Elternbrief zur Digitalisierung

Neulich – irgendwo in Meschede
– lauschte ich ungewollt einem Gespräch zwischen einer Mutter und ihrem vielleicht 11-jährigem Sohn. Mir fiel auf, welch unsäglichen Ton der Sprössling gegenüber seiner Mutter anschlug. Meine Motivation stieg, dem Jaust mal ordentlich die Leviten zu lesen.
Dann siegte die Neugier. Hinter der Kakophonie aus kindlichem Comicdeutsch und einer erwachsenen Sprachlosigkeit erkannte ich die alltägliche Tragik. Der latenten Überforderung der Mutter über hiesige Busverbindungen begegnete der Emporkömmling mit eloquentem Wissen über Verbindungen zwischen Meschede und Brilon. Im Rahmen der gewöhnungsbedürftigen Unterhaltung war der Knabe lösungsorientierter als ich aufgrund seines Tonfalls vermuten durfte. Seine Lösungen schienen irgendwie aus seinem Smartphone zu stammen. Und so bot sich mir der Einblick in eine Konfliktsituation, wie sie sich in diesen Jahren ganz anders darstellt als zu Zeiten meiner Kindheit.
Der Jugendliche sah sich keiner überheblichen Basta-Ich-Erklär-Dir-Die-Welt-Rhethorik ausgesetzt. Ich wollte hoffen, dass die Mutter ein bestimmtes Verhalten des Zöglings einforderte. Doch nicht die Mutter bot Orientierung und setzte die Leitplanken. Der Grad an Beeinflussung, um die beste Lösung ging eigenartigerweise im Gefälle vom Kind aus. Abgesehen von dem fehlenden Respekt gegenüber seiner Mutter, hörte ich einen lösungsorientierten Jugendlichen, der im Streben nach Selbstschutz zwar ein dickes Ego zur Schau trug, aber doch seiner Mama helfen wollte, die bessere Entscheidung zu treffen.
Der Emporkömmling – soweit klar – lebt schon in (s)einer anderen Welt. Bewaffnet mit einem Smartphone und einem Gespür für die damit verbundenen Möglichkeiten, begegnete er dem Problembewusstsein seiner Mutter mit dem digitalen Werkzeug. Die Mutter wiederum wollte offenbar nicht, dass der Sohn ihr sagt, wo es lang geht. Obwohl damit das vorliegende Zeitproblem gelöst gewesen wäre.
Dieser junge Mann führt bereits sein ganz eigenes Leben. Weniger, weil er ein Smartphone besitzt, das ihn von sozialen Tugenden, Etikette und Respekt ablenkt. Es geht um gerade einmal eine Dekade Lebenserfahrung, die der Junge um ein vielfaches unabhängiger nutzt als meine Generation im gleichen Alter. Angeschlossen an die Welt, entfremdet von der analogen Realität der Mutter, mittendrin in der digitalen Gesellschaft.
Was passiert mit unseren Kindern? Immer früher hält das Digitale Zugang zum Kinderzimmer. Außer den artikulierten Sorgen sah ich an diesem Nachmittag noch die Chancen. Kinder finden eigene Wege. Sie nehmen ihr Leben früher selbst in die Hand. Vor allem, wenn sich die Altvorderen mit ihren eigenen Musterlösungen an einem Veto versuchen. Nein, das Internet erzieht keine Menschen und der dosierte Zugang zu Medien ist eine gute Empfehlung.

Wir staunen, wie agil unser Nachwuchs lernt, mit Medien umzugehen und fühlen uns im Defizit. Manchmal versuchen wir noch, die uns umgebende Technologie genau so gut zu verstehen, wie unsere Kids. Selten klappt das. Neue Werte erwachsen in unseren Kindern, weil es in der Natur exponentieller Entwicklungen liegt, dass der Diskurs nicht Schritt hält. Hier sind unsere Kinder gefragt. Sie verhandeln bereits die Welt von Morgen, die wir heute nicht mehr verstehen. Eltern sollten sich also auf das Besinnen, was sie jetzt leisten können.

Das Wesentliche ist, den kleinen Seelen viel menschliches Bewusstsein vorzuleben und mitzugeben. Die nachrückende Generation von heute sollte sich auf die Welt von Morgen bestmöglich vorbereitet fühlen, um diese aktiv gestalten zu wollen. Das Morgige passiv in digitaler Lethargie lediglich zu ertragen, weil unser Kinder zwar technologisch alle Möglichkeiten nutzen, diese aber nicht im Sinne eines guten Leben anzuwenden wissen, darf uns nicht passieren.
Ich hatte während meines Lauschangriffs zu keinem Zeitpunkt den Eindruck, dass der Junge sich als Opfer fühlt. Er bricht bereits aus und dafür erhält er meinen Segen und meinen Respekt. Selbstverständlich fehlen noch all die analogen Tugenden, die es braucht, um im Leben zu bestehen. In Zeiten des Digitalen Wandels, die in Ihrer Wirkung auch unsere Gesellschaft, unsere Kultur und unser Miteinander verändern, brauchen wir Kinder, die nicht alles aus der Vergangenheit übernehmen. Denn früher war nicht alles besser. Aber Morgen kann es gut werden. Zeigen wir unseren Kindern, wie man mit vorgelebten Tugenden und den neuen Möglichkeiten in Einklang kommt, damit unser Stolpern durch das Zeitalter digitaler Umbrüche bei unseren Kindern aussehen kann, als würden sie mit der Zukunft tanzen.
Text und Foto: Frank Stratmann
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