Tyskerbarn – Deutschenkinder als Kinder der Schande

Im Sommer 2015 haben wir im WOLL-Magazin die ungewöhnliche Lebensgeschichte der Sigrun Gjedre Arefjord aus Norwegen vorgestellt. Wir trafen sie im Garten von Mia Sommer aus Eslohe-Bremke. In diesen Tagen kommt eine Nachricht aus Norwegen, die auch für Sigrun Gjedre Arefjord, deren leiblicher Vater aus Eslohe-Frielinghausen stammte, erfreulich ist.

Mehr als 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges hat sich Norwegen offiziell dafür entschuldigt, wie Frauen behandelt wurden, die sich mit einem deutschen Soldaten eingelassen hatten. Nun endet das jahrzehntelange Schweigen der Regierung. „Die norwegischen Behörden haben den Grundprinzipien des Rechtsstaats zuwidergehandelt. Kein Bürger darf ohne Urteil oder Gesetz verurteilt werden“, sagte Minsterpräsidentin Erna Stolberg dieser Tage.
Schätzungen zufolge hatten während der deutschen Besatzung von 1940 bis 1945 bis zu 50.000 Norwegerinnen ein Liebesverhältnis zu einem deutschen Soldaten. Rund 12.000 Kinder mit deutsch-norwegischen Eltern wurden in dieser Zeit registriert.
Nach dem Krieg wurden die Frauen als „Tyskerjenter“ (etwa: Deutschenmädchen) beschimpft. Tausende wurden öffentlich misshandelt, kahlgeschoren und interniert. Sie verloren ihre norwegische Staatsbürgerschaft und wurden außer Landes geschickt.
Stolberg räume ein, dass die Entschuldigung sehr spät komme. Die meisten dieser Frauen leben inzwischen nicht mehr. Grund sei, dass es lange gedauert habe, bis jemand die Geschichte der Betroffenen erzählen wollte. Erst in den vergangenen Jahren sei das ganze Ausmaß ihres Schicksals bekannt geworden.
Quelle: n-tv.de

Und das war unser Beitrag im WOLL-Magazin im Sommer 2015.

Von Hermann-J. Hoffe

Tyskerjenter

Sigrun Gjedre Arefjord (links) im Garten von Mia Sommer aus Bremke an einem heißen Sommertag im Jahre 2015.


Es ist eine ungewöhnliche Lebensgeschichte, die uns Sigrun Gjedre Arefjord im Garten von Mia Sommer aus Bremke an einem heißen Sommertag erzählt. Eine Geschichte, die 70 Jahre nach dem Kriegsende berührt und betroffen macht und erahnen lässt, welche schrecklichen Wunden und Spuren dieser Krieg und ein Krieg überhaupt hinterlässt. Die Geschichte macht aber auch Hoffnung. Zeigt sie doch, dass durch ehrliche Kommunikation und aufrichtige Anteilnahme und Verständnis Versöhnung möglich ist.
Sommer 1943. Sigrun Gjedre Arefjord erblickt am 1. Juni in Klekken, Norwegen, das Licht der Welt. Die Mutter ist Norwegerin. Der Vater ist ein deutscher Wehrmachtssoldat, Gustav Püttmann aus Frielinghausen. Sigrun kommt sofort in den deutschen Kindergarten der Lebensborn-Mütterhilfe in Klekken, Oslo. Mit dem Kriegsende verlassen nicht nur die deutschen Soldaten das Land. Auch die deutschen Kindergärten werden geschlossen. Sigrun kommt in einen norwegischen Kindergarten. Die Mutter will keinen Kontakt zum „Kind der Schande“, wie es damals in Norwegen hieß. Der Vater ist weit weg in Deutschland. 1949 kommt Sigrun zu Pflegeeltern und wird von diesen adoptiert. Der Vater in Deutschland will das Kind nach Deutschland holen, scheitert aber an den seinerzeitigen gesetzlichen Rahmenbedingungen.
Mit 20 Jahren will Sigrun wissen, wer ihre leiblichen Eltern sind. Zunächst bekommt sie weder Auskunft noch Hilfe bei der Suche nach ihren biologischen Eltern, wie sie heute betont. Als sie 21 und damit volljährig ist, setzt sie alle Hebel in Bewegung, um Namen und Herkunft der Eltern zu erfahren. Die Mutter will mit ihrem Kind keinen Kontakt. Der Makel, ein Kind aus der Beziehung mit einem deutschen Soldaten, zu haben, sitzt zu tief. Sigrun heiratet und wird selbst Mutter von drei Kindern: Mybritt, 38, selbst drei Kinder, Kjersti, 36, ein Kind, national erfolgreiche Schwimmerin und Nils Rüben, 34, ein Kind. Die Sehnsucht nach der Wahrheit bleibt. Sigrun forscht immer wieder nach. 1992 hat sie über den Pfarrer von Eslohe herausbekommen, dass Gustav Püttmann aus Frielinghausen ihr Vater ist. Der ist allerdings schon 1960 verstorben und war kinderlos. Der Pfarrer vermittelt den Kontakt zu Mia Sommer aus Bremke, einer Cousine von Gustav Püttmann. Sigrun und Mia telefonieren. Sie verstehen sich aber nicht. Es bleibt das Versprechen: Ich schreibe dir. 1994 reisen Mia Sommer und ihr Sohn Willi nach Norwegen und besuchen die Verwandte. Seitdem finden regelmäßig Besuche in Norwegen und Deutschland statt. Sigrun will wissen und erfahren, wie und wer die Familie ihres Vaters ist. Sie fühlt sich, wie sie betont, eben auch etwas deutsch. Von der freundlichen ersten Begegnung bis heute wird nach und nach die geschichtliche und persönliche Vergangenheit aufgearbeitet. Diejenigen, die in das Geschehene und Erlebte eingeweiht werden, beginnen zu begreifen, welche schlimmen Einzelschicksale Krieg, Hass, Vertreibung und Unrecht mit sich bringen und Menschen vor unglaubliche Herausforderungen stellen. Durch Begegnungen und Gespräche und das gegenseitige Zuhören und Verstehen öffnen sich die Herzen und langsam und Verständnis und Versöhnung erobern das Zusammenleben.
In diesem Sommer war Sigrun wieder bei ihrer Verwandten Mia in Bremke und hat die Heimat ihres Vaters besucht. Wie immer stand ein ausgedehntes Ausflugsprogramm auf der Tagesordnung. Die deutsche Verwandtschaft zeigte Sigrun gerne die Heimat ihres Vaters. Für Sigrun ist das Sauerland inzwischen neben ihrer norwegischen Heimat zu einer vertrauten und liebgewonnenen zweiten Heimat geworden.
Informationen über „Tyskerbarn – Deutschenkinder. Kinder der Schande“ gibt es u.a. bei Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Tyskerbarn)