Ein gutes Stück Mescheder Kneipen-Geschichte
Deutschland im Jahre 1910 – denken wir uns doch einfach mal zurück in diese Zeit! Es war Kaiserzeit. Staatsoberhaupt war Kaiser Wilhelm II. In Deutschland lebten rund 65 Mio. Menschen auf 540.858 km². Im Sauerland hatten sich erste Industrieunternehmen angesiedelt, insbesondere entlang der Eisenbahnlinie. Und mitten in Meschede wurde eine Kneipe eingeweiht, die es heute noch gibt.
Fritz Althaus war seinerzeit der erste Wirt dieses langlebigen Gastronomiebetriebes. Eine Urkunde mit den ersten Brauereiverträgen hängt als „altes Schätzchen“ immer noch an der Wand. Naturgemäß wechselten die Wirte von Zeit zu Zeit. Teile der Inneneinrichtung jedoch sind – neben der alten Urkunde – aus alter Zeit erhalten geblieben. Wer eintritt spürt: Hier trifft man auf Geschichte!
Vielen noch bekannt: Tante Toni
Der eine oder andere Leser wird sich an die Zeit vor, während und nach dem Krieg erinnern, in der die Familie Kotthoff, insbesondere Tante Toni, für lange Zeit den Durst der Mescheder löschte. Die leider kürzlich verstorbene Wirtin Lucia Kotthoff hatte dann 1956 „in die Kneipe eingeheiratet“ und diese über viele Jahre hinweg gemeinsam mit Ehemann Theo geführt. Damals wurde der Kneipenname „Kotthoff’s Theo“ in Meschede zur echten Marke. „Ein Bier kostete Ende der 50er Jahre nur 25 Pfennige“, erinnerte sich Lucia Kotthoff. „Meistens trank man zu jedem Bier einen Wacholder oder Korn – ein Herrengedeck“.
Die große Zeit von Theo und Lucia
Legendär seien die Karnevalsfeiern mit Live-Musik in der Kneipe, bei denen man sprichwörtlich keinen Fuß mehr auf die Erde bekommen habe. Und sonntags war nach dem Kirchgang ein Treffen am Stammtisch für viele obligatorisch. Beim Kneipenbesuch wurde oft geknobelt oder Karten gespielt. Die Gäste seien in der Regel männlich gewesen; Frauen wären zunächst nur in Begleitung erschienen. Dieses habe sich erst Ende der 60er Jahre geändert, als sich der erste Frauenstammtisch regelmäßig dort einfand.
Knippschild, Kaiser und noch mal Kotthoff
Als die beiden Wirtleute ihre Kneipe aus Altersgründen aufgeben wollten, übernahmen zunächst Franz-Josef und Ulla Knippschild, später Meinolf und Inge Kaiser das Ruder. Der Kneipenname blieb weiter Programm.
Gleichzeitig wuchs Anna Kotthoff nicht weit entfernt, im Nierbachtal, auf, zwar keine Nachfahrin von Theo, aber ebenfalls ein Gastronomie-Spross. „Für mich war klar, dass ich ebenfalls in diesem Bereich tätig sein möchte. Bereits als Teenager habe ich immer gewitzelt, dass ich später mal „Kotthoff’s Theo“ übernehmen könnte“, sagt sie und lacht. Tatsächlich sollte es im März 2009 so kommen. „Ich hatte gerade meine Ausbildung zur Hotelfachfrau abgeschlossen und den Plan, einige Zeit im Ausland zu arbeiten. Doch wenn sich plötzlich so eine Chance auftut, dann muss man zugreifen.“
Ob BVB oder Schalke: Trink doch einen mit!
Wenn ein junger Mensch ein Traditionsunternehmen übernimmt, sind gewisse Veränderungen vorprogrammiert. „Als Erstes habe ich Fernseher in das Lokal gehängt“, erzählt sie. „Fußball wird hier großgeschrieben! Ob Bundesliga oder Champions League, wenn der Ball rollt, ist hier die Bude voll. Die meisten Fans, die zu uns kommen, sind BVB-Anhänger, aber auch die von Schalke, Mönchengladbach oder von den Bayern kommen hierher“, so Anna, und sie ergänzt: „Sie müssen halt friedlich bleiben. Echte Randale gab’s hier noch nie.“
Namen – es stellt sich doch die Frage, warum man heute noch zu „Kotthoff’s Theo“ geht und nicht zu „Kotthoff’s Anna“. „Eine Namensänderung war von Anfang an keine echte Option für mich. Der erzählt so viel Geschichte und gehört ja irgendwie zu dieser Kneipe“, versichert sie. „Und ich selbst bin halt für meine Gäste die Anna, so wie hier bei uns im Allgemeinen auch das „Du“ gepflegt wird. Dabei lassen sich an der Theke beim frischen Pils die Dönekes doch viel besser erzählen.
Bei Anna gibt’s Dönekes und Hans-Erich
Frisches Pils wird, wie bereits seit 1910, stets gern getrunken. Das „Herrengedeck“ jedoch wird nicht mehr so häufig bestellt, dafür ist ein steigender Trend hin zum Wein, insbesondere zum Rosé zu erkennen. Und es gibt ein Getränk in der Karte, bei dem man als Fremder wohl erstmal stutzt: Hans-Erich. Anna lacht und erklärt: „Das ist das Lieblingsgetränk eines Stammkunden, der diesen Vornamen trägt – Eierlikör im schokolierten Waffelbecher. Sicher gibt es dieses Getränk auch anderswo, aber für diesen außergewöhnlichen Namen haben wir hier quasi das Exklusivrecht. Und vermutlich allein schon wegen des originellen Namens wurde unser Hans-Erich unser gern bestellter Geheimtipp.“
Und so schreibt „Kotthoff‘s Theo“ immer weiter Geschichte. Irgendwann wird man bestimmt auch über 2017 sprechen, als man in der Kneipe auf Annas Wahl zur Schützenkönigin des Jahres angestoßen hat, oder über 2020, als Gastronomiebetriebe wegen Corona geschlossen hatten, aber bei „Kotthoff‘s Theo“ täglich über 100 von Profis gekochte Gerichte an Bedürftige und Pflegekräfte durchs Fenster verteilt wurden. Anna ist noch jung und so wird sie die Mescheder noch lange in der Traditionskneipe begrüßen können.
Randzitat: „Ich bin halt für meine Gäste die Anna.“ (Anna Kotthoff)