Von den Weltbühnen der Musik in die Schützenhalle Kirchrarbach

Professor Thomas Clamor – ein hochinteressantes Gespräch mit einer herausragenden Persönlichkeit: Dirigent beim diesjährigen Sauerland-Herbst
von Ursula Wiethoff-Hüning
Es gibt ganz besondere Begegnungen und Gespräche: Mein heutiger Austausch mit dem Dirigenten Thomas Clamor gehört zweifelsfrei dazu. Im westfälischen Minden geboren, ist er als jüngster Trompeter mit 22 Jahren von Herbert von Karajan zu den Berliner Philharmonikern geholt worden. Das ist der Traum für jeden Orchestermusiker. Doch Thomas Clamor quittierte nach 24 Jahren dort seinen Dienst und begab sich auf einen neuen Weg, und dies überaus erfolgreich und erfüllend.
Beim diesjährigen Sauerland-Herbst (vom 7. Oktober bis 5. November) ist Prof. Thomas Clamor mit dem European Brass Ensemble und der Sächsischen Bläserphilhamonie dabei.

Prof. Thomas Clamor ist ist beim diesjährigen Sauerland-Herbst mit dem European Brass Ensemble und der Sächsischen Bläserphilhamonie dabei.


WOLL: Sie waren vor Ihrer Dirigententätigkeit lange Trompeter bei den Berliner Philharmonikern. Warum haben Sie sich für den Wechsel ans Dirigentenpult entschieden?
Thomas Clamor: Als extrem junger Musiker kam ich nach Berlin und habe Herbert von Karajan noch drei Jahre erleben dürfen. Neben einer Reihe persönlicher Gründe gab es die Idee, nach so vielen Jahren dann doch noch anderes zu schaffen. Mein erstes Ensemble habe ich gegründet, als ich 15 Jahre alt war – aus dieser Zeit stammt noch mein Taktstock, den ich hüte wie meinen Augapfel. Erst war es mein Hobby, das ich all die Jahre verfolgt habe, und das mir immer viel Spaß gemacht hat. Dirigieren immer in den verschiedensten Besetzungen, mit kleinen kammermusikalischen Gruppen bis hin zu großen Sinfonieorchestern, es war immer ein sehr großes Spektrum, weil mich das alles sehr interessierte.
Ich habe mir Zeit genommen für diese schwierige Entscheidung, diesen Schritt gut zu überlegen und zu schauen, inwieweit es für mich Sinn macht, dem Leben nochmal eine andere Wendung zu geben. Die Entscheidung ist ein Prozess gewesen, dem ich mich gestellt habe, um diesen Lebensabschnitt voller Zufriedenheit zu verlassen und mich im Guten davon zu verabschieden.
WOLL: Ragt die Zeit als Mitglied bei den Berliner Philharmonikern noch in Ihre heutige Zeit mit herein?
Thomas Clamor: Oh ja, die Arbeit mit den besten Dirigenten, mit den besten Solisten der ganzen Welt, diese Menschen zu beobachten, ihnen zuzuhören, das war nachhaltig prägend. Ich habe Dirigieren nicht studiert, sondern habe es studiert, indem ich es 24 Jahre lang gesehen und erlebt habe, wie unterschiedlich Dirigenten sein können und die Werke interpretieren. Das ist extrem lehrreich, das war mein Studium. Und was mich heute sehr erfreut, zu wissen, wie ein Orchestermusiker Dinge sieht, empfindet. Das liegt einem im Blut und hilft enorm bei der täglichen Arbeit.
WOLL: Sie sahen Ihren Weg unter anderem in Venezuela in EL SISTEMA. Dieses sozio-kulturelle Projekt, 1975 von José Antonio Abreu gegründet, hat das Ziel, Kinder aus benachteiligten Schichten für Musik zu begeistern und die Musik zur seelischen und sozialen Stabilisierung der Kinder einzusetzen. In diesem Zusammenhang haben Sie auch das Bundesverdienstkreuz bekommen. Wie kam es zu Ihrem Engagement in Venezuela?
Thomas Clamor: Meine Arbeit dort begann im Jahr 2000. Während viele Musiker gesagt haben „Geh als Solist und mach internationale Karriere“, bin ich in meiner Freizeit anderen Dingen nachgegangen, die mich interessiert haben, und das waren immer in meinem Leben sozio-kulturelle Projekte. Eines Tages gab es die entscheidende Begegnung: Der Gründer des Systems, José Antonio Abreu, war 2000 mit dem Jugendorchester in Berlin und hat von unserem damaligen Chefdirigenten Claudio Abbado einen Hinweis bekommen, er solle sich doch mal bei mir melden. Abreu rief mich an und bat mich, zu Probe und Konzert zu kommen. Ich werde dieses Konzert nie vergessen. Es war Liebe auf den ersten Blick. Ich wusste damals nicht, was dahinter steht, dass das nicht nur ein Musikprojekt, sondern auch ein Sozialprojekt ist. Dann haben die Venezuelaner mich eingeladen. Schwer bepackt mit vielen Eindrücken bin ich zurückgekehrt, und dann ging es richtig los für mich.
So habe ich mit El Sistema ein Projekt gefunden, bei dem ich anfassen konnte. Dieses System betreut mittlerweile in mehr als 400 Zentren über 800.000 Kinder, die größtenteils aus den untersten sozialen Schichten des Landes kommen, ein atemberaubendes System, das vielen Kindern eine neue Lebensperspektive offenbart. Mir wurde viel Vertrauen entgegengebracht und so habe ich eine Akademie mitbegründet, mit der wir nach vielen Jahren harter Arbeit internationale Konzertreisen unternommen haben, mit der wir oft schon auf internationalen Festivals gespielt haben, ob das in der ausverkauften Carnegie Hall, in der Royal Albert Hall oder bei den Salzburger Festspielen war. Ich war auf einmal doch wieder in den großen Häusern, die ich dachte, nicht mehr wiederzusehen, nachdem ich bei den Berliner Philharmonikern aufgehört habe.
WOLL: Entlässt man die jungen Menschen, die aus dem System in Venezeula kommen, anhaltend in ein anderes Leben?
Thomas Clamor: Es sind Synergieeffekte. Durch das Musizieren lernen die jungen Leute zuzuhören. Es werden Fährten für ein besseres Leben gelegt, nicht jeder wird Profimusiker. Der oberste Bundesrichter Venezuelas beispielsweise war ein Kind von der Straße. Er hat dieses System wie viele andere durchlaufen, die nach einem ganz anderen ersten Lebensabschnitt dadurch zu einem Leben gefunden habe, das lebenswert und toll ist.
WOLL: Wie haben Sie sich durch die Arbeit in Venezuela verändert?
Thomas Clamor: Es geht nicht spurlos an einem vorbei, wie sich diese jungen Menschen, auch wenn man ihre Lebensgeschichte kennt, entwickelt haben. Da lernen Sie, so viel Respekt vor Dingen und Persönlichkeiten zu haben und wie sich Menschen weiterentwickeln können, dass ich gedacht habe: Die Kraft der Musik, DAS ist es. Man muss sie immer vor Augen haben und sie einsetzen. Das ist mein Leitmotiv gewesen, das mich sehr geprägt hat. Daraus resultiert das, was ich beispielsweise in Berlin initiiert habe, indem ich dort den Grundstein für die Musikvermittlung an der Hochschule für Musik gelegt habe. Ich bin mit meinen Studenten in die sozialen Brennpunkte Berlins gegangen, an die Schulen und habe dort Musikvermittlung betrieben. Das ist harte Arbeit gewesen und ich bin glücklich, mich mit diesen Dingen auseinandergesetzt zu haben, weil es wichtig ist, dass Kulturschaffende lernen, ihre Potentiale anders einsetzen zu können. Es macht so viel Sinn, Menschen mit Musik zu fangen und es ist so einfach: Die vielen kleinen Projekte in Berlin waren sehr erfolgreich damals. Die Hochschule hat dieses dann auch als Block mit in den Masterstudiengang aufgenommen.
WOLL: Sie treten mit Orchestern in den musikalischen Zentren der ganzen Welt auf. Beim Sauerland Herbst spielen Sie in Kirchrarbach in der Schützenhalle – ein großer Spagat?
Thomas Clamor: Zunächst einmal ist es höchst respektabel, was Herr Scheuerlein (Leiter der Musikschule des Hochsauerlandkreises und Initiator vom Sauerland-Herbst) im Sauerland über viele Jahre hinweg aufgebaut hat. Die besten Ensemble, die besten kammermusikalischen Formationen in der Blechbläserwelt sind schon mal eingeladen worden, haben im Sauerland Konzerte gespielt. Das hat sich absolut etabliert und ist zu einer Institution in der Fachwelt geworden, dieses Festival. Ich kann nur meine Hochachtung Herrn Scheuerlein gegenüber zum Ausdruck bringen, wie professionell er dieses Festival organisiert und führt. Er ist ein so zuverlässiger Partner!
Abgesehen davon ist das Publikum im Sauerland ein ganz tolles. Da ist es vollkommen egal, wo man spielt. Es ist eine ganz große Freude, wenn man merkt, dass man mit der Musik, die man produziert, die Menschen erreichen kann, und in diesem Sinne liebe ich jeden Ort.
Im Sauerland bin ich übrigens besonders gern, weil es für mich als Westfale auch ein Stück Heimat ist.

Konzertankündigungen:

Das European Brass Ensemble glänzt zur Eröffnung vom „Sauerland-Herbst“ in Brilon und am darauffolgenden Tag in Bad Fredeburg.
Dieses einzigartige Ensemble unter Leitung seines Gründers, des namhaften Trompeters und Dirigenten Prof. Thomas Clamor, setzt sich zusammen aus ca. 40 jungen, hochtalentierten Blechbläsern und Schlagwerkern vieler Nationen, die zu Konzertprojekten ganz unterschiedlicher Stilrichtungen zusammenkommen – „Heimat“ ist das Stift Melk in Niederösterreich.
Das Repertoire des Ensembles umfasst Stücke von der europäischen Renaissance bis zur südamerikanischen Moderne, wobei sich beim „Sauerland-Herbst“ der Bogen spannt von einem European Classic Medley bis zu den heißen Rhythmen Südamerikas.
Das ist lebendige und junge Blasmusik vom Feinsten, auf die Sie gespannt sein können!
European Brass Ensemble,
07.10.2017, 19.30h Autohaus Mercedes-Benz Paul Witteler , Möhnestr. 54, 59929 Brilon
08.10.2017, 11.00h, Schützenhalle Kirchrarbach 4, 57392 Schmallenberg – Kirchrarbach
Die Sächsische Bläserphilharmonie unter der Leitung seines Chefdirigenten Prof. Thomas Clamor, zu hören in der Abtei Königmünster in Meschede, steht als sinfonisches Blasorchester für eine Bläserkultur mit höchstem ästhetischen Anspruch. Vor über 60Jahren als „Rundfunkblasorchester Leipzig“ gegründet, genießt der Klangkörper internationales Ansehen.
Der „Hymnus“, 12 Instrumentalphantasien, ein Zyklus bekannter Choralmelodien hauptsächlich nach Textes des Theologen Paul Gerhardt (17.Jh.), versucht eine einzigartige Stimmung wiederzugeben, die emotionale Wirkung der Musik hervorzuheben. Siegmund Goldhammer gelingt es hierbei, das Werk in Bezug auf Klangfarben, Instrumentierung und Dynamik so zu arrangieren, dass das Klangerlebnis ein besonderes und einzigartiges ist: ein Blechbläsersound, der einen begeistert sein läßt.
Sächsische Bläserphilhamonie
13.10.2017, 19.30h, Abtei Königsmünster, Am Klosterberg 11, 59872 Meschede (inkl. eine bes. Auswahl an Abtei-Spezialitäten nach dem Konzert)
 
Weitere Infos zum diesjährigen Sauerland-Herbst gibt es auf der Website www.sauerland-herbst.de