Bauch Beine Po

Nuttlarer Frauen trainieren seit fünf Jahrzehnten

Erinnern Sie sich an das Frühjahr 1970? Sicher, das ist lange her. Die Welt war noch ganz fasziniert von den beiden kurz zuvor erfolgten Mondlandungen, die Fans der Beatles hatten deren Trennung zu beklagen und Bundeskanzler Willy Brandt bemühte sich um Entspannung mit der DDR. Aus den Radios hörte man Schlager von Michael Holm, Roy Black oder dem jungen Howard Carpendale mit seinem Gassenhauer „Das schöne Mädchen von Seite 1“.
Ebenfalls zu dieser Zeit wurde deutschlandweit die Trimm-dich-Bewegung ins Leben gerufen. Krankenkassen und der Deutsche Sportbund wollten die in den Zeiten des Wirtschaftswunders träger gewordenen Bundesbürger aufrütteln und zum Ausdauertraining motivieren. Ob diese Kampagne den Anstoß dazu gab, dass ziemlich zeitgleich in Nuttlar eine Frauen-Gymnastikgruppe ins Leben gerufen wurde, lässt sich heute nicht mehr eindeutig klären. Als sicher gilt jedoch, dass sich Frau Eichhorn von der Firma Schneider seinerzeit sehr um die Gründung bemüht hatte und ihre Kontakte zur Mescheder Sportlehrerin Margarete Rennefeld nutzte, um diese als Übungsleiterin für die neue Abteilung des TuS Nuttlar zu gewinnen. Um es vorwegzunehmen: Die Damen turnen noch heute! Ein Grund für WOLL, hier mal nachzusehen und mit den in die Jahre gekommenen Damen zu sprechen.
Ich war auch zuvor schon gern in Bewegung und bin viel gewandert. Aber als es nun hieß, dass eine Gymnastikgruppe entstehen würde, war für mich klar, dass ich dabei sein will“, erinnert sich Gründungsmitglied Luise Dünschede. So ging es auch anderen Damen des Ortes. Die wenige Jahre zuvor an die Schützenhalle angebaute Sporthalle war proppenvoll gefüllt mit rund 100 jungen Damen, die von Frau Rennefeld ordentlich „gescheucht“ wurden. „Das war kein Kaffeekränzchen“, erinnert man sich. „Wir mussten so lange im Entengang „watscheln“, bis wir tagelang Muskelkater hatten.“ Da trennte sich schnell die Spreu vom Weizen, und bereits im Sommer hatte sich der Kreis der Turn-Ladies auf circa 30 reduziert. „Aber dieser harte Kern blieb dann jahrzehntelang dabei“, erzählte uns Margarete Rennefeld.
Heute sind die Damen um die 80 – und sie sind stolz auf ihre Fitness. Jeden Dienstag treffen sie sich noch am selben Ort, um ihre Übungen zu absolvieren. „Gretchen“, wie Frau Rennefeld liebevoll genannt wird, ist mit ihren 86 Jahren die älteste ihres Teams; die jüngste „Nachrückerin“ ist 66. Von den Turnerinnen der allerersten Stunde sind noch rund 10 dabei. Anlässlich unseres Besuchs ist die Stimmung euphorisch: „Mein Sohn hat gesagt, dass wir es wirklich verdient haben, dass über uns berichtet wird“, sagt Luise. Recht hat er, finden wir.
Die Damen laufen im Kreis und machen gleichzeitig Konzentrationsübungen mit ihren Fingern. Danach wird uns der perfekte V-Step vorgeführt. Alle machen mit! Jetzt geht’s auf die Matten. Liegend und mit angewinkelten Knien trainieren Renate, Christa, Anne, Helene, Resi & Co. Übungen für Bauch – Beine – Po und lassen ihre Becken kreisen. Marlies hatte zuvor eine CD von Elton John eingelegt. Mit Musik geht alles besser, woll?
Nanni erzählt uns nebenbei, dass frau heutzutage auch mal bei einer der Übungen aussetzen darf, wenn zum Beispiel das Knie nicht mehr so mitmacht. Und wer es beim Sitzen nicht mehr schafft, die Füße bei ausgestreckten Beinen mit den Händen zu erreichen, darf gern ein Seilchen zur Hilfe nehmen. Trotzdem – alle Achtung!
Die wöchentliche Übungszeit dauert 90 Minuten, und langsam nähern wir uns dem Schluss. Doch zuvor stehen noch einige Reaktionsspiele auf dem Programm. Beim Hin- und Herwerfen von kleinen Säckchen will ich mich nicht lumpen lassen und mache kurzentschlossen mit. Was soll ich Ihnen sagen, liebe Leser? Ich musste mich ordentlich ins Zeug schmeißen, um mithalten zu können. Nur gut, dass viel Spaß im Spiel war. Mit einem herzlichen Lachen wird der Übungsabend beendet.

Es hat sich inzwischen so eingespielt, dass wir nach dem Sport immer noch in die Dorfkneipe gehen“, erzählen Marianne und Christa. Und heute dürfen wir mitkommen. Beim gepflegten Pils oder Radler erzählt man uns dann, wie glücklich sie alle sind, dieser Gemeinschaft anzugehören. „Es geht ja nicht nur um den Sport“, so Luise. „Wir haben immer auch viele sonstige Aktivitäten miteinander unternommen.“ Sie hat Fotos aus all den Jahren verwahrt, z. B. von Ausflügen zu Sportfesten in Berlin, Dortmund oder München, bei denen die ganze Gruppe im einheitlichen Outfit auftrat und mit Übungen wie der Sauerländischen Quadrille begeisterte. „Aber auch das Kartoffelbraten im Herbst, Radtouren oder die Fahrten zum Weihnachtsmarkt waren immer Tradition bei uns“, berichtet sie. „Rund die Hälfte der Damen ist inzwischen verwitwet. Da hilft der Zusammenhang der Gruppe natürlich immens“, erzählt Nanni. „Hier wird man wieder aufgebaut, nicht nur unter sportlichen Aspekten.“

Der Wirt bringt die nächsten Getränke, während wir uns verabschieden. Mit einem Grinsen im Gesicht nehmen wir uns vor, uns wieder mehr um unsere eigene Fitness zu kümmern. Von nichts kommt nichts.

Wir wissen natürlich nicht, ob Howard Carpendale diese WOLL-Ausgabe liest, aber falls ja, so könnten wir uns vorstellen, dass er sein Lied vielleicht umdichtet und von den „Fitten Ladies auf Seite 86″ singt. Dass sie es verdient hätten, davon ist sicherlich nicht nur Luises Sohn überzeugt.
Text: Britta Melgert
Fotos: S. Droste

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