Der Physiotherapeut Georg Wüllner

Quelle: S. Droste

Immer auf der Suche nach Ursachen für Erkrankungen

Text: Ursual Wiethoff-Hüning – Fotos: Klaus-Peter Kappest

Seit Jahren führt Georg Wüllner in Bödefeld sehr erfolgreich eine physiotherapeutische Praxis, besucht Weiterbildungen, macht Zertifikate und hat zuletzt 2019 den Master of Science Sports Physiotherapie erworben. WOLL sprach mit Georg Wüllner über gesundheitliche Aspekte und Ansichten und sein Leben im Sauerland.

WOLL: Herr Wüllner, die Patienten in Ihrer Praxis für Physiotherapie in Bödefeld fühlen sich gut aufgehoben. Was ist für Sie die Motivation, sich über das normale Arbeitspensum hinaus so intensiv weiter zu qualifizieren?
Mich treibt die Frage nach den Ursachen von Krankheitsprozessen um! Warum funktionieren manche Therapien oder nicht? Es gibt in der Therapie nicht DAS Konzept. So frage ich mich: Warum entstehen Arthrosen, chronische Schmerzen, Immunerkrankungen, Stoffwechselstörungen und Unverträglichkeitsreaktionen wirklich? Einige von diesen Pathologien sind Zivilisationserkrankungen, die es in diesem Maße bei den Urvölkern nicht gab. Diese hatten in jungen Jahren keine Diabetes, keine Fußfehlstellungen, kein Zähneknirschen, keine Kopfschmerzen durch Stress, keine Burnouts: Wo und warum entsteht so etwas also heutzutage? Welche Zusammenhänge gibt es bei chronischen Krankheiten durch Fehlernährung, dauerhaften Stress und Bewegungsmangel?

WOLL: Das sind alles Dinge, die man nicht in erster Linie mit einem Physiotherapeuten verbindet …
Es ist die Frage, was man unter Physiotherapie versteht. Es sollte in der Physiotherapie eigentlich um eine ganzheitliche Betrachtung von Funktionsstörungen und Beschwerden gehen, gemäß der Frage, was zuerst da war.Es gibt vier Ebenen, die als eine Einheit zusammenspielen: Energetik, Stofwechsel, Psyche und Mechanik. Die Frage ist, auf welcher Ebene Sie ein Problem haben. Wenn Sie Nackenverspannungen haben, gilt es zu ergründen, ob diese rein mechanischen Ursprungs sind, weil sie lange Kartoffeln aufgehoben haben und das nicht gewohnt sind oder weil Sie Stress haben, weil Sie ein Magen- oder Gallenproblem haben etc. All diese Ebenen therapeutisch zusammenzubringen, das ist die Herausforderung! Warum war die Situation bei den Urvölkern so und ist heutzutage anders? Das sind Tatsachen, die auch den Physiotherapeuten interessieren müssen! Ich versuche, dahingehend zu forschen und die Ergebnisse dann auch entsprechend zu präsentieren und umzusetzen.

WOLL: Sie haben gerade das Studium „Sportphysiotherapie“ erfolgreich abgeschlossen. Gibt es einen solchen Studiengang schon länger und führt dieses zu einer größeren Anerkennung?
Der Studiengang für diese Sportmedizin ist relativ neuartig, es gibt ihn seit etwa 2010. Abgesehen von meinem Interesse für Ursachenforschung habe ich auch studiert, weil ich an verschiedenen Fortbildungseinrichtungen und Unis unterrichte und es als Akademiker dort leichter habe. Hier auf dem Land ist die Anerkennung durch Ärzte damit auf jeden Fall größer, aber vor allem auch, weil ich viele Ärzte über Jahre hinweg kenne und mit ihnen eine sehr gute interdisziplinäre Zusammenarbeit aufgebaut habe. Die Wege der Kommunikation sind insofern auch kurz, was in der Stadt quasi unmöglich ist. Mein Wunsch wäre es, jeden Patienten so zu behandeln wie Profisportler – kurze Wege, sofortiges und interdisziplinäres Handeln – um auf so manchem Krankheitsweg Zeit zu sparen. Hier im Sauerland lässt sich dieses Ziel schon eher umsetzen als in der Stadt, aber vom Optimum sind auch wir in unserem Gesundheitswesen noch weit entfernt. Ein Gedanke in diese Richtung wäre z. B. der sogenannte „First-Contact-Therapeut“, den es in anderen europäischen Ländern schon gibt. In Deutschland geht der Weg des Patienten zunächst zu den Physiotherapeuten über die Ärzte.

WOLL: Haben Sie mal überlegt, sich aus dem Sauerland weg zu bewegen, um wissenschaftlich besser arbeiten zu können?
Die Anreise hierher ist halt das Problem, erstmal zur Bahn oder zum Flughafen zu kommen. Abgesehen davon ist es egal, ob ich von hier aus Richtung Schweiz oder Italien fliege oder von einer Stadt aus. Europäisch gesehen sind wir hier im Sauerland ja total zentral, sozusagen die Mitte Europas.Außerdem ist es für mich hier Heimat. Hier ist mein Elternhaus und ich habe mir etwas aufgebaut, so dass ich nie wirklich überlegt habe, mir einen anderen Standort zu suchen. Ich bin hier gut aufgestellt und kann das leben, was ich aus physiotherapeutischer Sicht für wichtig erachte. Ich bewege mich viel, laufe, fahre Fahrrad und gehe regelmäßig mit meiner Tochter ins Fitnesstudio. Bewegung trägt maßgeblich zur Gesundheit bei! Evolutionsbiologisch sind wir ja zum Jagen da, 12 bis 15 Kilometer konnten die Männer früher jagen. Das bedeutet Ausdauer, Tempo, Kraft, Konzentration auf den Punkt und Überlebensstrategie.

WOLL: Gibt es so etwas wie eine allgemeine gesundheitliche Formel, eine sogenannte Bewegungsphilosphie?
Es gibt eine große Studie in der „Harvard Medical School“ in Boston, die besagt, dass eine konstante Bewegung wie zügiges Gehen von fünf mal dreißig Minuten pro Woche besonders effektiv ist. Viele chronische Erkrankungen konnten um mehr als 50 % gesenkt werden. Dazu sollte man ein Kraft- und ein Entspannungstraining machen, und es ist ratsam, auch mal Hunger zu spüren. Das Gen hierzu haben wir, aber man muss es trainieren, Dinge auszuhalten. Der Körper greift dann auf den Fettstoffwechsel zurück, was jeder Marathonläufer macht. Ein Marathonläufer zapft nach gut zehn Minuten schon seinen Fettstoffwechsel an, weswegen er so lange laufen kann. So kann man durch Hunger einen Zugriff auf die Fettreserven trainieren. Das dauert aber Monate. Ich kann nicht sagen, ich hungere mal drei Wochen. Letztlich sollte man eine Kombination aus Bewegung, Kraft, Entspannung und Ernährung anstreben, die aber keinen Stress machen sollte. Das ist ganz wichtig. Die Dinge müssen aus mir selbst heraus, also intrinsisch, erfolgen, weil ich sie gerne und aus Überzeugung so tue, beispielsweise meinen Einkauf oder Besorgungen mit dem Fahrrad. Das passt auch vielleicht ein bisschen mit zu unserer Ökobilanz. Ich kann den Weg zu einem Ziel ja auch mal mit dem Rad zurücklegen und das Auto stehen lassen.

WOLL: Seit einigen Jahren arbeiten Sie erfolgreich mit der Firma Falke zusammen. Worum geht es hierbei?
Die Zusammenarbeit mit Falke, aus einer Idee mit Peter Falke entstanden, ist tatsächlich sehr innovativ und trifft den Nerv der Zeit. Gesundheit und Sport machen auch bei der Bekleidung nicht halt. Zunächst haben wir ein Projekt umgesetzt, bei dem man durch Kleidung Faszienstrukturen, also Bindegewebsstrukturen, stimulieren kann. Eine solche Kleidung hilft dem Körper, Bewegungsabläufe besser zu ökonomisieren und zu steuern. Darüber hinaus habe ich im Zusammenhang mit meiner Masterarbeit zum Studienabschluss ein Bekleidungssystem erforscht. Ich habe für den Achilles-Strumpf, den Falke bereits auf den Markt gebracht hatte, einen wissenschaftlich fundierten Wirkungsnachweis erbracht mit hochsignifikantem Ergebnis. Dieser Strumpf hat eine Noppenstruktur, mit deren Technologie das Bindegewebe so stimuliert wird, dass es zu einer besseren Durchblutung und Schmerzreduktion kommt. Bei Problemen mit der Achillessehne liegen häufig Durchblutungsstörungen zugrunde. Über 70 Prozent der Testpersonen, die chronische Probleme mit der Achillessehne hatten, hatten nach dem Tragen des Strumpfes weniger Beschwerden oder waren sogar komplett beschwerdefrei. Dieses tolle Ergebnis wird jetzt international publiziert und unterstützt auch die Vermarktung des Produktes.

WOLL: Haben Sie eine Zukunftsvision in der Zusammenarbeit mit Falke?
Ja: Die Entwicklung weiterer Anwendungsformen dieser Technologie in der Sportbekleidung wäre hochinteressant, das heißt, dass wir über Bekleidung auch einen präventiven Einfluss bei Diabetes, Sehnen- und Muskelproblemen, Stoffwechselstörungen etc. erreichen können, überall dort, wo es um Durchblutungsstörungen geht. Das ist ein spannendes Feld und ich würde gerne in dieser Hinsicht mit Falke zusammen weiter forschen.

WOLL: Zukünftig werden Sie im WOLL-Magazin, welches vier Mal im Jahr erscheint, eine Kolumne zum Thema Gesundheit schreiben. Wie wird eine solche Kolumne aussehen?
In einer Kolumne kann ich einen physiotherapeutisch relevanten gesundheitlichen Aspekt herausnehmen, grob hierzu aufklären, Hintergründe erläutern, mögliche Ursachen anreißen und Therapieansätze aufzeigen. Thema kann Schmerzphysiologie oder Ernährungsmedizin sein, natürlich auch den Bewegungsapparat betreffend. Da gibt es viele Ansätze und Möglichkeiten!

WOLL: Danke, Herr Wüllner, für dieses sehr interessante Gespräch!