Vom Bürgermeister zum Regierungspräsidenten

Zwölf Fragen auf der WOLL-Bank

„Große Chance, das Sauerland zu stärken und mit dem neuen Ruhrgebiet zusammenzuführen“
Es war der Paukenschlag der letzten Wochen im Sauerland. Arnsbergs Bürgermeister Hans-Josef Vogel wird zum 1. September Regierungspräsident von Arnsberg. Ein knappes Vierteljahrhundert war der 61-Jährige zunächst Stadtdirektor und danach hauptamtlicher Bürgermeister. Auf der WOLL-Bank fühlte sich Vogel wohl und beantwortete zwölf Fragen von WOLL-Herausgeber Hermann-J. Hoffe und Woll-Redakteur Paul Senske. Vogel machte dabei aus seinem Herzen keine Mördergrube. „Der Abschied tut weh, aber ich bleibe in der Stadt und ihr sowie der Region weiterhin verbunden“, sagte Vogel. In seiner neuen Aufgabe sieht er die Chance, das Sauer- und das Siegerland, also auch Südwestfalen, zu stärken und diese Region mit dem „neuen Ruhrgebiet“ zusammenzuführen. Zudem gestand BVB-Fan Vogel: „Ich bin von Kindesbeinen an Borusse. Das bleibe ich auch als Regierungspräsident.“
WOLL: Herr Vogel, wie fühlen Sie sich persönlich mit dem Wechsel vom Bürgermeister zum Regierungspräsidenten?
Hans-Josef Vogel:
Auf der einen Seite bedeutet es für mich persönlich, Abschied zu nehmen von tollen Mitarbeitern und vielen Menschen, mit denen ich in den Vereinen, in den Betrieben und in der Stadt zusammengearbeitet habe. Abschied nehmen tut weh und das merke ich auch. Auf der anderen Seite ist es aber eine große Chance. Denn ich kann das, was ich als Bürgermeister gelernt habe, beispielsweise, was die einzelnen Stärken der Städte sind, jetzt auf eine Landesverwaltung übertragen. Man kann es nicht eins zu eins übertragen, sondern es geht vielmehr darum, dieses Denken gemeinsam mit anderen neu zu definieren und der Region zur Verfügung zu stellen.
WOLL: Was bedeutet es, dass ein Arnsberger in Arnsberg Regierungspräsident wird – für Sie persönlich und vor allem für die Region?
Hans-Josef Vogel: Das war genau das, was den Abschied einfacher gemacht hat. Ich bleibe in der Stadt und bleibe der Stadt und der Region Arnsberg verbunden. Es ist eine glückliche Fügung, dass ich praktisch nur in ein anderes Gebäude ziehe. Das Zweite ist, dass das Sauer- und das Siegerland und ganz Südwestfalen in der Vergangenheit oft von den Interessen des Ruhrgebietes dominiert worden sind. Das Ruhrgebiet hat, das sehe ich anders als viele, einen großartigen Job im Strukturwandel gemacht. Wenn Sie Dortmund heute betrachten, dann sehen Sie eine klasse Umwandlung. Die regionale Verwurzelung, die ich im Sauerland und in Südwestfalen habe, ist eine Garantie dafür, dass wir diese Region, die lange Zeit ein Schattendasein geführt hat, auch in der Landespolitik stärken können. Unsere mittelständische Industrieregion können wir mit dem neuen Ruhrgebiet zusammenführen. Es ist das Ruhrgebiet der Wissenschaften, der Forschung und der Bildung. Eine Aufgabe wird sein, diese Stärken miteinander zu verbinden und diesen Regierungsbezirk als das zu positionieren, was er ist: eine der ganz wichtigen europäischen Regionen, mitten im Herzen von Europa. Diese Region ist erfahren in Integration und Wandel. Wir müssen gemeinsam herausfinden, wie es weitergehen wird. Was passiert, wenn die letzte Zeche geschlossen wird? Was sind die neuen Zechen? Vieles kennen wir noch gar nicht. Beispielsweise die ganzen Möglichkeiten, die uns die Digitalisierung bietet. Diese Chancen zu nutzen und sie mit Verwurzelung und Heimat zu verbinden, das ist eine große Herausforderung und eine große Chance.
WOLL: Man wird nicht Regierungspräsident, weil man es geplant hat. Es war vielmehr ein Wunsch der Parteien, dass mal wieder jemand aus der Region und aus dem Sauerland diese Position übernimmt. Wie haben Sie die Neuigkeit überhaupt erfahren?
Hans-Josef Vogel: Der Ministerpräsident hat mich zunächst gefragt. Bei solchen Fragen muss man sich schnell entscheiden und man hat nur eine kurze Bedenkzeit. Denn die Personalentscheidungen müssen bis zu bestimmten Terminen getroffen werden. Ich habe es mir gemeinsam mit meiner Frau überlegt und dann zugesagt.
WOLL: Wann haben Sie davon erfahren?
Hans-Josef Vogel:
Die Entscheidung fiel am Dienstag (Anm. der Redaktion: 4. Juli) im Kabinett. Endgültig hätte ich noch bis Montagabend absagen können. Wir haben noch mal am Montag miteinander telefoniert und uns vergewissert, dass wir es so machen wollen. Der Ministerpräsident hat die Entscheidung meiner Meinung nach auch gut begründet. Es hat mich überzeugt, wo er wichtige Aufgaben für mich sieht. Ich habe, ähnlich wie der Ministerpräsident, eine bestimmte Nähe zu Fragen der Integration und auch unser Stil ähnelt sich. Vor allem bleibt es jedoch auch die gemeinsame Region, in der ich die Hauptzeit meines Lebens gelebt habe und für die ich weiterhin arbeiten darf.
 WOLL: Wie haben Ihre Bürgermeisterkollegen auf die Entscheidung reagiert?
Hans-Josef Vogel:
Ich habe sehr viele Briefe bekommen und viel Zustimmung erfahren. Viele sagen: Endlich mal wieder ein Kommunaler, der diese Aufgabe übernimmt. Die Kommunen sind die natürlichen Bündnispartner der Bezirksregierung. Mir wird es auch darum gehen, den Städten, Gemeinden und den Landkreisen das Leben, das sie verantworten, und die Arbeit, die sie machen, einfacher zu gestalten. Da müssen bestimmte Vorschriften weg. Das kann man nicht nur als Einzelner machen. Wir müssen uns gemeinsam überlegen, wo und wie man gewisse Dinge vereinfachen kann, um schneller und besser zu werden. Diesen Gedanken nehme ich aus der digitalen Technik, denn sie wird unser Leben einfacher machen. Wir müssen das tun, was den Kommunen, den Initiativen und den Unternehmen die eigene Arbeit einfacher macht. Das wird ein Schwerpunkt sein.
 WOLL: Die Preußen haben vor 201 Jahren den Regierungsbezirk nach Arnsberg gelegt. Das war eine preußische Verordnung. Wie viel Preußisches steckt in dem ehemaligen Bürgermeister Hans-Josef Vogel als Regierungspräsident?
Hans-Josef Vogel:
Da gibt es bei mir zwei Vorstellungen. Auf der einen Seite ein Vorurteil und der Vorsatz, bloß nicht preußisch zu werden. Auf der anderen Seite weiß ich auch, dass die Preußen eine erhebliche Entwicklungsarbeit insbesondere im Sauer- und Siegerland, aber auch in ganz Südwestfalen, geleistet haben. Die Region war in vielen Bereichen zurückgeblieben, was Verkehrswege und Infrastruktur, Einrichtungen der Wirtschaft und der Bildung angeht. Dann kamen die ersten großen Industriepioniere in unsere Stadt. Wir wurden Industriestadt und Industrieregion. Das musste gestaltet werden und es hat damals schon ein interessantes Bündnis gegeben. Diese Pioniere kamen aus den Betrieben und haben bestimmte Sachen in der Stadt auch mitfinanziert. Es war die Verbindung zwischen Investition, Technik und Region. Es sind immer wieder die gleichen Themen. Ich zitiere gerne das Beispiel von Albert Einstein, der als Flüchtling nach Princeton gegangen ist und immer noch, obwohl er sehr anerkannt war, Aufsicht bei Klausuren geführt hat. Bei einer der Klausuren zeigte ein Student auf und sagte: „Herr Professor Einstein, das sind ja die gleichen Fragen wie im letzten Jahr.“ Daraufhin antwortete Einstein: „Ja, aber die Antworten sind anders.“ Das heißt, wir haben immer die gleichen Fragestellungen: Was dient den Menschen? Was dient dem Zuhause? Was dient einem guten Leben, auch einem Leben mit Arbeit und Kultur? Die Antworten ändern sich. Wir sind jetzt in einer Situation, wo wir nach neuen Antworten suchen müssen.
 WOLL: Wäre der Regierungssitz nach Hamm und nicht nach Arnsberg gekommen, wäre das Sauerland dann nicht so fortgeschritten, wie es heute ist?
Hans-Josef Vogel:
Ja, natürlich. Preußen hat damals bewusst den Sitz nach Arnsberg gelegt, um diese Region zu entwickeln. Städte wie Hamm, Dortmund und Bochum waren zu dieser Zeit im industriellen Aufbruch schon ein Stück weiter. Im Sauerland ging es darum, die Infrastrukturen erst einmal zu schaffen. Deswegen haben die Preußen sich für Arnsberg entschieden, um mitten in der Region zu sein. Wir müssen die Trennung im Kopf, zwischen urbanen und ländlichen Räumen, aufheben. Das Kriterium ist nicht mehr ländlich oder urban, denn auch das Land ist heute vom Denken der Menschen her sehr urban. In Arnsberg leben Menschen aus 110 Nationen. Das hat es vor 30 Jahren noch nicht gegeben. Wir müssen die Stärken der unterschiedlichen Räume miteinander verbinden. Wir arbeiten heute mit Vielfalt. Die Menschen sind so vielfältig wie noch nie. Aus Vielfalt Gemeinsamkeit zu schöpfen, ist sehr anstrengend, aber auch sehr gewinnbringend. Die Vielfalt dieser Region ist beeindruckend.
 WOLL: Diese Vielfältigkeit drückt sich auch dadurch aus, dass in unserer Region starke sportliche und kulturelle Schwerpunkte liegen. Sie kann sicherlich noch den einen oder anderen Impuls gebrauchen beziehungsweise ihn noch stärker herausstellen. Eine Regionalliga-Mannschaft aus dem Sauerland wäre sicherlich auch ein Ziel, um nicht nur den Bundesligaverein in der Region zu haben.
Hans-Josef Vogel: Man sieht es am Beispiel Aue. Mit dem Zweitligisten Aue redet man über das Erzgebirge. Aber auch wir im Sauerland haben europäische Veranstaltungen von Bedeutung. Ein Beispiel ist die Montgolfiade. Wir haben Winterberg mit der Bobbahn und großen internationalen Wettbewerben. Die erste Sauerlandrundfahrt ist ein großes Radsportereignis. Die Bedeutung des Sports allgemein ist sehr groß. Das hat die Landesregierung auch für NRW mit der Diskussion über die Olympischen Spiele erkannt. Sport ist auch ein Vehikel geworden, Regionen zu transportieren. Siehe Dortmund mit Borussia. Vielfach wird man dadurch erst wieder wahrgenommen, weil man medial präsent ist. Was auch immer im Ruhrgebiet geschieht, da können wir Fußball auf Spitzenniveau sehen. Wir sind schnell vor Ort in den Stadien.
 WOLL: Der Regierungsbezirk Arnsberg ist eine hervorragende Region, die weit über das Thema Südwestfalen hinausgeht und damit auch eine Verbindung herstellt. Es gab die Vorstellung von der Region Westfalen-Mitte, die fast zu diesem Regierungsbezirk geworden wäre, und den Wunsch, diesen Teil Westfalens ganz anders darzustellen.
Hans-Josef Vogel:
Ja, das geht bei der Geschichte schon los. Wir nehmen es jedoch nicht wahr. Der Bergbau war zuerst im Sauer- und im Siegerland und ist dann erst ins Ruhrgebiet gewandert. Wir haben hier Eisenerze gefördert, deswegen ist Arnsberg überhaupt entstanden. Die Grafen von Werl kamen, um hier Eisenerze zu fördern. Jetzt stellt sich die Frage: Was sind die neuen Eisenerze? Was ist die neue Kohle? Diese Frage müssen wir jetzt beantworten. Wir müssen gemeinsam suchen und gemeinsam werden wir auch Antworten finden.
WOLL: Herr Vogel, Sie sind ein großer Fußballfan, Ihr Herz ist schwarz-gelb. Wie halten Sie es mit Königsblau? Im Sauerland gibt es auch viele Schalke-Fans. Gelsenkirchen gehört ja nicht zum Regierungsbezirk Arnsberg.
Hans-Josef Vogel:
Das macht es mir jetzt einfacher, weil Schalke nicht zum Regierungsbezirk gehört. Aber man kann, wenn man Fan ist, nur Fan eines Vereins sein. Ich bin von Kindesbeinen an Borusse. Das bleibe ich auch.
 WOLL: Zu den Spielen werden Sie auch künftig noch fahren?
Hans-Josef Vogel:
Ja, ich habe immer noch meine Dauerkarte und werde auch weiterhin dorthin fahren. Wenn ich mal nicht kann, habe ich ja immer noch mit meiner Frau und meiner Tochter zwei Personen, die für diese Karte großes Interesse haben.
WOLL: Wie haben Ihre Familie und Ihr persönliches Umfeld darauf reagiert, dass aus dem Bürgermeister jetzt der Regierungspräsident wird?
Hans-Josef Vogel:
Sie freuen sich natürlich, dass ich in der Stadt bleibe und dass ich diese Aufgabe machen darf. Ich habe auch aus der Bevölkerung viel Zuspruch erhalten. Ich habe aber auch gemerkt, dass viele Leute sagen: „Schade, dass Sie gehen.“
WOLL: Herr Vogel, vielen Dank für dieses aufschlussreiche Interview und alles Gute für Ihre neue Aufgabe.

Fotos: Stephy Kesting