Draußen nur Kännchen

Draußen nur Kännchen. Foto: Frank Stratmann

Früher war alles besser. Wenn dieser Satz die Stille unterbricht, spricht unser Herz aus der Quelle der Nostalgie und es erzählt von Sehnsucht. Die Zeit scheint keine Zeit zu haben. Sie wartet nicht mehr auf die Geschichtsbücher von Morgen, um uns zu erklären, was heute passiert. Der Einzelne ist mit seinem Smartphone Teil der Geschichtsschreibung geworden.

Medieninhalte kamen früher von privilegierten Einzelnen und wurden an die Massen verteilt. Das Wissen der Menschen über Gesellschaften und die Welt kam über die Massenmedien zu uns. Die Realität der Massenmedien jedoch zerbröselt. Das Mediale granuliert sich in unser Leben hinein und lässt sich nicht mehr aussperren.

Mit dem Smartphone und Tablets verschwindet heute das Privileg der Informationshoheit. Jeder wird zum Herausgeber seiner eigenen Informationen. Die Konstruktion von Welt und Wahrheit verändert sich radikal durch die digitalen Gadgets, den Faszinosen unserer Zeit. So besuchen wir Facebook, Instagram und andere soziale Netzwerke vor allem, um uns davon zu überzeugen, dass unsere Freunde das Leben feiern. Der Tratsch in sozialen Netzwerken schafft eine neue Realität von Wahrheit. Vergleichbare, analoge Kristallisationspunkte für den Austausch von Wahrheiten bleiben das Kaffeekränzchen bei Freddy oder der Stammtisch bei Theo und diese Formate erhalten mit dem Smartphone ihre digitale Aura.

Kaffeservice in "Indisch Blau" bei Xaver. Foto: Frank Stratmann

Kaffeservice in „Indisch Blau“ bei Xaver. Foto: Frank Stratmann

Wann und wo mir der Ausruf „Draußen nur Kännchen“ erstmals begegnete, habe ich nicht mehr in Erinnerung. Diese deutsche Kaffeesitte habe ich gemeinsam mit anderen medialisiert. So erlaube ich Freunden und jene, die es werden wollen, in sozialen Netzwerken an meiner virtuellen Kaffeetafel Platz zu nehmen. Dazu nutzen wir den Hashtag #draussennurkaennchen und wir zelebrieren das mit Bildern von Kaffee in Kännchen, Kuchen, Waffeln und Gebäck. Indisch blau bei Xaver. Mit Retrokännchen bei Franzes in der Fußgängerzone. Klassisch schick im Waldhaus Föckinghausen. Das Leben zu bejahen heißt, sich aktiv aus der Hektik des Alltags zu verabschieden.

Der Kaffee wurde angeblich zwischen dem sechsten und neunten Jahrhundert nach Christus im Hochland von Äthiopien entdeckt. Die teuflische Frucht Coffee Arabica sollte im Feuer zerstört werden, ein betörender Duft durchströmte den Raum. Die Bohnen wurden gerettet, aus der Asche geschlagen und mit Wasser übergossen, damit der göttliche Geist nicht entschwindet. Aus dieser Anekdote entwickelte sich in Äthiopien die Tradition eines mehrstündigen Kaffeezeremoniells. Der in den Sechziger Jahren aus seiner Heimat geflüchtete Prinz von Äthiopien, Asfa-Wossen Asserate, berichtet davon in seinem Buch „Draußen nur Kännchen“ in Anspielung auf deutsche Eigenheiten. Und dann erzählt der Prinz, den Ausruf „Draußen nur Kännchen“ habe er vor über 50 Jahren erstmals im heutigen Kaffeehaus Ranitzky auf dem Tübinger Marktplatz gehört. Dort, wo ich in den letzten drei Jahren – fern der Mescheder Heimat – so häufig selbst gesessen und im Internet gearbeitet habe. Ein Hashtag wird zur Offenbarung. Draußen nur Kännchen vereint für mich die Annehmlichkeiten des achtsamen Kaffeetrinkens mit der Welt der sozialen Netzwerke. Was für eine Freude, wenn sich das Mediale mit wohlwollender Entschleunigung vereint und uns an einen ruhigeren Ort führt. Und wer hätte gedacht, dass die ruppige Ansage, die uns von Ausflugslokalen geschenkt wurde, die „Draußen nur Kännchen“ servierten, eines Tages herhalten muss, um das Zeremoniell des Kaffeetrinkens zu medialisieren? Als Gegenentwurf zur Latte-Macchiatisierung und zum Coffee to go erfährt das Leben ein Fest und der Genuss seine künstlerische Performance.

Früher war zwar nicht alles besser. Aber manches. Es gab nicht mehr Zeit, nur weniger Entfremdung. Dafür mehr Resonanz. Schreiben Sie mir doch bei Gelegenheit, wo Sie in Meschede, Bestwig und Olsberg Ihr Kännchen Kaffee, draußen genießen? (frank@betablogr.de)

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