Der Herbst und die Folgen des Rekordsommers

Goldgelb wie die Sonne, goldgelb wie die Glut.

von Jens Feldmann
Eduard Mörike sieht einen „Septembermorgen“ im Jahre 1827 „in warmem Golde fließen“ und schnell hat man beim Lesen seiner Zeilen das prägende Bild dieser Jahreszeit vor Augen, das einen vom „goldenen Oktober“ oder vom „goldenen Herbst“ schwärmen lässt. Warum er uns golden erscheint? Ein Blick nach draußen bringt schnell Aufklärung, denn vieles in der Pflanzenwelt nimmt im Spätsommer und Herbst Farben an, die uns an Goldtöne erinnern, gerade im Sonnenschein. Die Laubwälder wandeln ihr Äußeres vom satten Grün in ein leuchtendes Gelb und auch viele Baumund Feldfrüchte glänzen goldgelb. Gerade Letzteres sagt uns: Herbstzeit ist Erntezeit. Und das im wortwörtlichen Sinne, denn das deutsche Wort „Herbst“ hat seinen Ursprung im lateinischen „carpere“, was „pflücken“ bedeutet und uns im englischen „Harvest“ wieder begegnet. Dort steht es für „Ernte“ und „Erntezeit“, womit das Wort „Herbst“ entsprechend wirklich gleichbedeutend mit „Erntezeit“ ist. Im Deutschen ist der „Herbst“ gleich auf die gesamte Jahreszeit übertragen worden – und darüber hinaus, wenn man an den „Herbst des Lebens“ oder den „Herbsttyp“ im Rahmen der Farbberatung denkt.

Verschobene Erntezeiten durch Rekordsommer

Das Bild des „goldenen Herbstes“ ist aber auch vom Licht der Sonne geprägt, das die typischen Herbstfarben in der Natur erst so richtig zum Leuchten bringt. Dann begegnen einem teils spektakuläre Farbenspiele, die mitunter an die Flammen eines Feuers erinnern; Impressionen, wie man sie vom nordamerikanischen „Indian Summer“ kennt. Oft denkt man auch an die Getreidefelder, die sich goldgelb im Wind wiegen, doch ist die Erntezeit von Gerste, Roggen, Weizen oder Hafer zwischen Juli und Mitte bis Ende August, im Hochsommer also. Eine Ausnahme unter den Getreidesorten ist der Mais, der sowohl als Silage-Mais als auch als Körner-Mais im Herbst, in den Monaten September und Oktober, geerntet wird. Im zurückliegenden, so sonnenreichen wie regenarmen Sommer aber haben sich die für die Bauern gewohnten Erntezeiten teils erheblich verschoben. Gerade die Getreideernte war in manchen Landesabschnitten von der sogenannten „Notreife“ bestimmt, wenn das Abreifen des Korns unter Stressbedingungen, wie sie eine andauernde Trockenperiode mit sich bringt, viel früher als gewöhnlich erfolgt. Die Folgen der ausbleibenden Niederschläge sieht man auch manchem Mais-Feld an, auf dem die eigentlich bis zu drei Meter hohen Pflanzen nur noch kümmerlich anmutende Größen erreichten und die Maiskolben entsprechend klein geblieben sind. Solche Pflanzen eigenen sich nahezu ausschließlich als Silage, als Tierfutter also, oder als sogenannter „Energiemais“, der zur Produktion von Biogas oder Bioethanol genutzt wird. Und selbst hier wirken sich die Ernteausfälle von bis zu 30 % aus. Ebenso geisterte für manchen Liebhaber frittierter Kartoffelstäbchen die Schreckensnachricht durch die Medien, dass kurz- bis mittelfristig mit der Produktion lediglich kurzer Pommes Frites gerechnet werden müsse, da die Kartoffeln als Folge der Dürre weitaus kleiner gewachsen seien als sonst. Je kleiner der Ernteertrag oder das Erntegut an sich, desto höher wird für uns Endverbraucher der Preis dafür ausfallen.

Gewinner und Verlierer

Dabei hat das Sauerland – im Verhältnis gesehen – noch Glück gehabt, denn laut Umweltforschungszentrum Helmholtz lässt sich hier von einer „schweren Dürre“ sprechen, wohingegen Länder wie Sachsen-Anhalt, Niedersachsen oder Thüringen zu großen Teilen von Dürre der Kategorien „extrem“ und „außergewöhnlich“ betroffen waren und sind. Immer aber bedeutet Dürre Einbuße in der Landwirtschaft. Ein weiterer Effekt: Überall, auch bei vielen Obst-Sorten, ist der Zeitpunkt der Ernte in diesem Jahr aus dem Herbst in Richtung Sommer gerückt.
Es gibt unter den Bauern aber auch Gewinner des so stabil sonnigen Sommers: Die meisten Obstbauern können mit reichen Erträgen rechnen. Was bereits bei den Erdbeeren zu merken war, wird sich auch bei Apfel, Kirsche und Pflaume zeigen. Die Früchte fallen wahrscheinlich etwas kleiner aus, dafür hängen die Zweige voll und die Früchte sind zudem süßer als sonst. Auch hier ist die Ernte längst angelaufen, so dass man eigentlich überlegen müsste, das Erntedankfest, das in Deutschland am ersten Sonntag nach St. Michaelis (29. September) gefeiert wird, vorzuziehen.
Das war natürlich mit einem ordentlichen Augenzwinkern gemeint. Blicken wir nun im Herbst auf diesen Sommer 2018 zurück, werden viele von einem Traum sprechen, vielleicht ebenso viele von einem Alptraum. Winzer erwarten mit Freuden einen Spitzen-Jahrgang an Weinen, Ernteausfälle von 50 Prozent bei vielen Getreidebauern lassen das Rufen nach staatlicher Hilfe zur Existenzsicherung laut werden. Wer unter der Hitze leidet, wird sich auf einen kühleren Herbst freuen, wer sich als Sonnenanbeter bezeichnen würde, wird sich mit glänzenden Augen an den Sommer erinnern. Selten hat man so deutlich sehen dürfen, wie grundverschieden die zwei Seiten einer Medaille sein können.

Auf einen warmen Herbst, folgt ein harter Winter

Vielleicht weit stärker noch als wir Damen und Herren „Ottonormalverbraucher“ schauen die Landwirte von einer Jahreszeit auf die sich anschließende, von einem Jahr auf das kommende. Und wem sind sie nicht schon mal begegnet, die „Bauernregeln“, mit denen aus aktuellen Wetterbeobachtungen mittelfristig Vorhersagen für zukünftige landwirtschaftlich bedeutsame Entwicklungen formuliert werden sollen. Unzählige Regeln gibt es und man könnte mal gespannt schauen, wie dieser Herbst meteorologisch ausfällt und was die Bauernregeln dazu sagen. Wie wäre es mit folgender: „Ist der Herbst warm und fein, kommt ein scharfer Winter rein.“ Sollten Sie jetzt die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, können Sie gerne nach einer für Sie angenehmeren Bauernregel suchen und uns vielleicht zur Frühlingsausgabe der WOLL wissen lassen, als wie verlässlich sich diese oder eine andere Wetterregel für Sie erwiesen hat. Jetzt aber genießen Sie erst einmal einen schönen Herbst – was auch immer Sie darunter verstehen mögen!