Ettikette: Für viele ein Aushängeschild

WOLL Sauerland Etikette

Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen“, forderte die Schülerin Naina in ihrem Twitter-Beitrag und löste damit bundesweit eine Schuldebatte aus. Sie beklagte, ein Gedicht in vier Sprachen interpretieren zu können, aber keine Ahnung von Steuern, Mieten oder Versicherungen zu haben. Praxis und Berufsvorbereitung wird im St.-Ursula-Gymnasium Attendorn seit jeher groß geschrieben. Und so machte die Jahrgangsstufe 10 – frei nach Erich Kästners „Das fliegende Klassenzimmer“ – den Unterricht zum Lokaltermin.
„Stil und Etikette kehren wieder zurück – sie sind Trend-Themen“, weiß die renommierte Etikette-Trainerin Lis Droste aus Frankfurt, die ihre Wurzeln im Sauerland hat. Auf Einladung des St.-Ursula-Gymnasiums bat sie die Zehntklässler zum Benimmkurs. Der Zeitpunkt dazu war bewusst ausgewählt, da die Schülerinnen und Schüler unmittelbar vor ihren berufsorientierenden Praktiken standen. „Auch Firmenchefs legen wieder mehr Wert auf Etikette“, so Lis Droste, die seit nunmehr 25 Jahren Beraterin für Stil und Etikette ist. Ihr Erfahrungsschatz ist geprägt durch das Elternhaus, eine Klosterschule sowie die Berufserfahrung in großen Hotels, im Fremdenverkehr und als Stewardess.
Authentizität zeichnet Lis Droste aus, die damit auch schnell die Jugendlichen erreicht. Sie zollt ihnen Respekt und gibt als Motto aus: „Wie man in den Wald hinein ruft, so schallt es auch zurück.“ Ein Effekt, der sich im Benimmseminar genauso aus-zahlt wie im praktischen Leben. Dabei hat Lis Droste gute Erfahrungen mit der Jugend von heute gemacht, die wieder höflicher und hilfsbereiter wird. „Grundsätzlich gilt“, so die Trainerin und Buch-autorin, „der Stärkere hilft dem Schwächeren.“
Etikette – ursprünglich definiert als „feines Benehmen bei Hofe und Gesellschaft“ – vermittelt aber auch Sicherheit im Auf-treten. Ob Arbeitsessen, Begrüßung im Geschäftsleben, Kleidung oder Smalltalk oder einfach nur die Variante selbstsicherer Gastgeber – Etikette-Beraterin Droste hatte für die St.-Ursula-Schüler auf alle Fragen eine Antwort. Benimmregeln unterliegen über die Jahre auch der Veränderung. Tabus von früher haben sich gewandelt, Einflüsse neuer Weltoffenheit (andere Länder, andere Etiketten) spielen eine Rolle und manche Trends erleben eine Renaissance (der Smoking ist wieder im Kommen).
„Anschauen beim Begrüßen und möglichst lächeln. In Deutschland ist es üblich, sich die Hand zu geben. Jung grüßt alt, Mitarbeiter grüßt Vorgesetzten und Mann grüßt Frau“, bereitete Lis Droste die Schüler gleich auf das Praktikum im Berufsleben vor: „Wer einen Raum betritt, grüßt zuerst, unabhängig von Geschlecht, Alter und Rang.“
Gerade in der „head-down-generation“ mit dem ständigen Blick auf das Handy fordert Lis Droste die Aufmerksamkeit ein, die auch die Wertschätzung dem Gesprächspartner gegenüber zeigt. Nämlich den Blickkontakt. „Handy, Smartphone oder Laptop haben beim Essen nichts auf dem Tisch zu suchen.“ Auch sei die Kleidung der Ausdruck einer Wertschätzung gegenüber dem anderen. Da macht Droste keinen Unterschied zwischen Geschäftskontakt oder einem ersten privaten Date. „Was ist denn bei der Kleidung so erlaubt?“, wollten die Schüler wissen und staunten über die Antwort: „ ,Zu‘ sollte man vermeiden.“ Zu lang, zu kurz, zu durchsichtig, zu eng usw. meinte die Etikette-Lehrerin, fand aber in der Runde kein Negativbeispiel.
Der Smalltalk – die Kunst des stilvollen Mitredens (wie ein derzeit aktueller Buchtitel von Alexander von Schönburg behauptet) – zeugte von Vorkenntnis bei den Schülern des St.-Ursula-Gymnasiums: nicht zu privat, kein Meckern, Religion und Politik vermeiden, Krankheit, Tod, Alter und Kosten als Tabu ansehen. „Reden Sie über das, wo man sich gerade befindet“, gab Lis Droste mit auf den Weg, sah aber noch viel mehr Anknüpfungspunkte: Kunst, Kultur, Städte und Reisen, Essen und Trinken, Sport und Hobbys.
„Wir sind bereits im fünften Jahr hier im Restaurant Himmelreich“, freute sich Ingrid Sangermann, Lehrerin am Gymnasium und Organisatorin des Benimmkurses über die Bereitschaft des Attendorner Gastronomiebetriebs. „Wir sind der Großzügigkeit der Familie Böhmer sehr dankbar, die uns sogar während der Betriebsferien die Möglichkeiten hier eröffnet.“ Denn nach der Theorie folgte die Praxis. Zuerst galt es die Tische einzudecken, an denen die Schüler am Abend ihre selbstgemachten Mahlzeiten einnehmen durften. Bei einer Festtafel ein Platzteller in der Mitte, links die Gabeln, rechts Messer, Suppenlöffel und Spezialbestecke. Oberhalb des Platztellers liegen Messer und Gabel oder Löffel und Gabel für das Dessert. Drei Gläser (Wasser, Weißwein und Rotwein) gehören ebenso dazu wie eine Serviette. „Legt sie einmal gefaltet auf den Schoß und tupft eure Lippen damit ab, bevor ihr trinkt.“
„Da sind schon Talente bei“, freuten sich die Köche des „Himmelreichs“ über das Engagement der Jungen und Mädchen, die zum Abschluss das eigene Menü mit Anleitungs-hilfen der Profis erstellten. Erst die Hände waschen, dann die Kochmütze auf – und schon konnte die Arbeit beginnen: waschen, putzen, schnippeln, braten, kochen und abschmecken. „Pouladenbrust im Schinken-Salbeimantel“ lockte als Hauptgericht die Gaumenfreude, dazu Kürbiscremesuppe, frischer Salat und zum Abschluss Topfen-Palatschinken. Ein köstlicher Abschluss, der mit kleinen Knigge-Regeln einen lehrreichen Tag vollendete und aus ganz neuer Perspektive für den Berufsalltag vorbereitet hat. „Ich weiß, dass manche Firmenchefs auch bei einem Arbeitsessen darüber entscheiden, wer eingestellt wird oder nicht“, berichtete Ingrid Sangermann.


 
Text und Fotos: Roland Pfaff
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