Lichte-Momente

Lichte-Momente

„Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt.“ Goethe: Der Erlkönig. Ein Satz, den auch Marc Lichte gesprochen haben könnte, Design-Chef von Audi und damit nach eigenem Bekunden verantwortlich „für die schönsten Autos der Welt“. Form und Funktion miteinander verschmelzen zu lassen – das ist sein Universum. Und warum werden Modell-Neulinge „Erlkönige“ genannt? Goethe, der größte aller deutschen Dichter, hat die Antwort ja gegeben.
Als sich Marc Lichte, 1969 im Arnsberger Stadtteil Neheim geboren, aufmachte ins Berufsleben, studierte er Transportation Design an der Hochschule Pforzheim. Nach dem Abschluss begann er seine Laufbahn bei Volkswagen. Als Leiter der Abteilung Design Exterieur wirkte er entscheidend an der Gestaltung der Modelle Golf 5, Golf 6 und 7, des Passat 8 sowie des Touareg und des Phaeton mit. Seit Februar 2014 leitet Marc Lichte das Audi-Design und führt dort ein Team von 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die Design-Studios liegen etwas versteckt und reichlich unscheinbar in einem Nachbarort.
Dominik Kuhlmann, Geschäftsführer und Mitinhaber des heimischen Audi-Autohauses Hoffmann, und Gisbert Scheffer, TEAM Wandres, haben Marc Lichte in Ingolstadt zu einem Interview getroffen. Fragen und Antworten mit Einblicken in seinen Beruf und auch ins Privatleben.
Von Arnsberg aus zur Weltmarke nach Ingolstadt – wie wird man Chef-Designer bei Audi?
Mein Vater war total autobegeistert. Und am Wochenende fuhr er auf dem Famila-Parkplatz in Hüsten Slalomrennen. Ich war als Junge immer dabei. Das prägt einen natürlich. Es gab aber noch etwas Wichtigeres: Mein Großvater war ein leidenschaftlicher Künstler. Er beherrschte die verschiedensten Mal- und Zeichentechniken – von der Bleistiftskizze bis hin zum Ölgemälde. Das hat er auch mir beigebracht. So kamen die Begeisterung für das Automobil und die Liebe zum Gestalten zusammen. Aber Automobil-Designer, das war für mich damals kein Beruf. Kaum zu glauben, damit Geld verdienen zu können. Ein Film der Hochschule Pforzheim über den Studiengang Transportation Design hat mich dann gepackt. Damit war mein Weg vorgezeichnet.
Besuchen Sie noch oft Arnsberg?
Eher selten. Aber ich besuche selbstverständlich meine Eltern, die ja in Neheim leben. Vier bis fünf Mal im Jahr sind wir dort.
Wie beschreiben Sie Fremden Ihre Heimatstadt?
Ich bin geprägt vom Arnsberger Wald und vom Möhnesee. Da bin ich Mountainbike gefahren und dort war ich auf dem Segelboot unterwegs, von klein auf mit Vater und Großvater. Und jeden Tag auf dem Wasser: Nach der Schule habe ich mich gleich aufs Rad geschwungen und bin durch den Arnsberger Wald zum See gefahren.
Hat Design-Arbeit eine Heimat?
Gibt es einen Zusammenhang zwischen Heimat und Design? Schwer zu sagen. Wir haben weltweit Designstudios, um von unterschiedlichen Einflüssen profitieren zu können. Selbst wenn in Kalifornien ein Auto nicht verkauft wird, finde ich es wichtig, dass von dort Vorschläge kommen.
Aber das Design muss am Ende doch einen Ursprung haben…
Ja, in der Marke Audi stecken viele deutsche Tugenden, dieses Klare, Simple, Reduzierte. Die perfekte Funktion. Als ich im Februar 2014 bei Audi begann, war ich häufig im museum mobile und habe mich dort intensiv mit der Geschichte der Marke beschäftigt. Man muss die Vergangenheit kennen, wenn man die Zukunft gestalten will.
Lassen Sie sich von der Geschichte inspirieren?
Definitiv. Denn es gibt im gesamten Automobilbereich keine andere Marke, die eine solche Entwicklung genommen hat wie Audi. Es war die Vision, sich von anderen zu unterscheiden, etwa beim Allrad-Antrieb oder bei der Aluminiumkarosserie, die das Unternehmen ins Premiumsegment geführt hat. Aus diesem Grund war es schon immer mein Traum, für Audi zu arbeiten.
Wie sieht ein typischer Arbeitstag im Design aus?
Das lässt sich so pauschal nicht beantworten. In der Entwicklungsphase gleicht kein Tag dem anderen. Wir arbeiten ja in unterschiedlichen Phasen an verschiedenen Modellen. Ich stehe etwa beim kommenden Audi A8 vor Prototypen, die fahren können. Ein tolles Gefühl. Was noch vor einem Jahr eine Skizze auf dem Papier war, ist nun aus Blech. Ein paar Meter weiter erarbeiten andere Designer Entwürfe am Computer. Ein dreidimensionales Modell in der virtuellen Welt – heute eine Selbstverständlichkeit im Designprozess.
…und Sie persönlich: Wie sieht Ihr Arbeitstag aus?
Ich nehme natürlich an vielen Sitzungen teil, versuche aber, die Hälfte des Tagespensums gemeinsam mit meinem Team an den Modellen zu arbeiten. Ich mache die Autos ja schließlich nicht allein. Meine Aufgabe ist es vielmehr, immer wieder Impulse zu geben.
Wo holen Sie sich abseits vom Job Inspiration?
In der Freizeit geht es für mich darum, den Kopf freizubekommen. Das gelingt mir am besten beim Segeln. Da kommen die Ideen…
Unsere Region im Sauerland steckt voll von Entwicklungspartnern für den Automobil-Sektor. Wie weit muss Marc Lichte in den Stand der Technik, in die Entwicklungen und Prozesse bei den Entwicklungspartnern direkt einsteigen? Bei HELLA, Mubea, Lübke & Vogt….
Wir sind sehr eng im Kontakt mit unseren Partnern, wir fordern sie geradezu. Wir entwickeln uns weiter, und das muss der Entwicklungspartner auch. Insbesondere in der Licht-Technologie werden wir einen Riesenschritt machen.
Ihr Lieblingsprodukt abseits des Automobils?
Es muss perfekt sein in Funktion und Ästhetik. Wir haben viele Gegenstände in unserer Wohnung, etwa den Barcelona Chair des berühmten Architekten Mies van der Rohe mit seiner konstruktiven Logik und klassischen räumlichen Freiheit nach dem Motto: weniger ist mehr. Damit umgebe ich mich gern.
Wofür steht Lichte-Design in 30 Jahren?
Für Erneuerung. Mein Ziel ist es, Funktionalität und Ästhetik noch besser zu vereinen. Dieser Idee sind wir bereits einen bedeutenden Schritt nähergekommen: Mit dem Audi prologue haben wir vor einem Jahr ein Showcar präsentiert, das die neue Designsprache von Audi ankündigt, so wie sie in der neuen Oberklasse-Generation auf die Straße kommen wird. Und das Beste: Wir arbeiten heute schon am nächsten Schritt.