
Text & Fotos: Klaus-Peter Kappest
Der Rothaarsteig ist für die Sauerländer heute ganz selbstverständlich. Er ist der bekannteste Wanderweg der Region; wir leben im „Rothaarsteigland“ hört man von denen, die das Siegerland und Wittgenstein mit meinen, aber „Südwestfalen“ nicht so gerne in den Mund nehmen wollen. Das war aber nicht immer so. Ein Blick auf meine ältesten Fotos erinnert mich an eine Zeit, in der viele fragten: Wozu brauchen wir denn noch einen Wanderweg über unsere Berge? Was soll der ganze Aufwand? Lohnt sich diese Investition? Wenn ich weiter gehe durch die alten Kästen voller Dias, wird mir erst wieder klar, wie der Rothaarsteig damals die Wanderlandschaft in Deutschland umgekrempelt hat.
Rothaarsteigerland
Wandern in deutschen Mittelgebirgen war in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts wohl das spießig-verstaubteste „Freizeitvergnügen“, das sich – vor allem jünger – Menschen vorstellen konnten. Trotzdem waren viele dieser Menschen zu Fuß unterwegs, nur eben nicht hier sondern in Skandinavien, Kanada oder Neuseeland. Trekkingtouren auf langen Trails lagen im Trend. Thomas Weber, damals Tourismusdirektor in Schmallenberg, holte Dr. Rainer Brämer, den Wanderexperten von der Uni Gießen, zur Beratung. Bei einem Bier in Latrop im Jahr 1998 und einen intensiven Blick auf die Landkarte fiel auf, dass das Rothaargebirge mit seinen angrenzenden Höhenzügen einen der längsten, zusammenhängenden Bergrücken in Deutschland bildet und dass das ja wohl ideales Material für einen deutschen Trekkingtrail darstellt.
Bei einem Bier in Latrop
Nicht einfach nur ein weiterer Weg über die Höhen sollte es werden. Die genaue Wegeführung sollte nach landschaftspsychologischen Gesichtspunkten erfolgen. Zum ersten Mal überhaupt wurde ein Wanderweg bewusst nach wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Wünsche und Bedürfnisse von Wanderern gestaltet. Als der Weg 2001 eröffnet wurde, machte ihn das zu einer Sensation mit Strahlkraft. Er setzte einen neuen Qualitätsstandard für Wanderwege. Die Idee, Wanderwege bewusst zu gestalten, Qualitätskriterien zu definieren, zu überprüfen und Wege zu zertifizieren, entstand mit dem Rothaarsteig. In seinem Kielwasser wurde seither eine Vielzahl großer Streckenwanderwege in ganz Deutschland entwickelt, die heute in der Organisation „Top Trails of Germany“ gemeinsam international vermarktet werden. Die auf dem Rothaarsteig erstmals realisierten Qualitätsstandards stehen heute aber nicht nur für Mehrtagesstrecken. Viele kurze Tagestouren – vor allem Rundwege – werden heute nach qualitativen Gesichtspunkten gestaltet. Die Rothaarsteigspuren und viele andere Qualitäts- und Premiumwege der Region gehören inzwischen dazu.
Qualitätsstandards
Auch nach innen hatte der Rothaarsteig eine erstaunliche Wirkung. Ein neuer Stolz auf die eigene Region wuchs in den Köpfen der Einheimischen, vor allem natürlich im Siegerland und Wittgenstein, den Teilen des Rothaarsteiglandes, die gerade von der eigenen Bevölkerung lange nicht als touristische Ziele wahrgenommen wurden.
Das Rothaarsteiglogo ist weit mehr als nur ein Wanderzeichen: Es ist das Erkennungszeichen einer Marke mit starkem Charakter. Einheitliches, damals absolut innovatives Mobiliar, die zertifizierten Qualitätsbetriebe für die Übernachtungen und nicht zuletzt die Ranger prägen das Markenbild. Das bis heute im Einsatz befindliche, neu entwickelte Markierungs- und Beschilderungskonzept gilt als eines der sichersten.
Natürlich darf der Rothaarsteig sich auf seinem anfänglichen Erfolg nicht ausruhen. Die Konkurrenz ist heute stark und die eigenen Qualitäten wollen gepflegt werden. Immer wieder gilt es zu prüfen: Was gefällt den Gästen am besten? Für welche Werte und Gefühle steht der Weg? Das Team um den Rothaarsteig-Geschäftsführer Dr. Harald Knoche sorgt dafür, dass das Qualitätsversprechen des Rothaarsteigs eingehalten wird – natürlich im Rahmen der Möglichkeiten angesichts von Schwierigkeiten wie der aktuellen Borkenkäferplage und den durch die Holzabfuhr hier und da zerfahrenen Wegen. Oft ist diese Arbeit eine Herausforderung. Weite Streckenabschnitte mit gastronomischen Defiziten (vor allem im Süden), zuwachsende Aussichten, beschädigte Infrastruktur und schwankende Qualität des Untergrunds erfordern tägliche Aufmerksamkeit und Korrekturen. Der Kontakt mit den Grundeigentümern muss gehalten werden. Vielen Rothaarsteigwanderern ist gar nicht bewusst, dass ein großer Teil des Weges über Privatgrundstücke verläuft. Natürlich gibt es am Rothaarsteig auch Staats-, Kommunal- und Großprivatwald, aber viele Waldstücke gehören kleinen, örtlichen Bauern, die im Kampf mit allerlei Widrigkeiten versuchen, mit diesem Wald einen Teil ihres Lebensunterhaltes zu verdienen. Die Waldbauern unterstützen den Rothaarsteig und nehmen Rücksicht auf die Bedürfnisse der Wanderer, wo es nur möglich ist. Sie erwarten von den Wanderern dafür allerdings auch etwas Rücksicht und die Einsicht, dass es Existenzen sind, die an der wirtschaftlichen Nutzung der Wälder hängen.
Dr. Knoche ist ein „Rothaarsteiger“ der ersten Stunde. Seit den ersten Testwanderungen ist er engagiert dabei und sorgt für den Ausgleich der verschiedenen Interessen. Er steht hier stellvertretend für die hauptamtlich und vor allem für die vielen ehrenamtliche tätigen Menschen, die den Rothaarsteig ausmachen. Die Qualität des Rothaarsteigs, das ist nicht ein Streifen Erde, auf dem man laufen kann. Seine eigentliche Substanz sind die Rothaarsteiger, die aktiven Menschen, die immer wieder aufs Neue dafür sorgen, dass die Wanderer auf den 220 km zwischen Dillenburg und Brilon ihr optimales Wandererlebnis finden.









