. Die gerbstoffhaltige Pflanze wurde auf großflächige Wunden aufgetragen. Neueste Forschungen bescheinigen ihm antibakterielle, antioxidative und entzündungshemmende Eigenschaften. Seine ätherischen Öle geben ihm ein Aroma, das als minzähnlich bis lakritzartig beschrieben wird, was durch eine Kostprobe vor Ort von uns bestätigt werden kann.  Frau Honisch hat einen Tipp: Die kleinen Blätter entwickeln, in Schokolade getaucht, einen „After-Eight“-ähnlichen Geschmack. Würzigen Gerichten, z. B. Kräuterquark, gibt der kleine Tausendsassa eine besondere Note und seine Blüten können über Salat gestreut werden.

JUNGBRUNNEN FÜR GOURMETS: DIE VOGELMIERE

Wir sind schon an ihr vorbeigewandert, denn sie wächst wirklich überall. Aber nun bleiben wir stehen und probieren sie: Köstlich! Ein angenehm milder Geschmack, der an junge Maiskolben oder zartes Erbsengrün erinnert. Für Katrin Honisch zählt die Vogelmiere zum heimischen Superfood, denn neben einem hohen Eiweißgehalt decken 150 g den Tagesbedarf an Kalium und Magnesium und bereits 50 g enthalten den täglichen Bedarf an Vitamin C. Zusätzlich enthält das kleine „Garten-Unkraut“ viele Spurenelemente wie Phosphor, Kupfer und Silizium. Roh (so ist die Vogelmiere am leckersten) im Salat oder als Pesto gegessen, soll das enthaltene Aucubin das Immunsystem stärken und dem vorzeitigen Alterungsprozess entgegenwirken.

DAS PFLASTER FÜR WANDERER: DER SPITZWEGERICH

Man kennt ihn als Hustensaft, aber er kann mehr: Der Saft der Blätter kühlt Insektenstiche und versorgt kleinere Wunden durch seine antiseptischen Eigenschaften. Einfach mit den Fingern ausquetschen bis der Saft austritt und die betroffenen Stellen einreiben. Das haben wir notiert, und weiter geht’s zum nächsten Kraut

GÄRTNERS LEID, KENNERS FREUD: DER GIERSCH

Man wird ihn kaum los: der Kampf gegen den Giersch hat schon so manche Gärtner zur Verzweiflung gebracht. Dagegen hilft ein einfaches Rezept: Frieden schließen und aufessen! Die jungen Blätter erinnern roh an Petersilie und schmecken gekocht wie kräftiger Spinat. Giersch essen lohnt sich, er enthält Vitamin C und A, Magnesium, Kalium und Kupfer. Katrin Honisch macht daraus eine erfrischende Limonade: Ein Sträußchen Giersch in Apfelsaft hängen und anschließend mit Mineralwasser auffüllen. Sein Beiname „Zipperleinskraut“ weist auf seine Verwendung bei Gicht und Rheuma hin, im Tee wirkt er harntreibend. Zur Sicherheit: Beim Sammeln sollte man, um Verwechslungen mit dem hochgiftigen „gefleckten Schierling“ zu vermeiden, die 3×3-Regel beachten: Der Stiel ist im Querschnitt 3-eckig, und es stehen immer 3 Blätter zusammen am Stiel, die selbst jeweils dreigeteilt sind.

PIKANTE ÜBERRASCHUNG: DAS WIESENSCHAUMKRAUT

Das kleine, zart-violett blühende Pflänzchen hat ein ungeahntes Aroma: scharf-lauchig und erstaunlich kräftig schmeckt das Wiesenschaumkraut. Es erinnert an Rucola. Dafür verantwortlich sind Senfölglykoside, zudem enthält die Pflanze eine gute Portion Vitamin C. Als Salatbeigabe ist diese kleine Aroma-Überraschung sehr empfehlenswert.

SAUERLÄNDER POWER-BEERE: DIE SCHLEHE

Wir wandern weiter entlang der Ruhr – bis Katrin Honisch den nächsten Halt an einem Schlehenbusch vorschlägt. Einer alten Weisheit nach soll man die ersten drei Blüten einer Schlehe essen, um das ganze Jahr über von Fieber und Grippe verschont zu bleiben. Die Beeren gelten – erst nach dem Frost oder nach dem Einfrieren genießbar – als wertvoller Lieferant von Mineralien und Vitaminen, selbst der Steinzeit-Wanderer „Ötzi“ hatte getrocknete Schlehen als Power-Proviant im Gepäck. Die Kerne sollten roh wegen ihres hohen Blausäure-Gehaltes allerdings nicht verzehrt werden.

ZU GUTER LETZT: DIE HANDSTRAUSS-REGEL

Unsere Wanderung hat uns an vielen essbaren „Unkräutern“ vorbeigeführt, und es ist erstaunlich, wie reich das Sauerland den Tisch deckt. Für alle, die Lust aufs heimische Superfood bekommen haben, gilt: Zum Schutz der Natur nehmt von allem nur eine Handvoll mit, damit uns die Sauerländer Pflanzenwelt noch lange so vielfältig erhalten bleibt.

Kräuterführung Sauerland, RuhrHüsten 08042019 X Foto: Marc Niemeyer
Quelle: Denise McConnell
Kräuterführung Sauerland, RuhrHüsten 08042019 X Foto: Marc Niemeyer
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ESSBARE „UNKRÄUTER “ AM NEHEIMER RUHRUFER
Kräuterführung Sauerland, RuhrHüsten 08042019 X Foto: Marc Niemeyer