Der Meister der Uhren geht in Rente

Foto: Heidi Bücker

Anton Schröder und sein Jahrhundertwerk – filigran und anspruchsvoll

Er ist ein wenig traurig über die Entscheidung, das Geschäft endgültig zu schließen. Der 92-jährige Anton Schröder aus Bödefeld geht in den mehr als wohlverdienten Ruhestand. Vor wenigen Tagen hat er sein Uhren- und Schmuckgeschäft in der Alten Hansestraße in Bödefeld geschlossen.

In die Wiege gelegt

„Ob Uhrmacher zu werden mein Traumberuf ist, das hat damals keiner gefragt“, erinnert sich Anton Schröder. Von seinem Großvater wurde es ihm in die Wiege gelegt. Und sicherlich hat ihn als Kind auch geprägt, dass viele seiner Onkel ebenfalls Uhrmacher waren. Das Handwerk wurde damals von Meister zu Schüler weitergegeben und war besonders praxisorientiert. „Ich habe sehr viel zu Hause über diesen Beruf lernen können. Meine Ausbildung habe ich bei Sauer in Meschede abgeschlossen und dort später auch noch gearbeitet.“ Zur Berufsschule musste er nach Hagen, was damals einer halben Himmelfahrt gleichkam. Zunächst einmal aus Bödefeld wegzukommen, bedeutete frühes Aufstehen. Ganz frühes! Morgens um 2 Uhr trafen sich im Ort die Grubenarbeiter, die erst in Richtung Bad Fredeburg fuhren und von dort nach Ramsbeck, um ins dortige Erzbergwerk einzufahren. „Bei den Männern konnte ich bis Bad Fredeburg mitfahren und von dort mit der Eisenbahn entlang der Lennestrecke Richtung Hagen“, erinnert sich der Bödefelder. „Am frühen Abend ging es dann genauso wieder zurück.“ Heute weiß man: Wer damals eine Uhrmacherstelle antrat, der erlernte einen Beruf der Künste, der später auch als Kunsthandwerk bezeichnet wurde. Doch damals ging es vornehmlich ums Geldverdienen. „Mein Vater musste aufs Feld, der wurde gezwungenermaßen Landwirt. Obwohl mein Großvater bereits seit 1861 eine eigene Uhrmacherwerkstatt hatte“, erzählt Anton Schröder. Sein Elternhaus, wie viele weitere Häuser in Bödefeld, brannte kurz vor Ende des Krieges 1945 bis auf die Grundmauern nieder. „Wir standen vor dem Nichts. 200 Jahre einfach verbrannt“, berichtet der 92-Jährige lebhaft. „Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen, wie mein Vater versuchte, meine Mutter zu trösten, indem er den Dichter Friedrich von Schiller zitierte: ‚Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit, und neues Leben blüht aus den Ruinen‘.“ Worauf die Mutter von Anton antwortete: „Schiller was ne Sock und du bis og eine!“ (Schiller war ein Schwätzer und du bist auch einer). Stein für Stein wurde das Haus mühsam wieder aufgebaut und die Uhrmachertradition konnte im Hause Schröder wieder erblühen.

In guten wie in schlechten Zeiten

1950 machte Anton Schröder seinen Meister vor der Handwerkskammer in Arnsberg. Eigentlich sei Bödefeld nicht der geeignete Standort für ein Uhren- und Schmuckgeschäft gewesen. Dennoch hat er den Schritt in die Selbstständigkeit in seinem Heimatort nie bereut: „Es hat auch in schlechten Zeiten immer wieder ´ne Mark ‚gedröppelt‘, so dass wir über die Runden kommen konnten.“ Drei Mark kostete damals eine Reparatur. Das war eine Menge, wenn man überlegt, dass ein Maurer 50 Pfennig Stundenlohn bekam. Wem also die Uhr entzweiging, der hatte definitiv ein Problem. Aber irgendwie sind immer alle zu ihm gekommen. Gott sei Dank, denn die Ochsentour seines Großvaters hätte er nicht leisten können: „Mein Großvater ist damals über Land gezogen, hat die defekten Uhren eingesammelt, repariert, zurückgebracht und so sein Brot verdient.“ Der Schmuckverkauf allerdings hielt sich in Grenzen – zur damaligen Zeit alles Schmuckmuffel in Bödefeld!

Ein Kunsthandwerk auf dem Rückzug

Die Uhren aber konnte Anton Schröder alle reparieren. Ein dicker Katalog, voll mit den verschiedensten Ersatzteilen, ermöglichte ihm eine schnelle Bestellung, per Brief oder Telefon. Schließlich setzte sich fast jede Uhr aus ganz eigenen Bestandteilen zusammen, die sich nicht einfach untereinander austauschen ließen. Die heutige Zeit ließ Anton Schröder vielfach die Freude an seinem Handwerk verlieren, zu oft bekam er auf seine Anfragen nach Ersatzteilen die Antwort: ‚Nicht mehr lieferbar!‘ Viele Lieferanten hat er im Laufe seines Berufslebens kennengelernt, die mittlerweile fast alle verschwunden sind. Das Uhrmacherhandwerk ist auf dem Rückzug. Das macht ihn sehr traurig. Sein Herz schlägt für mechanische Uhren. Das sei wahre Handwerkskunst. Insbesondere Wartung, Pflege, Prüfung und Fehlersuche – das war immer seine Leidenschaft. Das Aufkommen der Quarzuhr hat jedoch viel kaputt gemacht. Wenn die nicht lief oder die Batterie leer war, wurde sie einfach weggeworfen und eine neue gekauft. Die bekam man ja mitunter schon für weniger als fünf Mark. So einfach war das. „Schlimm ist das!“, meint Anton Schröder. Er weiß, dass handwerklich aufwändige Uhren im Grunde immer schon echte Luxusprodukte waren. Früher wie heute. „Wer viel Geld für eine Uhr ausgibt, der hat es auch gut über“, schmunzelt Schröder. Die Kundschaft für Luxusuhren hatte er in Bödefeld allerdings nie. Er erinnert sich an einen Kunden, der eine teure, aber völlig verrostete Armbanduhr zur
Reparatur brachte. „Das war eine echte Herausforderung. Ich musste sie komplett zerlegen. Von der Schweizer Uhrenfirma habe ich mir damals die Zeichnungen schicken lassen und alles wieder in Schwung gebracht“, freut sich der Uhrmachermeister. Dass dieser Auftrag aber nur ein paar Mark Umsatz gebracht hat, ärgert ihn nicht. So war das damals eben. Hauptsache sie, lief wieder. Die Uhren mit den Leuchtzeigern kamen ihm dagegen gar nicht erst ins Haus. Da wurde offensichtlich mit Radioaktivität gearbeitet, das war ihm nicht geheuer.
Auch heute noch sind die Schweizer für ihn die Uhren-Macher schlechthin. Viele Marken zählt er auf, die weltweit ein passendes Handgelenk mit dem entsprechenden Portemonnaie gefunden haben. Seine Lieblingsuhr ist und bleibt die „El Primero“ von Zenith, einem Hersteller von Schweizer Uhren und Luxus-Chronographen der Spitzenklasse: „Die war damals schon viel teurer als eine Rolex. Für mich aber wird sie ein Traum bleiben. Die konnte ich mir nie leisten.“ Dass das Uhrmacherhandwerk auf dem Rückzug ist, stimmt ihn sehr nachdenklich. Wer heute die Uhrzeit wissen will, schaut auf sein Handy. Und so hat Anton Schröder mit nunmehr 92 Jahren einen Schlussstrich gezogen: „Meine Hände und meine Augen sind in meinem hohen Alter für diese filigrane und anspruchsvolle Arbeit zwar noch zu gebrauchen, aber irgendwann muss ja mal Schluss sein.“
von Kerstin Thielemeier