Der Brotbaum des Sauerlandes

Kaum eine Baumart polarisiert so stark wie die Fichte. Für die einen sind die Fichtenwälder unnatürliche Monokulturen, für die anderen ist sie der Brotbaum der deutschen Forstwirtschaft. Im Jahr 2017 ist die Fichte nun zum Baum des Jahres ernannt worden und stellt einen wichtigen Wirtschaftsfaktor in der Region dar. Rund 90% der Einnahmen in der Forstwirtschaft stammen aus dem Verkauf von Fichtenholz. Etwa 4.000 private Betriebe im Bereich des Forstamtes Oberes Sauerland erwirtschaften mit dem Nadelbaum ihr Einkommen, davon trägt der Verkauf des wertvollen Fichtenholzes bei vielen Betrieben zur Existenzsicherung bei.
Seit Beginn des 19. Jahrhunderts prägt die Fichte das Landschaftsbild der Region. Zu dieser Zeit waren vielerorts die Wälder durch den erhöhten Bedarf an Bauholz oder Brennmaterialien heruntergewirtschaftet. Als relativ anspruchslose Baumart eignete sich die Fichte für die Wiederaufforstung. Heute zählt das Sauerland zu einer der größten zusammenhängenden Fichtenkulturen und ist für viele Einheimische nicht mehr wegzudenken.
Der Wald als Generationenvertrag
Gut zwei Drittel der Wälder in NRW gehören privaten Waldbesitzern. Einer davon ist Hubert Mattweiß aus Isingheim. Der Waldbauer sieht seinen 50 Hektar Betrieb als eine Art „Sparkasse für Waldbauern“, denn zurzeit ist die Verzinsung höher als auf der Bank. Sein Enkelsohn Max wird einmal von dem Waldbesitz seines Großvaters profitieren: Die Waldwirtschaft ist ein Generationenvertrag und rentiert sich erst mit den Jahren. Als Mattweiß im Jahr 2007 durch den Sturm Kyrill viel verloren hat, hat ihm der Weihnachtsbaumanbau in den darauffolgenden Jahren geholfen.
Aus rund wird eckig
Auch Ulrich Baust ist auf die traditionsreiche Fichte angewiesen. In seinem Sägewerk in Eslohe-Bremke verarbeitet er zu 90 % Fichtenholz. Stündlich kommen Lkw-Züge, beladen mit dicken Baumstämmen, die aus 80 bis 100 Jahre altem Fichtenholz stammen, auf das Gelände. Das Holz bezieht er überwiegend von Waldbauern aus der Region. Sägewerke wie das von Ulrich Baust können die Fichte fast komplett nutzen, es entsteht kaum Abfall. Die Reste können zu Rindenmulch oder Sägemehl weiterverarbeitet werden. Im Konstruktionsbereich hat sich das Fichtenholz etabliert, deswegen ist der Betrieb überwiegend auf die Verarbeitung von Fichte ausgelegt.
Der Betrieb von Ulrich Baust hat sich unter anderem auf Langholz spezialisiert, bis zu 13 Meter lange Kanthölzer werden gefertigt, die von vielen Zimmererbetrieben angefordert werden. Einer von insgesamt 24 Zimmererbetrieben im Hochsauerlandkreis gehört seinem Nachbarn Richard Greitemann aus Bremke. Das wertvolle Fichtenholz gehört für Greitemann zu den wichtigsten Bau- und Konstruktionsrohstoffen. Für den Zimmerer ist die Fichte unverzichtbar, nicht zuletzt aufgrund ihrer Robustheit und Nachhaltigkeit. Allein das Zimmerhandwerk beschäftigt durch den Baum des Jahres etwa 400 Mitarbeiter in der Region. Mit 40 Auszubildenden steht fest: Die Fichte wird auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen.
Effizienter Umgang mit dem Klimawandel
Trotz der wirtschaftlichen Bedeutung für die Forstbetriebe in der Region, ist die Fichte vielen Klima- und Naturschützern ein Dorn im Auge. Gerade Stürme wie Kyrill haben gezeigt, dass ein Reinbestand aus gleichaltrigen Fichten verheerend sein kann. Hans von der Glotz, Leiter des Regionalforstamtes Oberes Sauerland, stellt klar, dass die Fichte trotzdem auch in Zukunft immer ihren Platz im Sauerland haben wird. Allerdings nicht mehr in reinen Monokulturen, sondern im Mischwald mit Douglasien, Buchen, Lärchen oder Kiefern. Durch die Umwandlung zum Mischwald werden die Fichtenbestände stabiler, schon heute sind 50% der Wälder im Sauerland keine reine Monokultur mehr.
Zudem ist das Naturwunder Wald maßgeblich an der Luftreinigung beteiligt, im Sauerland ist es speziell die Fichte. Der Wald bindet ca. 14% unseres CO2-Ausstoßes durch Fotosynthese, es neutralisiert das schädliche Gas und legt es so oft für über 100 Jahre unschädlich im Holz fest. Von der Glotz betont, dass durch eine verantwortungsvolle und nachhaltige Bewirtschaftung der Fichtenwälder ein gewaltiger Beitrag zum Klimaschutz geleistet wird. Die Fichte sei damit einer der größten Umweltschutzfilter in Deutschland.
Nicht zuletzt ist der Wald auch ein Erholungsort für viele Einheimische und Touristen. Wo früher dunkler und dichter Fichtenwald das Landschaftsbild prägte, eröffnen sich durch die Umstrukturierung weite Blicke über die wunderschöne Landschaft. Die Fichte ist also weit mehr als nur „der Brotbaum des Sauerlandes“.
Text und Fotos: Stephy Kesting