Aus dem Leben eines Zeitreichen

Für Müntefering war es ein Heimspiel: „Ich freue mich, wieder dabei zu sein“, begrüßte der Ehrenbürger der Stadt Sundern seine Zuhörer. Viele Bekannte und frühe Wegbegleiter waren am Montagabend unter den rund 70 Gästen im Sunderner HofCafé, wo Franz Müntefering sein neues Buch „Unterwegs: Älterwerden in dieser Zeit“ vorstellte. Eingeladen hatten die VHS Arnsberg/Sundern, der Seniorenbeirat Sunderns, der Förderverein Stadtbibliothek Sundern e.V. und die AG 60plus der SPD.
Facettenreich und kurzweilig, kritisch und zugleich unbeschwert war er, dieser Abend im HofCafé: Müntefering las Ausschnitte aus dem Buch, er schilderte persönliche Erinnerungen, gab Statements ab zu Politik und Gesellschaft und beantwortete anschaulich wie pointiert die Fragen des Moderators Klaus-Rainer Willeke (VHS) und seiner Zuhörer. Und zeigte so: Sein neues Buch ist keine bloße Geschichte des Älterwerdens, will kein Ratgeber sein, der sagt, wie’s richtig funktioniert: In acht Kapiteln vereint es Autobiografie und Zeitgeschichte, eine Philosophie des Alterns und eine kritische Analyse von Gesellschaft und Politik. Und regt so zum Nachdenken an, ohne belehrend daherzukommen.
Auch am Montagabend sprach der ehemalige Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland und ehemalige Vorsitzende der SPD neben dem guten Altern und dem würdigen Sterben aktuelle gesellschaftliche Themen wie Nachhaltigkeit, Generationengerechtigkeit und die Zukunft der europäischen Demokratie an. Er erinnerte sich mitunter sehr bildhaft an seine Kindheit im Nachkriegsdeutschland und den Weg in die Sozialdemokratie und las Zitate seiner Lieblingsaphoristiker.
Auf die Frage, ob er sich alt fühle, konterte der 79-Jährige: „Ich fühle mich nicht alt, ich bin alt!“ Er möge diesen Trend nicht, sich jünger fühlen zu sollen. Warum auch, alt zu sein habe schließlich Vorteile: „Die Alten sind die Zeitreichen. Sie haben Zeit für Bewegung, für Engagement, für soziale Kontakte.“ Zu laufen, zu leben, zu lachen – das ist Münteferings Patentrezept fürs Alter und seine Antwort auf das größte Problem des Älterwerdens: die Einsamkeit. Als Leiter der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen (BAGSO e.V.), die sich als Lobby der älteren Menschen in Deutschland versteht, weiß er, wovon er spricht.
Aber nicht nur das persönliche Glück dürfe im Fokus der Älteren stehen. „Wir müssen uns auch fragen, wie wir morgen und übermorgen leben wollen: Welche Welt hinterlassen wir unseren Kindern?“ Unterwegs zu sein bedeutet für ihn, Verantwortung zu übernehmen. Nicht nur das eigene Leben bewusst zu gestalten, sondern sich aktiv einzubringen, um die Welt sozial, ökologisch und ökonomisch gut zu gestalten. „Europa ist da bei allen Problemen eine der wenigen Hoffnungen, dass wir die großen globalen Herausforderungen meistern können“, zeigte sich Müntefering überzeugt. Optimistisch sei er nicht, aber zuversichtlich, dass es genug Menschen gibt, die an der Lösung dieser drängenden Probleme mitwirken wollen.
Ein ausführliches Interview mit Franz Müntefering zu seinem Buch und zum Sauerland finden Sie in den Sommer-WOLL-Ausgabe Arnsberg/Sundern und Schmallenberg/Eslohe, die in Kürze erscheinen.
Fotos (VHS)