Familiengeschichte aus dem Sauerland

Seit 1460 ist die Familie Schütte im sauerländischen Oberkirchen urkundlich nachweisbar. Allerdings dürfte sie hier bereits mindestens im hohen Mittelalter ansässig gewesen sein, als die Kirche im Dorf gebaut wurde. Für deren Versorgung war der Ackermann Schütte von jehehr zuständig. Aus Anlass des 555-jährigen Jubiläums der Familie Schütte aus Oberkirchen veröffentlichte der Sauerländer Autor Achim Gandras 2015 das Buch „Schütte – Eine Familiengeschichte aus dem Sauerland – von 1460 bis heute“ im WOLL-Verlag. Mit historischen Sachbüchern, Chroniken und einem Roman zur Region hat sich Achim Gandras als Autor bereits zuvor einen Namen gemacht.
Das Buch erzählt in kurzweiligen Geschichten, wie es es vor 555 Jahren und danach gewesen sein könnte. Die historischen Hintergründe sind dabei stets exakt gezeichnet, wobei sich jeweils ein Bild entfaltet, das ein Schlaglicht auf die entsprechende Epoche wirft. 1000 Jahren im Sauerland kommt man so ein wenig auf die Spur, am uralten Fernweg der Heidenstraße, der großen Schlagader des Mittelalters von Ost nach West. Oberkirchen war die Station vor dem Beschwerlichen Pass hinauf auf den Kahlen Asten. Aus guten Gründen lohnte sich also schon damal eine Einkehr – woran sich bis heute, gewiss unter anderen Vorzeichen nicht viel verändert hat.

Landhotel Gasthof Schütte in Oberkirchen Foto: Klaus-Peter Kappest

Landhotel Gasthof Schütte in Oberkirchen
Foto: Klaus-Peter Kappest


In lockerer Reihenfolge werden wir an dieser Stelle in den kommenden Wochen einige Auszüge aus dem Buch veröffentlichen. Das Buch ist im Buchhandel und im WOLL-Onlineshop erhältlich.
SCHÜTTE - Eine Familiengeschichte aus dem Sauerland. Von 1460 bis heute.

SCHÜTTE – Eine Familiengeschichte aus dem Sauerland. Von 1460 bis heute.


Achim Gandras: SCHÜTTE – Eine Familiengeschichte aus dem Sauerland. Von 1460 bis heute.
14,8 x 21,5 cm, 288 Seiten
Hardcover + Schutzumschlag
ISBN: 978-3-943681-54-3
22,90 Euro


 
 
 
Auszug aus dem Buch „SCHÜTTE – Eine Familiengeschichte aus dem Sauerland – von 1460 bis heute“ von Achim Gandras.
Oberkirchen im Lauf der Zeit
Zahlreiche geschichtliche Abhandlungen von großer wissenschaftlicher Qualität sind über das Sauerland zu finden. Hier jedoch möchten wir lediglich einen möglichst kurzweiligen Bogen spannen, den berühmten „roten Faden“ spinnen, um in Kürze einige wichtige Aspekte der regionalen Geschichte zusammenzutragen.
Die ersten „Sauerländer“ lassen sich in der ausgehenden Jungsteinzeit
nachweisen: Gegen 2000 vor Christus kamen sie aus den Ebenen und
siedelten, wohl infolge der Bevölkerungsentwicklung, immer weiter in
der Höhe, als die besten Plätze mit ertragreicher Scholle im
Schwemmland besetzt waren. So kamen bäuerliche Siedler auf den kargen Boden des Hochsauerlandes. Ihre Werkzeuge, Steinbeile und
Reibsteine, werden auch heute noch immer wieder einmal gefunden.
Mit dem Beginn der Eisenzeit in unseren Gefilden, etwa um 600 vor
Christus, bekamen das Sauerland und vor allem auch das Siegerland
eine ganz neue Bedeutung: Ergiebige Erzfunde direkt an der Oberfläche
und Holz im Überfluss für deren Verhüttung schafften einen echten
Exportschlager, der über Jahrtausende ein blühender Wirtschaftszweig
sein sollte. Das Produkt, Eisen und Stahl, verarbeiten die Sauerländer
bis heute! Zahlreiche Weltmarktführer sind bei uns zu finden, und die
Infrastruktur gleicht mancherorten der des schwäbischen Kernlandes
– Kenndaten, wie sie in Deutschland sonst nur im Raum Stuttgart zu
finden sind. Das Sauerland ist heute das pulsierende Zentrum des
produzierenden Gewerbes in Nordrhein-Westfalen.
Das frühe Metall wurde in Rennöfen gewonnen, mitten im Wald,
nahe der Erzfunde, und das Produkt, das sogenannte Osemund-Eisen,
war ein gut zu schmiedender, zäher Werkstoff, der noch bis ins vorletzte
Jahrhundert besonders von Drahtziehern sehr geschätzt wurde.
Draht war gefragt, aus Iserlohn kamen berühmte Kettenhemden, in
deren doppelt gewirkten Ösen manche Pfeilspitze hängen blieb, ohne
den tapferen Recken darin gleich aus dem Sattel zu holen: Ein echtes
Verkaufsargument, finden Sie nicht? Im Mittelalter schließlich entdeckte
der findige Mensch die Wasserkraft. Im niederschlagsreichen
Mittelgebirge klapperten bald an allen Bächen die Mühlen und
Hämmer, wie in Oberkirchen auch.
Einen anderen Zweig bildeten die Gelbgießer, denn auch Kupfer und
Galmei waren bei uns zu finden. Freilich wusste da noch niemand,
dass Galmei ein Zinkerz ist, denn das Zink verdampfte in fetten weißen
Wolken über der Schmelze. In Verbindung mit Kupfer entstand
Messing, das gelbe Metall. Auch die Sauerländer Armaturen aus
Messing und Rotguss sind bis heute sehr erfolgreich auf dem
Weltmarkt vertreten.
Ansonsten stand die Land- und Waldwirtschaft im Vordergrund, ein
karges Brot auf hartem Boden, das umso schwieriger zu erreichen war,
je höher man in den Bergen hinaufstieg. Freilich war der Anbau von
Getreide weniger bedeutsam als dieMast von Nutztieren. Eicheln und
Mühlrad und Obergraben zum Antrieb des Hammers im Unterdorf von Oberkirchen.
Bucheckern begünstigten die Schweinehaltung. Schafe und Ziegen
fraßen die Hänge und Bergkuppen kurz, um eine weitläufige
Heidelandschaft entstehen zu lassen, wie man sie noch heute über
Oberkirchen und neuerdings auch wieder auf dem Kopf des Kahlen
Astens findet.
Die Erze der Region hatten indes auch schon die Römer entdeckt.
Deren Handelsverbindungen über den Rhein lassen sich nachweisen,
römische Bleibarren sind gefunden worden, die aus der Gegend hinter
Brilon stammen, gut 50 Kilometer nordöstlich von Oberkirchen.
Nach den großen Verschiebungen der Völkerwanderungszeit, die über
das Römische Imperium hinwegfegen sollten, wurde das Sauerland
zum Randgebiet des großen Stamms der Sachsen. Nicht weit von
Oberkirchen, über die Höhen bei Winterberg, Astenberg und hinüber
zum Wittgensteiner Land, verlief die Grenze zwischen den Stämmen
der Franken und Sachsen, was für das Sauerland schwere Zeiten
mit sich bringen sollte. Karl der Große, König der Franken, überzog vor rund 1250 Jahren das Land mit einem Eroberungskrieg unter dem Deckmantel der Christianisierung. Dabei galt sein besonderes Interesse den Heiligtümern der heidnischen Sachsen, um deren Wider-stand nachhaltig zu brechen. Neben der Hohensyburg zwischen Hagen und Dortmund gehörte die Eresburg über Marsberg, rund 60 Kilometer nordöstlich von Oberkirchen, zu diesen besonderen Orten. Dort stand die „Irminsul“, ein Hauptheiligtum der Sachsen, das dem Erdboden gleichgemacht wurde. Aber auch im Hochsauerland gab es wichtige heidnische Heiligtümer . Wormbach bei Schmallenberg mit
seinem heiligen Friedhof muss dazugehört haben, denn dort bauten
die christlichen Franken um 800 nach Christus ihre erste Kirche in
der Region, um den heidnischen Bann am Ort zu brechen.
Zwei weitere frühe Kirchen folgten darauf: die „Negerkirche“ zwischen
Siedlinghausen und dem Großen Bildchen, vor etwa 500 Jahren
samt ihren Dörfern in der Höhe bereits wieder untergegangen, und
etwa 1000 nach Christus das Gotteshaus von Oberkirchen, St.
Gertrud, in dessen Schatten sich seit Jahrhunderten der Hof Schütte
befindet. Aus diesen Zeiten gibt es kaum schriftliche Quellen, aber bei
Grabungen in der Kirche im Jahre 1983 ließen sich 1000
Jahre alte Fundamente nachweisen.
nebel-oberkirchen_seite_2Überhaupt reihen sich diese ersten Kirchen im Sauerland auf wie an ei-ner Perlenschnur, gebildet von der Heidenstraße, dem uralten
Fernweg von Brabant über Köln nach Kassel und von dort weiter bis in den Osten, bis nach Kiew in der Ukraine, dem alten Zentrum der Rus.
Legendär dann die Regionalgeschichte um die wüste Edelherrin Chuni-za, aus dem Geschlecht derer von Graschap, wie manche
behaupten, jedenfalls ruchlose Herrin des Landes um Oberkirchen,
die dem heiligen Anno, Bischof von Köln, im Jahr 1072 das Gebiet in
Reue für ihre Missetaten überlassen sollte. Was daran wahr ist? Wer
soll es wissen?! Anno jedenfalls brachte Mönche der Benediktiner aus
Siegburg mit und gründete das Kloster Grafschaft, das für fast 800
Jahre die Geschicke der Region maßgeblich beeinflussen sollte.
Als sich das mittelalterliche Kaiserreich, das Heilige Römische Reich
Deutscher Nation, in diesen Zeiten entwickelte, stützten sich die
Herrscher, die stets unterwegs waren, weil das ausgedehnte Reich
sonst nicht zu regieren war, auf die Treue ihrer Herzöge. So ein mächti-ger
Fürst war Heinrich der Löwe, Herzog von Bayern, Sachsen und
somit auch Westfalen, dessen Löwe noch heute in Bronze vor dem
Braunschweiger Dom zu bewundern ist. Heinrich unterstützte seinen
Kaiser und Verwandten Friedrich I. Barbarossa nicht, als dieser in der
norditalienischen Lombardei in den Krieg zog. Für diesen Treuebruch
wurde er entrechtet und verbannt. Heinrichs des Löwen Herzogtum
Westfalen fiel 1180 an die Erzbischöfe von Köln, die anschließend für
über 600 Jahre die obersten Landesherren im Sauerland sein sollten.
Erst Napoleon brach dieMacht des Klerus gewaltsam und die mit den
Franzosen verbündeten Hessen übernahmen das Regiment, vor gut
200 Jahren.
Aber der kleine große Kaiser der Franzosen sollte alsbald alles verspielt
haben – erst in Russland, schließlich in Belgien, bei Belle-Alliance im
Sommer 1815. Nebenan liegt das Dörfchen Waterloo, das sich für
einen Engländer viel leichter aussprechen lässt … Auf dem Wiener
Kongress wurde im Anschluss das alte monarchistische Europa erneu-ert, zumindest noch für eine Weile. 1815 fiel das Herzogtum Westfalen samt Sauerland per Vertrag an die Preußen, somit automatisch an das Deutsche Kaiserreich ab 1871, und bestand durch manch widrige Zeiten hindurch bis 1945. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Westfalen mit dem Rheinland und dem Fürstentum Lippe zum
Bundesland Nordrhein-Westfalen zusammengefasst und besteht so bis
in die Gegenwart, im wiedervereinten Deutschland.
So präsentiert sich in etwa der rote Faden, aber natürlich spielt nicht
nur die große Politik eine Rolle. In der regionalen Entwicklung taucht
im Hochmittelalter nach der Christianisierung durch die Franken
irgendwann der Begriff „Lochtropgau“ auf – und ein Dörfchen
Lochtrop ist bis heute im Sauerland bei Eslohe zu finden. Danach
übernehmen die Grafen von Arnsberg das Regiment. Um 1300 sind
viele Sauerländer jedoch genau genommen Pfälzer, denn die Edelherren
von Bilstein haben den südlichen Teil der Region von den Pfalzgrafen
am Rhein als Lehen bekommen … Sie haben recht, es geht ziemlich
durcheinander, vom heutigen Standpunkt aus betrachtet. Nichtsdestot-rotz ging es um Grund und Boden, darauf mit Mann
und Maus, mit Kind und Kegel. So etwas sorgt für manchen Streit,
und auch hier wird uns Oberkirchen immer wieder im kriegerischen
Spiel als Akteur begegnen.
Nun, mit Johann II. von Bilstein starben besagte Edelherren 1363 aus,
die mächtigen Grafen von der Mark übernahmen das Regiment. 1368
verkaufte der letzte Graf von Arnsberg, Gottfried IV., sein großes Land
kinderlos an seinen Feind, den Erzbischof von Köln, damit es nicht
seinem Erzfeind, dem Grafen von der Mark, in die Hände fallen
konnte. Es waren kriegerische Zeiten!
1445 traten die Märker ihren Teil des oberen Sauerlands in der Soester
Fehde an den Erzbischof von Köln ab. So entstand ein geschlossenes
Gebilde, an dem allerdings im Osten die Herren von Waldeck, im
Süden die Wittgensteiner nagten, herrje, wo bleibt der rote Faden?
Immerhin, Oberkirchen befand sich im Land des Klosters Grafschaft,
ein „Gerichtsbann“ mit eigenem Recht. Das war ein sehr altes Privileg.
Weil sich die Kirche jedoch nicht offiziell zum weltlichen Gericht
aufschwingen wollte, wurde ein Vogt, ein Richter eingesetzt. Dieses
Amt hatten lange Jahre die Edelherren von Grafschaft inne, die neben
einer frühen Burg auf dem Wilzenberg ihren befestigten Sitz auf der
Burg in Nordenau hielten. Noch heute kann man den massiven Turm
ihrer längst verfallenen Burg besteigen, um von dort ein großartiges
Panorama über das Hochsauerland zu genießen. Übrigens erzählt man
sich auch, dass die Familie Schütte hier ihren Ursprung, hat: Schützen
auf der Burg, Burgmannen – aber auch das ist lediglich eine
Vermutung.
Im 16. Jahrhundert stiegen die Freiherren von Fürstenberg auf, die bis
in die Gegenwart als Grundherren eine gewichtige Rolle spielen.
Kaspar von Fürstenberg (1545– 1618) war so wohlhabend, dass er
dem Kölner Erzbischof manchen Kredit gewähren konnte, wodurch
er als Pfand auch das Gericht Oberkirchen unter seinen Einfluss
brachte.
1572 starb mit Vogt Jost der letzte Edelherr von Grafschaft ohne legitime
Kinder. Der Kölner Erzbischof Ernst von Bayern zog die Erbvogtei Ober-kirchen mit dem Kloster Grafschaft als erledigtes Lehen ein und übertrug sie an Kaspar von Fürstenberg. 20 Jahre später bekam dieser auch die Rechtsprechung „auf Hals und Hand“ übertragen, er entschied nun über Leben und Tod, ein zweifelhaftes Privileg, das in so niederen Bereichen des Adels nur äußerst selten vergeben wurde. Dieses besondere Patri-monialgericht sollte sich alsbald unheilvoll
auswirken. Auf der Schwelle zwischen mittelalterlicher Weltsicht und
neuzeitlicher Wissenschaft gedieh in den schweren Zeiten des Dreißig-jährigen Krieges der Aberglaube. Im 16. Jahrhundert hatte sich die Be-völkerung in den deutschen Landen annähernd verdoppelt. Die Kleine Eiszeit brachte da verheerende Folgen mit sich. Die Jahrzehnte von 1570 bis 1630 waren außerordentlich kalt, katastrophale Missernten wa-ren die Folge und gerade die kargen Böden in den Höhen des Sauerlan-des konnten nicht mehr ausreichend ernähren. Mit dem
Hunger kam die Suche nach den Schuldigen und die Prozesswellen des
Hexenwahns wüteten hier mit besonderer Härte. Männer, Frauen und
sogar Kinder wurden verurteilt und verbrannt – an den klimatischen
Verhältnissen freilich konnte das nichts ändern. Erst 1809 wurde das
Patrimonialgericht unter der Besatzung durch napoleonische Franzosen
abgeschafft.
Mit der aufkommenden Industrialisierung gegen Mitte des 19.
Jahrhunderts änderten sich die Verhältnisse grundlegend. Oberkirchen,
das Jahrhunderte lang direkt an der großen Fernroute der Heidenstraße
gelegen hatte, versank in der Provinz, nachdem die Preußen andere
Wege, Chausseen, sogenannte „Kunststraßen“, systematisch befestigt
hatten. Dann kam ab 1861 im Sauerland die Eisenbahn, deren
Schienennetz immer dichter wurde, bis 1889 auch Gleidorf seinen
eigenen Bahnhof bekommen sollte. Die Industriezentren an Rhein,
Ruhr und Sieg färbten sich derweil graphitgrau von Hütten qualmund
Kohlenstaub – die Flucht in eine intakte Natur wurde zur Sehnsucht:
Das war die Geburtsstunde der „Sommerfrische“, und endlich konnte
das Hochsauerland einen ganz neuen Wirtschaftszweig entwickeln.
Die Gäste waren nicht mehr auf der Durchreise, sie kamen nun, um
zu verweilen. 1890 wurde der Sauerländer Touristenverein in Arnsberg
gegründet, der Oberkirchener Gastwirt und Fabrikant Otto Schütte
gehörte zu seinen Vätern. Ein Jahr später wurde der Touristenverein in
„Sauerländer Gebirgsverein“ umbenannt. Dieser SGV sorgt bis heute
für ein Organisationsnetz rund ums Wandern und Verweilen, wie es
kaum ein zweites gibt.
Damit wären wir in der Gegenwart angekommen, im Jahr 2015, in
dem nicht nur der 125 Jahre alte SGV ein Jubiläum feiert, sondern
auch das Landhotel Gasthof Schütte, das im Schatten der Oberkirchener
Pfarrkirche liegt und dessen Familie im Jahre 1460 erstmals genannt
wird, vor nunmehr 555 Jahren!
Auszug aus dem Buch „SCHÜTTE – Eine Familiengeschichte aus dem Sauerland – von 1460 bis heute“ von Achim Gandras.