Literaturland Sauerland: vier neue Bücher

Wenn das Lesen fesselnd wird

von Jens Feldmann
Vielleicht werden Sie in diesem Frühling ja mit einem der Bücher, die wir Ihnen hier vorstellen wollen, an einem schönen Nachmittag in den ersten wärmenden Sonnenstrahlen an einem See sitzen und sich in aller Muße dem Lesen hingeben. Und vielleicht ist dieser See eine Talsperre, möglicherweise gar der Biggesee … Das wäre ein schöner, passender Umstand, denn gleich zwei der Bücher erzählen davon, was das Wasser der uns oft wie natürlich gegeben erscheinenden Stauseen unter sich birgt: die Geschichte und die Geschichten vieler Menschen …

Wenn das Wasser trügerische Idyllen begräbt

Das Sauerland und seine zahlreichen Talsperren war offenbar eine sprudelnde Inspirationsquelle für den Richter a. D. und emeritierten Jura-Professor Jos F. Mehring, der mit „Niemand hat die Absicht“ seinen ersten Roman veröffentlicht hat. Wer sich halbwegs in deutsch-deutscher Geschichte auskennt, der wird den Wortlaut des Titels ohne große Probleme dem damaligen DDR-Staats- und Parteichef Walter Ulbricht zuordnen können, der sie im Jahre 1961 um „eine Mauer zu errichten“ erweiterte. Die Wahrheit zeigte sich gerade einmal zwei Monate später … Diese gewichtigen Worte fallen in Mehrings Romandebüt
zeitgleich zu jenen Ulbrichts auch im Sauerland, genauer gesagt in der (fiktiven) Gemeinde Malve, wo Bürgermeister Heinrich Kollmann wie ein kleiner Sonnenkönig herrscht und auf seinem gutgehenden Hof samt Vorzeigefamilie ein zufriedenes Leben führt. Das Glück aber zerrinnt ihm in den Händen, privat, aber gerade auch als geachteter Vorsteher der Gemeinde, denn ein von der Landesregierung in Düsseldorf geplanter Talsperrenbau soll das Malver Idyll unter Wasserfluten begraben. Kollmann flüchtet: in einen kleinen Kotten nahe seines geliebten Dorfes, ins innere Asyl, in Schweigen und philosophische Träume. Eine Geschichte mit herrlich tragikomischen Zügen, voller Sprachwitz und Melancholie. Eine Mischung, die offenbar bestens ankommt, denn der Roman ist bereits kurz nach Erscheinen in die zweite Auflage gegangen.

Ein See, drei Frauenschicksale und ein Stück Zeitgeschichte

Als die Endzwanzigerin Luca aus ihrem nicht ganz unkomplizierten Leben in Berlin in ihre Sauerländer Heimat zurückkehrt, ist der Anlass dazu beunruhigend: Ihre Mutter ist verschwunden.
Gerüchte machen die Runde: Ist sie wie einst die „Ronne-Marie“ freiwillig ins Wasser des Ronnetal-Sees gegangen?! Das Verschwinden ihrer Mutter ist Auslöser für eine Spurensuche, die sowohl in die Geschichte ihrer Familie als auch in die des Ortes Ronnbach führt und Luca bald erkennen lässt, dass beide Geschichten über manch wohlgehütetes Geheimnis eng miteinander verwoben sind. Spannungen und Brüche scheinen allgegenwärtig: zwischen den Menschen, zwischen dem alten, in den Sechzigerjahren in den Fluten der Talsperre versunkenen Ronnbach und dem neuen, in höherer Lage angelegten Ort. Luca hat auf der Suche nach ihrer Mutter ein Kapitel aufgeschlagen, das Fragen über Fragen aufwirft …
Henriette Dykerhoff erzählt in ihrem ebenso eigenwillig wie berührend geschriebenen Debüt-Roman zugleich auch ein faszinierend aufbereitetes Stück Zeitgeschichte, denn die Parallelen zwischen fiktivem Ronnbachtal und realem Biggetal fallen ins Auge und machen den ganz eigenen Reiz der Geschichte aus.

Wenn das Leben das Wiederaufstehen nach dem Hinfallen verlangt …

Gewissermaßen über den Stausee lässt sich auch der Brückenschlag zu Linda Strahlenbach vollziehen, deren schriftstellerisches Debüt Anfang 2018 zunächst über BoD erschienen ist und nun im WOLL-Verlag neu aufgelegt wird. Linda Strahlenbach kommt aus dem kleinen Dörfchen Fohrt bei Drolshagen, gerade einmal etwas mehr als sechs Kilometer vom Biggesee entfernt. „Wie sagt Papa immer? Eins nach dem anderen“ ist der Titel des Buchs, in dem die junge Werkzeugmechanikerin die schwierige Zeit beschreibt, die sie nach einem schweren Arbeitsunfall zu meistern hat: ein Marathon an Operationen, endlos erscheinende Wochen in einer Frankfurter Klinik, ein unablässiges Auf und Ab der Emotionen, ein beständiger Wechsel von Zuversicht und Niedergeschlagenheit. In all dem reift in der jungen Frau irgendwann der Entschluss, diese Erfahrungen teilen zu wollen. Linda Strahlenbach will zeigen, wie wichtig das Wiederaufstehen ist, das Annehmen von Veränderungen, das Durch- und Überstehen von allem Schwierigen, um letzten Endes das Gute schätzen und für sein Leben nutzen zu können. Das Buch führt nahe an all das Widersprüchliche heran, das sie hat aushalten müssen und das einen wichtigen Teil ihres Erwachsenwerdens ausgemacht hat. Eine wahre Mutmacher-Geschichte!

Auf politisch tückischem Parkett zur Zeit des Alten Fritz

Als Gegenteil eines literarischen Debüts kann man ein Buch bezeichnen, auf das man derzeit nur hinweisen kann, welches sich Freunde historischer Romane jedoch schon mal vormerken sollten. Der in London lebende und aus Soest stammende Dr. Gerhard Behrens ist nicht nur als Gerichtsassessor, an der Hamburger Universität in Doktorwürden oder auch für die Regierung der Bundesrepublik tätig gewesen, sondern ist nicht zuletzt auch ein versierter Krimi-Autor. Vier englischsprachige Kriminalromane hat er bislang veröffentlicht, von denen drei in dem emeritierten und detektivisch ambitionierten deutschen Professor Rietberg ihre Hauptfigur haben. Für seinen ersten deutschsprachigen Roman hat Behrens seinen Helden hingegen in ferner Vergangenheit gefunden: Christoph von Benkendorff aus Sassendorf bei Soest, Offizier in Diensten seiner Majestät Friedrich II. von Preußen. Für seinen König ist dieser von Benckendorff nach Ende des Zweiten Schlesischen Krieges (1744/45) in streng geheimer Mission in Soest unterwegs, soll Beweise finden, dass der Rat der Stadt dem König den Gehorsam verweigert. Ein gefährlich glattes Terrain für den jungen Offi zier, das so manche kriminalistische Herausforderung bereithält …
Gerhard Behrens hat diese spannenden Kriminalgeschichte aus dem 18. Jahrhundert in Form eines fiktiven Lebensberichts verfasst und dürfte nun sicherlich auf dem Merkzettel von so manchem Krimi-Fan stehen. Die Veröffentlichung im WOLL-Verlag ist vorgesehen für das Frühjahr 2019.
Die WOLL-Redaktion wünscht beste Leseunterhaltung!